RotFuchs 192 – Januar 2014

Good bye, Afghanistan!

Klaus Behling

Es war kein deutscher Krieg. Aber es war ein Krieg des Westens. Und es brauchte ein paar Jahre, bis sich der damalige deutsche Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als oberster Zivilissimus traute, der Heimatfront mitzuteilen, daß es sich überhaupt um einen Krieg handelte. Bis dahin wurde angeblich „deutsche Freiheit auch am Hindukusch verteidigt“, indem Soldaten Brunnen bohrten und Schulen bauten.

Nein, es wurde nicht ab fünf Uhr fünfundvierzig zurückgeschossen. Schließlich begann alles unter dem stolzen Namen „Operation Enduring Freedom“ (OEF). Aber dann wurde doch zurückgeschossen. Das kostete ein paar Dutzend deutscher Soldaten das Leben und Millionen deutscher Steuerzahler nur Geld. Und natürlich mußten Tausende Afghanen dran glauben, schließlich waren die ja selber schuld! Der Haken war, daß der UN-Sicherheitsrat den auf den Terror des 11. 9. 2001 folgenden OEF-Einsatz nicht völkerrechtlich legitimiert und somit kein Mandat für einen Krieg gegen Afghanistan gegeben hatte. Mit der Resolution 1368 (2001) wurden die Staaten am 12. 9. 2001 aufgefordert, „dringend zusammenzuarbeiten, um die Täter, Drahtzieher und Förderer dieser terroristischen Anschläge vor Gericht zu bringen“, und (es wurde) betont, „daß diejenigen, die den Tätern, Drahtziehern und Förderern helfen, sie unterstützen oder ihnen Zuflucht gewähren, zur Rechenschaft gezogen werden“. Gleichzeitig erkannte die UNO das Recht auf Selbstverteidigung nach UN-Charta Art. 51 an, das jedoch nur so lange galt, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Das geschah mit der Resolution 1373 vom 29. 9. 2001, die einen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung des Terrorismus verabschiedete. Ein Militärschlag kam darin nicht vor. Der von der NATO ausgerufene „Bündnisfall“ war in diesem Zusammenhang rechtlich nicht relevant, denn die NATO setzt kein Völkerrecht. Anders ist die Rechtslage beim ISAF-Einsatz, der auf einem Mandat nach Kapitel VII der UN-Charta basiert und somit einen Kampfeinsatz umfaßt.

Er wurde damit begründet, daß „die Situation in Afghanistan eine Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ darstelle und demzufolge die ISAF-Truppen ermächtigt seien, „alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Maßnahmen zu ergreifen“.

Dennoch zog der Deutsche Bundestag in seinem Beschluß vom 14. 11. 2001 die „Operation Enduring Freedom“ heran, nach der die Militärintervention ein „Krieg gegen Terrorismus“ sei, und bestimmte: „Deutsche bewaffnete Streitkräfte tragen dazu mit ihren Fähigkeiten bei. Der Beitrag schließt auch Leistungen zum Zweck humanitärer Hilfe ein.“

Ob die Terroranschläge vom 11. 9. tatsächlich von Afghanistan ausgingen, ist bis heute nicht gerichtsfest belegt. Der „Final Report“ der US-Untersuchungskommission von 2004 beinhaltet so viele Ungereimtheiten und Lücken, daß sein historischer Bestand fragwürdig ist. Dennoch wurde diese Frage nach Kriegsbeginn nicht mehr diskutiert.

Statt dessen etablierte die deutsche Politik ein taktisches Verhältnis zum Völkerrecht, und der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) koppelte die grundsätzlichen Entscheidungen an die Vertrauensfrage. So entstand ein politischer „Kollateralschaden“, der ein fatales One-Way-Ticket in die Zukunft ist: Kriege sind wieder „die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“.

Mit dieser Rückbesinnung auf Carl von Clausewitz unterwarf sich Deutschland der amerikanischen Politik. Was bis 2014 an militärischem Engagement beendet wird, war für US-Verteidigungsminister Gates bereits 2007 eine „wahrlich historische NATO-Mission in Afghanistan, wo Streitkräfte des Bündnisses zum ersten Mal an wichtigen Landgefechten teilgenommen haben, an komplexen Einsätzen in schwierigem Gelände, auf Kriegsschauplätzen weit entfernt von Westeuropa … In Afghanistan hat sich etwas entwickelt, das einer Prüfung unserer Fähigkeit gleichkommt, eine Herausforderung mit enormen Auswirkungen auf unsere gemeinsamen Werte und Interessen zu bewältigen.“

Vor diesem Hintergrund war der erste militärische Einsatz Deutschlands in Afghanistan weder selbstlos noch von uneigennützigem Humanismus geprägt. Er war ein erster Schritt in die „Friedenspolitik“ des 21. Jahrhunderts, die die „Verteidigungspolitische Richtlinie“ der Bundesrepublik Deutschland vom 26. 11. 1992 so beschrieb: „Wenn die internationale Rechtsordnung gebrochen wird oder der Frieden gefährdet ist, muß Deutschland auf Anforderung der Völkergemeinschaft auch militärische Solidarbeiträge leisten können. Qualität und Quantität der Beiträge bestimmen den politischen Handlungsspielraum Deutschlands und das Gewicht, mit dem die deutschen Interessen international zur Geltung gebracht werden können.“

Das geschieht zwangsläufig im Einklang mit der seit dem Ende des Kalten Krieges vor zwanzig Jahren betriebenen unilateralen Neuordnung der Welt durch die USA, um nicht in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Das Motto dabei beschrieb 2001 am prägnantesten der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl Lammers: „Das Maß der Mitbestimmung richtet sich nach dem Maß des Mitwirkens.“ Der ehemalige „grüne“ Außenminister Joschka Fischer meinte, eine andere Politik „würde letztendlich bedeuten, daß wir keinen Einfluß auf die Gestaltung einer multilateralen Verantwortungspolitik hätten“. Daran, daß auch künftig die USA allein bestimmen werden, wer Schurke ist oder nicht – und zwar am Maßstab ihrer Interessen – wird das Mitmarschieren nichts ändern.

Daß Krieg ein Fluch und Gewalt keine Lösung ist, scheint in diesem politischen Denken vergessen. Deshalb wird es in den nächsten Monaten darum gehen, den Rückzug möglichst geräuschlos zu veranstalten und die Propagandamaschine zu schmieren, um wieder einmal das „im Felde unbesiegt“ zu verbreiten. Darauf folgt der europäische Geldsack, damit „sich die Demokratie in Afghanistan festigt“, erfahrungsgemäß von einer Nachrichtenleere begleitet.

Und die Taliban? Sie sagen: „Der Westen hat die Uhren, wir haben die Zeit.“ Von Demokratie schaffen und Rechtsstaatlichkeit bringen ist bei ISAF schon lange keine Rede mehr. Statt dessen haben die USA inzwischen „radikale“ und „gemäßigte“ Taliban ausgemacht. Die „radikalen“ wollen mit Hilfe von al-Quaida ein islamisches Weltreich errichten, den anderen genügt die Macht in Kabul. Beide treten grundsätzliche Menschenrechte, wie die von Frauen und Minderheiten, mit Füßen, beide erkennen nur eine „Verfassung“ an: den 1300 Jahre alten Koran. Für Afghanistan ist eine düstere Zukunft zu befürchten. Zwölf Jahre Krieg haben dazu beigetragen, sie heute nahezu ausweglos erscheinen zu lassen.

„Deutsche Rundschau“ (Kanada), November/Dezember 2013