RotFuchs 229 – Februar 2017

Gotthold Ephraim Lessings Vision

Dr. Ehrenfried Pößneck

Gotthold Ephraim Lessing wurde am 22. Januar 1729 im sächsischen Kamenz geboren. Er starb am 15. Februar 1781 in Braunschweig. Ab 1746 studierte er an der Leipziger Universität Theologie, Philosophie sowie klassische Philologie. Sein Studium beendete Lessing 1752 als Magister der Philosophie an der Wittenberger Universität. Danach arbeitete er als Bibliothekar, Journalist, Literaturkritiker und als freischaffender Schriftsteller, wobei er danach strebte, unabhängig von Fürstengunst zu leben.

Zu seiner Zeit gab es viele Kriege, in denen religiöse Gründe als Ursache geltend gemacht wurden. Geistige Unterdrückung und religiöse Intoleranz prägten auch den Alltag in Preußen. Das Bestreben der Bevölkerung, bürgerlich-demokratische Rechte und Freiheiten zu erlangen, wurde unterdrückt. Der Kampf um diese Rechte war Bestandteil der Aufklärungsbewegung. Lessing nahm mit seinen Mitteln an diesem Klassenkampf teil. Mit dem dramatischen Gedicht „Nathan der Weise“ kämpfte er gegen den Mißbrauch der Religion und die Intoleranz gegenüber Andersgläubigen, die zu Völkerfeindschaft führten. Er setzte sich für die Gleichberechtigung der Religionen und die Religionsfreiheit ein. Das waren Schritte in Richtung der Forderungen der Großen Französischen Revolution von 1789, die für die Bourgeoisie und das Volk die große weltgeschichtliche Aufgabe stellte, „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ zu verwirklichen.

Für sein Vorhaben („Nathan der Weise“, 1779) wählte er einen Abschnitt der Weltgeschichte aus, der ihm wegen der Kreuzzüge dazu besonders geeignet schien. Eine historische Parallele fand er im Kreuzzug von 1189 bis 1196. Die Ringparabel entnahm er der Novellensammlung „Decamerone“ von Giovanni Boccaccio. Als Ort der Handlung legte der Dichter das durch Saladins Truppen eroberte Jerusalem fest. Hier ordnete er die fiktiven Beziehungen zwischen Juden, Christen und Mohammedanern ein.

Im Höhepunkt des Gedichts, der Ringparabel, wird berichtet, daß der in Jerusalem herrschende Sultan Saladin von einem reichen Juden Geld leihen wollte. Doch zuvor wünschte er von diesem Juden (genannt Nathan), der als weise galt und in göttlichen Dingen tiefe Einsicht haben sollte, zu hören, welches der drei Gesetze (Religionen) er für das wahre halte. Nathan erklärte, er sei ein „Jud“, worauf Saladin antwortete, er sei Muselmann. Der Christ stehe zwischen beiden. Von diesen drei Religionen könne doch nur eine die wahre sein. Nathan bot sein ganzes Denkvermögen auf und bat darum, eine Geschichte erzählen zu dürfen. Der Sultan billigte seinen Wunsch. Nathan begann (der besseren Lesbarkeit wegen hier in Prosaform gebracht): „Ich erinnere mich, oft gehört zu haben, daß vor Zeiten ein reicher Mann im Osten lebte, der einen kostbaren und herrlichen Ring besaß. Er ordnete an, daß derjenige unter seinen Söhnen, der den Ring als Gabe vom Vater würde vorzeigen können, für seinen Erben gelten und von allen anderen als der vornehmste geehrt werden sollte. Der Vater liebte die drei Söhne, sie waren alle gleich zärtlich und gehorsam. Die Wahl fiel ihm schwer. Schließlich ließ er heimlich von einem geschickten Meister zwei gleiche Ringe anfertigen. Als er im Sterben lag, gab er heimlich jedem Sohn einen Ring und seinen Segen. Nach dem Tode des Vaters nahm jeder Sohn die Erbschaft für sich in Anspruch. Jeder bestritt das Recht des anderen. Es stellte sich heraus, daß die Ringe einander so glichen, daß niemand erkennen konnte, welcher von ihnen der echte sei. Die Frage des wahren Erben blieb unentschieden – bis heute.“

Nathan sagte: „Mein Gebieter, auch von den drei Gesetzen, die Gott den drei Völkern gegeben und über die ihr mich befragtet, ist zu sagen: Jedes der drei Völker glaubt, seine Erbschaft, sein wahres Gesetz und seine Gebote zu haben. Wer es aber wirklich hat, darüber ist, wie über die Ringe, … noch nicht entschieden – bis heute.“

In einem Gespräch mit dem Tempelherrn sagt Nathan: „Wir müssen, müssen Freunde sein! … Wir haben beide unser Volk nicht auserlesen. Sind wir unser Volk? Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch? Ah! Wenn ich einen mehr in Euch gefunden hätte, dem es genügt, ein Mensch zu heißen!“

In der Rolle des Nathan: Wolfgang Heinz (1970), Wolfgang Dehler (1979), Otto Mellies (1989)

In der Rolle des Nathan: Wolfgang Heinz (1970), Wolfgang Dehler (1979), Otto Mellies (1989)

Lessings Absicht war, durch öffentliche Vorstellungen sowie Aufführungen wie „Nathan der Weise“ zur Aufklärung, zur Kritik an den ökonomischen, politischen und Klassenverhältnissen für eine vernünftige Gesellschaft beizutragen.

Das Ziel der Aufklärung des 18./19. Jahrhunderts war, den Feudalismus abzulösen und dem Kapitalismus der freien Konkurrenz den Weg zu ebnen. In der nach Lessing folgenden Geschichtsperiode fand – durch die Große Französische Revolution eingeleitet –, in Europa und in Nordamerika ein gesellschaftlicher Umbruch statt, der sich auch auf Deutschland auswirkte. Nach der Befreiung von den napoleonischen Truppen und der Entwicklung des Kapitalismus in Deutschland konnte 1870 die staatliche Einheit herbeigeführt werden. Die Entwicklung Europas führte über den Imperialismus, die beiden Weltkriege, aber auch das Fanal der Oktoberrevolution in Rußland, den Weg des Sozialismus zu beschreiten, der auf unserem Kontinent in den 90er Jahren endete. Die heute wieder etablierte Kapitalherrschaft erweist sich als unfähig, die weltweiten Probleme zugunsten der Menschheit zu lösen. Mehr noch:
Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse sind an einem Punkt angekommen, an dem die Existenz der Menschheit gefährdet ist. Deshalb ist Aufklärung nötig. Ziel derselben muß sein: Errichtung einer neuen Gesellschaft des Sozialismus!

Das erfordert: Unterstützung von Friedens-, antifaschistischen und antirassistischen Bewegungen, Proteste gegen Rüstungsproduktion, Verhinderung des Exports von Rüstungsgütern, Verbot und Vernichtung aller

Kernwaffen, Widerstand gegen Kriegshandlungen aller NATO-Staaten, einschließlich der USA sowie der Bundesrepublik, Gegenwehr gegen den Abbau sozialer Errungenschaften, Verarmung, Naturzerstörung, religiöse Intoleranz und Kriege. Auf uns alle kommt es an!