RotFuchs 234 – Juli 2017

Ich habe meinen Sohn
zum Krieger nicht erzogen

Alfred Bryan

Titelseite der Erstausgabe

Millionen Soldaten sind in den Krieg gezogen
und kommen vielleicht nie zurück,
Millionen Mütterherzen brechen
vor Kummer um die umsonst Gestorbenen.
Den Kopf gramgebeugt,
zur Einsamkeit verdammt,
hörte ich das Flehen einer weinenden Mutter:

(Refrain)
Ich habe meinen Sohn zum Krieger nicht erzogen,
ich zog ihn auf als Stolz und Freude meiner alte Tage.
Wer wagt es, ihm die Waffen in die Hand zu drücken,
damit er einer anderen Mutter teures Kind erschießt?

Die Nationen müssen ihre Probleme friedlich regeln.
Es ist die höchste Zeit, die Waffen fortzuwerfen!
Es könnte niemals einen Krieg mehr geben,
wenn alle Mütter in die Welt es schreien würden:
Ich habe meinen Sohn zum Soldaten nicht erzogen!

Welcher Sieg könnte das Herz einer Mutter erfreuen,
wenn sie auf ihr zerstörtes Haus schaut?
Welcher Sieg könnte ihr zurückbringen,
was einst ihr eigen war?
Laßt künftig jede Mutter antworten:
Denkt daran, daß mein Junge zu mir gehört.

(Refrain)
Ich habe meinen Sohn zum Krieger nicht erzogen …

Worte: Alfred Bryan; Musik: Albert („Al“) Piantadosi (1915)

Am 23. Februar 1915 stand in der Wiener Zeitung
„Neue Freie Presse“ folgende Notiz:

In New York wird jetzt in allen Varietés, Musikhallen, auf der Straße und im Salon ein Protestlied gegen den Krieg gesungen: das Lied der Mütter gegen den Krieg.

In seiner Nummer vom 2. März 1915 druckte der Brünner „Volksfreund“ die Notiz ab. Aus dem Brünner Blatt übernahm sie die „Volkswacht“ in Mährisch-Schönberg in ihre Nummer vom 5. März. Die Notiz wurde nirgendwo beanstandet. Der Beamte der Bezirkskrankenkasse Freiwalden, Karl Langer, schrieb das Gedicht ab, machte auf der Schreibmaschine acht bis zehn Abzüge, von denen er an Frauen, die in die Bezirkskrankenkasse kamen, einige verteilte. Die Behörde erfuhr davon. Karl Langer wurde sofort verhaftet und wegen Verbrechens der Störung der öffentlichen Ruhe (§ 65 Str.-G.) vor das Landwehrdivisonsgericht Krakau in Mährisch-Ostrau gestellt. Nach diesem Paragraphen macht sich der Störung der öffentlichen Ruhe schuldig, wer „zum Ungehorsam, zur Auflehnung oder zum Widerstande gegen Gesetze, Verordnungen, Erkenntnisse oder Verfügungen der Gerichte oder anderer öffentlicher Behörden auffordert, aneifert oder zu verleiten sucht“. Das Landwehr-divisonsgericht erkannte Langer für schuldig und verurteilte ihn zur Strafe des Todes durch den Strang! Im Gnadenweg wurde vom zuständigen Kommandanten die Strafe auf fünf Jahre schweren Kerkers herabgesetzt.

(Karl Liebknecht zitierte aus dem Lied und aus diesem Bericht in seiner Rede zum Justiz-etat im Preußischen Landtag im März 1916. Auf Youtube kann man sich verschiedene Versionen des Friedensliedes ansehen und anhören, wie z. B. hier)

Käthe Kollwitz: Pietá

Lied einer deutschen Mutter

Mein Sohn, ich hab dir die Stiefel
Und dies braune Hemd geschenkt:
Hätt ich gewußt, was ich heut weiß
Hätt ich lieber mich aufgehängt.

Mein Sohn, als ich deine Hand sah
Erhoben zum Hitlergruß
Wußte ich nicht, daß dem, der ihn grüßet
Die Hand verdorren muß.

Mein Sohn, ich hörte dich reden
Von einem Heldengeschlecht.
Wußte nicht, ahnte nicht, sah nicht:
Du warst ihr Folterknecht.

Mein Sohn, und ich sah dich marschieren
Hinter dem Hitler her
Und wußte nicht, daß, wer mit ihm auszieht
Zurück kehrt er nimmermehr.

Mein Sohn, du sagtest mir, Deutschland
Wird nicht mehr zu kennen sein.
Wußte nicht, es würd werden
Zu Asche und blut’gem Stein.

Sah das braune Hemd dich tragen
Hab mich nicht dagegen gestemmt.
Denn ich wußte nicht, was ich heut weiß:
Es war dein Totenhemd.

Bertolt Brecht (1942)