RotFuchs 228 – Januar 2017

Gisela Steineckert – Hand aufs Herz

Gisela Steineckert

Auch ich habe versucht, mir in einem langen Leben die wichtigsten Ereignisse in die richtige Schublade zu legen. Das ist ja manchmal gelungen.

Aber nun mischen sich die sorgfältig oder eben doch leichtsinnig untergebrachten Teile zu einem schlimmen Ganzen. Es ist kein überwältigendes Naturereignis, sondern entstanden, weil diese lebenslange Sucht, wenigstens hinterher recht gehabt zu haben, wirklich nie abgelegt wurde.

Ich erinnere mich, zum Beispiel, an das unglaubliche, freche und politisch warnende Verhalten der Tea-Party im Wahlkampf um den ersten dunkelhäutigen amerikanischen Präsidenten. Da gab es doch jene Lady, die munter erzählte, daß sie, vom Hubschrauber aus, gern Tiere jage und sie während des Fluges erlege. Was haben wir uns bei dieser bloßlegenden Selbstanzeige eigentlich gedacht? Waren wir darüber empörter als über die nachfolgende Tatsache, daß sie sich zu unglaublichen Preisen mit passender Wahlkampfkleidung auf Kosten – ja, von wem? – eingedeckt hatte? Was ihr aber doch mehr Ablehnung einbrachte als ihr Einsatz für die Waffenindustrie, ihr Haß gegen Andersfarbige, gegen Arme, gegen Mächte, die ihrer Klasse oder Kaste etwa in den Arm fallen könnten. Sie war eine großartige Verkünderin von Moral: kein Sex vor der Ehe, keine gleichgeschlechtliche Liebe, kein Abweichen von alter Norm. Aber dann bekamen wir ja die liebenswürdige Nachricht, daß die Tochter der Lady, völlig außerhalb ehelicher Beziehung, bester Hoffnung war. Da war sie unterm Strich aus dem Rennen. Nicht durch ihre politische Meinung, nicht durch ihre Auffassungen über die USA in der Welt, gefährdet durch den bekämpften afroamerikanischen Kandidaten, den Feind.

Er hat einen Präzedenzfall geschaffen. Manchmal, in verständlichen Momenten, hätten wir ihm fast gewünscht, es wäre ihm und seinen Unterstützern nicht gelungen – noch nicht, denn diese Weltmacht schien sich auch durch ihn im Weißen Haus, als Nummer eins, an nie abnehmender Gefährlichkeit nicht zu verändern. Bei Lichte besehen hatten wir eine kleine Freude und zunehmendes Unbehagen, denn die Welt wurde nicht friedlicher dadurch, daß ein eher friedlicher und mit durchaus guten Absichten versehener Mann nun dort wohnte, wo vorher Charaktere herrschten, deren Taten und Untaten in die Weltgeschichte eingingen.

Als Obama das erste Mal in Berlin zu Besuch war, haben wir – immer zu einem freundlichen Gefühl bereit und als „Börliner“ schließlich inzwischen weltberühmt – ein bißchen gezuckt, als er eine halbe Stunde warten mußte, bis unsere maßgebende Spitzenpolitikerin ihn empfing. Sie durfte das, denn er war ja noch nicht zum Präsidenten gewählt, also niemand.

Es war nur ein kleiner Ausrutscher, oder sagen wir: ein Ausrutscher. Nur eine Ärgerlichkeit, denn wenn ihm auch noch nicht die Macht in den USA gehörte, das Herz der „Börliner“ flog ihm zu. So schlank, so schlaksig, so lachend, so offen, so ungewohnt anders.

Bleibt zu denken: für Hiroshima und Nagasaki mußten sich die USA niemals vor einem Weltgericht verantworten. Diesen Vorschlag hat auch Obama nicht gemacht.

Was hat sich überhaupt geändert, seit sich damals alles zu ändern schien? Sogenannte Schwarze müssen nicht mehr auf dem hinteren Perron ihre Stadt durchqueren. Es gibt vielleicht mehr Liebespaare verschiedener Hautfarbe, aber was da ein Anfang für Normalität zu sein schien, hat durch die voraussehbaren Machtkämpfe zwischen Republikanern und Demokraten nicht weniger Bedrohliches neu erstarken lassen. Bei genauem Hinsehen sind die alten Mächte eher gestärkt durch die zu geringen Erfolge einer Politik, die sich nicht durchsetzen konnte.

Eines Morgens bin ich aufgewacht und konnte den Gedanken nicht unterdrücken, daß sich demokratisch gewählte Mächte in Europa gerade unheilvoll nach rechts begeben und sich dabei einander annähern, sogar verflechten. Das kann doch nicht sein. Doch nicht bei den liebenswürdigen Ungarn, die einst mit der schönen Elisabeth tanzen wollten und tanzten. Doch nicht in Polen, durch uns so besonders leiderfahren, ausgestattet mit allem Wissen, was es rechts zu holen gibt. Solche geschichtliche Niederlage und Erfahrung muß doch niemand wiederholen wollen. Aber nun können wir abends am Lager- oder Herdfeuer erzählen, daß die hoffnungsvolle Durchmischung von Herkünften und Ankünften mit einem Schlag zu Schlägen, wie in finsterer Barbarei, verwandelt werden kann. Und was geschieht? Es gibt jene zwei großen starken Welthände nicht, die da einem Despoten in den Arm fallen, ihn zwingen, die Strafe für den wahrscheinlich unsinnigen Aufstand zu beendigen und vernünftig an die Arbeit zu gehen, aus einer mißlungenen Absicht die Lehre aus deren Ursache abzuleiten. Da fließen Blut und Tränen zu einem Strom, in dem doch – sieh nur hin! – noch die Leichen der Armenier schwimmen.

Ich will nicht hinnehmen, daß sich mir die „richtige Seite“ auch noch als Irrtum und Irrlicht erweist.

Aber es geschieht mir so. Für Aleppo kann ich nicht durch eine Gasse gehen, auf der links die Fortschrittlichen und rechts deren Aufhalter zu sehen sind. Meine beiden Hände finden sich zu keinem Beifall nach der einen oder der anderen Seite. Aleppo wird mir ein Wort wie jene anderen, die wir nie aussprechen, ohne uns das Ganze zu denken.

Die Bundeskanzlerin will sich erneut in die Arena begeben. Sie sieht müde aus. Aber das nimmt sie von sich selber nie hin. Und ihr Staatsgast Barack Obama hat ihr die Ehre zuteil werden lassen, sie nicht nur freundlich, sondern respektvoll zu rühmen als eine wichtige und vernunftbegabte Politikerin. Er sieht auch müde aus. Fast nichts ist ihm gelungen. Im Gegensatz zu einem anderen, an dessen Triumph ich, immer noch zu wenig erfahren, nicht geglaubt habe. Mir scheint, daß es niemand geglaubt hat. Ich dachte … falsch, wie man sieht. Die Folgen werden sich ins Große Buch eintragen. Ich bin blöd, und die Weltgeschichte passiert. Ein gefährlicher Clown hat sich zum Ruder durchgeschlagen.

Mein Herr

Präsident, General, Kommandeur
ich schenke Ihnen kein Gehör
Feinde gibt’s immer, sobald sie wer braucht
daß vom Leib der andern
der Schornstein raucht

da schämt sich keiner
wenn’s um Wahlsieg oder Dividende geht
wie da Macho bei Macho
Emporkömmling bei Bürgerfürst steht
ungleiche Kappen ungleiche Brüder
aber gleiche Intressen

da geht’s dann wieder
Präsident, Kommandant, General
Mann und Maus sind Ihnen scheißegal
uralte Rechnungen werden gezückt
mit den Köpfen der andern Pfähle bestückt
es geht um die ganze Welt
es geht um das ganze Geld
natürlich auch um die schönste Fracht
die ganze Macht

Da! Der Tollste von uns!! / Karikatur: Klaus Stuttmann

Karikatur: Klaus Stuttmann