RotFuchs 221 – Juni 2016

Hier irrte Heinrich Heine!

Marianne Walz

Seine lyrischen, satirischen und essayistischen Werke gehören zum Innigsten und Eindringlichsten der deutschsprachigen Dichtung. Die Verse von Heine wurden zum unverlierbaren Erbe der Weltliteratur. Das „Buch der Lieder“ oder „Die Harzreise“ machten den 1787 in einer Düsseldorfer jüdischen Kaufmannsfamilie geborenen Studenten der Jurisprudenz früh bekannt. Dennoch blieb die Existenzgrundlage des Dichters und Journalisten zeitlebens prekär. Hat Heinrich Heine doch stets allen nationalistischen, reaktionär-konservativen Obrigkeiten Widerpart geboten und erlitt dafür Exil und Ausgrenzung. Auch über seinen Tod hinaus gerät sein scharfer, streitbarer Geist allen Deutschtümlern, Antisemiten und Sozialistenfressern zum Ärgernis. Echte deutsche Patrioten mögen Heines Poem „Deutschland ein Wintermärchen“ im geistigen Besitz bewahren. Vielleicht wissen auch viele von ihnen, daß der Dichter im Pariser Exil ein gerngesehener Gast und Freund der Familie Marx war. Natürlich hat sich der wache Zeitgenosse Heinrich Heine mit der Marx’schen Gesellschaftstheorie befaßt, der er quasi beim Entstehen zusah. Und Heine bejahte den Kommunismus von ganzem Herzen – so bekennt er 1855 in seinem vorletzten Lebensjahr. Doch der Dichter irrte sich, was die kulturschöpferische Kraft und Leistung der Kommunisten betrifft.

Heinrich Heine mit Karl und Jenny Marx

Heinrich Heine
mit Karl und Jenny Marx

„Christian Johann Heinrich Heine (…) war einer der bedeutendsten deutschen Dichter, Schriftsteller und Journalisten des 19. Jahrhunderts“, belehrt uns ein Online-Lexikon. „Heine, Heinrich (…); größter dt. Lyriker des 19. Jh.“ steht auch in dem 1974 im VEB Bibliographisches Institut erschienenen „Lexikon deutschsprachiger Schriftsteller“. Jedes Schulkind kennt die sehnsüchtigen Klänge „Leise zieht durch mein Gemüt / liebliches Geläute“, vertont von Felix Mendelssohn-Bartholdy, und kein Flußkreuzfahrt-Fahrgast kommt beim Loreley-Felsen um „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ herum, kein Harz-Tourist um „… du sollst deine Schmerzen vergessen, du sorgenkranker Gesell.“ Heinrich Heine hat das individuelle Lebensgefühl gegen Ende der romantischen Ära um 1830, die Einsamkeit der Menschenseele im Angesicht der scheinbar ewigen Natur, gespürt und verdichtet. Krankheit und Liebesschmerz, Kummer und Verlassenheit zu ertragen gehört ins menschliche Dasein, aber auch Glück und Freude. Heine gab diesem Empfinden Worte, und nicht nur das deutsche Volk, auch das russische und andere Völker lieben ihn dafür. Doch die Rezeption, das heißt die Art und Weise der Annahme und der Verbreitung des Heineschen Werkes zeigt sich überaus unterschiedlich, ja gegensätzlich. Die Trennungslinien verlaufen „klassenförmig“ zwischen lyrikbeflissenem Bürgertum einerseits und fortschrittlich-revolutionären Literaturliebhabern andererseits. Nur letztere werden Heinrich Heine wirklich gerecht. Denn Heines Werk auf romantisierende Verklärung zu verkürzen, hieße den großen Dichter beleidigen. Er war auch und besonders ab den 1830er Jahren vor allem ein Aufbegehrender. Heines Geburtsstadt Düsseldorf brauchte bis 1981, um ihren „umstrittenen“, das heißt revolutionär-rebellischen Sohn mit einem Denkmal zu ehren. In Berlin hingegen sitzt seit 1958 die lebensgroße Figur des Dichters (geschaffen von Waldemar Grzimek) im Volkspark Weinbergsweg mitten unter den Kietz-Bewohnern – und seit 2002 in einem Zweitabguß in Nachbarschaft der Humboldt-Universität.

 

Der bekennende deutsche Patriot mußte exilieren, um der preußischen Zensur und anderen Repressalien zu entgehen. Es blieb und bleibt sozialistischen, linksrevolutionären und kommunistischen Literaturfreunden vorbehalten, Heinrich Heine gebührend zu ehren, das heißt sein Werk als Ganzes zu pflegen. Unvergessen der monatelang gut besuchte bis ausverkaufte Abend um 1975 im Deutschen Theater Berlin mit Eberhard Esches Interpretation von „Deutschland ein Wintermärchen“: „Wir wollen auf Erden glücklich sein, / Und wollen nicht mehr darben; / Verschlemmen soll nicht der faule Bauch / Was fleißige Hände erwarben.“ Den leidenden und rebellischen Heldinnen und Helden des schlesischen Weberaufstands 1844 hat Heine ein Denkmal gesetzt, das 120 Jahre später in DDR-Lesebüchern stand: „Im düstern Auge keine Träne, / sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne; / Deutschland, wir weben dein Leichentuch. / Wir weben hinein den dreifachen Fluch – / Wir weben, wir weben!“ Karl Marx, damals Redakteur des „Vorwärts“, veröffentlichte das Gedicht als Erster; Friedrich Engels übertrug es ins Englische und publizierte es international. Die 1848er-Bewegung und Gegenbewegung erlebte Heine mit ahnungsvoller Skepsis in Paris: „Verlor’ner Posten in dem Freiheitskriege, / Hielt ich seit dreißig Jahren treulich aus. / Ich kämpfte ohne Hoffnung, daß ich siege. / Ich wußte, nie komm‘ ich gesund nach Haus.“ Um 1855 verfaßte und veröffentlichte der bereits von tödlicher Krankheit Gezeichnete sein politisches Testament (zuerst in Französisch) im Vorwort zu „Lutetia“: „Dieses Geständnis, daß den Kommunisten die Zukunft gehört, machte ich im Tone der größten Angst und Besorgnis, (denn …) nur mit Grauen und Schrecken denke ich an die Zeit, wo (…) sie alsdann alle Marmorbilder meiner geliebten Kunstwelt zertrümmern (…) sie hacken mir meine Lorbeerwälder um und pflanzen darauf Kartoffeln (…)  eine unsägliche Betrübnis ergreift mich, wenn ich an den Untergang denke, womit meine Gedichte und die ganze alte Weltordnung von dem Kommunismus bedroht ist – Und dennoch ich gestehe es freimütig, übt derselbe auf mein Gemüt einen Zauber, dessen ich mich nicht erwehren kann (…) und kann ich der (Stimme) nicht widersprechen: daß alle Menschen das Recht haben zu essen. (…) Die zweite (Stimme) ist (die) des Hasses, den ich jenem gemeinsamen Feinde widme, der den bestimmtesten Gegensatz zu dem Kommunismus bildet (…) – ich rede (…) von jenen falschen Patrioten, deren Vaterlandsliebe nur in einem blödsinnigen Widerwillen gegen das Ausland und die Nachbarvölker besteht.“ Nachgeborene mögen das Credo des großen Literaten mit Respekt und Nachsicht aufnehmen. Sie wissen, daß die Besorgnis, die aus der „ersten Stimme“ spricht, gegenstandslos war. Denn die kulturell-künstlerischen Repräsentanten des revolutionären Proletariats haben in den vergangenen 150 Jahren Heines Lorbeerhain nicht nur gehegt und gepflegt, sondern ihn bereichert mit wirkmächtigen Werken der Dichtkunst, mit bleibenden Tonschöpfungen, Bildern und Bauten. Die zweite warnende Stimme sollte recht behalten: Sozialisten und Kommunisten sind zum Widerstand gegen Nationalismus, Völker- und Rassenhaß berufen – heute notwendiger denn je.