RotFuchs 200 – September 2014

In der Maske des Rechtspopulismus

Klaus Steiniger

Zum allerletzten Aufgebot der Weimarer Republik gehörend – ich wurde nur einen Monat vor der Machtauslieferung an die Hitlerfaschisten in Berlin geboren – kann ich mich als Zeitgenosse und junger Zeitzeuge des grauenvollsten Abschnitts in der neueren deutschen Geschichte betrachten. Ich weiß und habe am eigenen Leibe erlebt, was Faschismus bedeutet. Dabei stehen mir zwei Bilder unauslöschlich vor Augen: die tägliche Ankunft von schwerbewaffneten SS-Leuten flankierter Massentransporte überwiegend den roten Winkel tragender Häftlinge des KZ Sachsenhausen, die in Berlin-Lichterfelde, wo wir damals wohnten, unweit des erst jetzt umbenannten Hindenburgdamms Wohnblöcke für Faschistenfamilien hochziehen mußten. Und das Miterleben – wenn auch aus einiger Entfernung – des Niedermähens einer Gruppe hinter den deutschen Linien aus einer sowjetischen Maschine abgesprungener Partisanen. Ein riesiges Aufgebot der faschistischen Wehrmacht hatte bei Krummhübel im Riesengebirge – dem heutigen Karpacz – zuvor Waldstück für Waldstück durchgekämmt. Dorthin hatten mich Kriegsfolgen verschlagen.

Ohne Zweifel sieht der in etlichen Ländern Europas wieder zum Zuge gekommene Faschismus, der bei den EU-Wahlen erschreckende Resultate einfuhr, oft anders aus als dessen klassische Variante in den Farben Mussolinis, Hitlers und Francos. Auch früher gab es bereits Unterschiede bei der Umsetzung ein und derselben Ideologie, denkt man an das Portugal Salazars oder das Griechenland der schwarzen Obristen.

Das Kapital bevorzugt zweifellos die bürgerliche Demokratie als Idealform seiner Machtausübung. Anders ausgedrückt: das Würgen mit Glacéhandschuhen. Es ließ bislang in Deutschland immer nur dann zu brutalster Gewalt greifen, wenn es die Stärke der Arbeiterklasse dazu zwang. Das war der Fall, als sich die Diktatur der Banken und Monopole von Thälmanns KPD, auf die 1932 fast sechs Millionen Wählerstimmen entfielen, ernsthaft bedroht sah. Erst in dieser Niedergangsphase der Weimarer Republik fand das weichenstellende Treffen der deutschen Magnaten mit Hitler in der Kölner Villa des Bankiers Kurt von Schröder statt. Dort beschlossen sie, die NSDAP zu finanzieren und ihr notfalls auch die politische Macht auszuliefern.

Heute verbreiten Politiker und Medien der Herrschenden die Vorstellung, Faschismus müsse immer an dem ins Maßlose gesteigerten Rassenwahn und den Schlachthöfen der Hitlerfaschisten gemessen werden. Alles andere sei lediglich „rechtspopulistisch“. Populismus ist aber eigentlich nicht mehr als gesteigerte Popularitätshascherei um jeden Preis!

Dieselben Leute, die Begriffe aus dem Vokabular eines Joseph Goebbels wie „türkischstämmig“ oder „russischstämmig“ unbekümmert in die Umgangssprache der BRD eingeführt haben, verbreiten die Vorstellung, Faschismus komme immer mit Mussolinis Rutenbündeln oder Hitlers Hakenkreuzen, in Schwarz- oder Braunhemden daher.

Ohne Zweifel gibt es deutliche Unterschiede zwischen Himmlers SS-Leuten mit der Totenkopfkokarde an der Mütze und gewissen hochgestellten Beamten in bundesdeutschen Landen, die ihre potenzierte Ausländerfeindlichkeit beispielsweise in Pläne zu einer Autobahnmaut verpacken.

Leider fallen auch Linke, deren antifaschistische Gesinnung makellos ist, bisweilen solchen Täuschungs- und Irreführungsmanövern zum Opfer. „Es besteht kein Zweifel, daß die Herausforderung durch den Rechtspopulismus wächst“, liest man z. B. im Rundbrief 1/2014 der Bundesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus der Partei Die Linke. Es handle sich dabei um „eine relativ junge Parteienfamilie, deren Verhältnis zum Faschismus geprüft und deren Wirken im Hinblick auf die Folgen für die Demokratie erwogen“ werde. Es gehe um die Frage, „wodurch sich Rechtspopulismus von anderen der extremen Rechten zuzuordnenden Phänomenen“ unterscheide. Dieser werde deshalb für eine „eigene Parteienfamilie in Westeuropa“ gehalten, weil er sich anschicke, eine „parlamentsfähige Massenbasis herzustellen“, wobei er „in der Regel auf terroristische Mittel verzichtet“.

Da fragt man sich unwillkürlich: Ist Marine Le Pen, die schon bald an Frankreichs Staatsspitze treten könnte, etwa deshalb keine Faschistin, weil sich ihr Front National unter dem Bildnis der Jeanne d’ Arc präsentiert, nicht aber unter dem Porträt des Nazi-Kollaborateurs Petain? Oder: Ist die angeblich „rechtspopulistische“ Tea-Party-Bewegung in den USA mit ihrer dümmlich-aggressiven Frontfrau Sarah Palin etwa nicht der faschistische Flügel der Republikanischen Partei? Und wie verhält es sich mit den von Jörg Haider gegründeten „Freiheitlichen Österreichern“, Orbans ungarischer FIDESZ, dem harten Kern der Anhängerschaft Berlusconis in Italien, den dänischen und belgischen Rechtsextremisten oder den Hintermännern der Allianz für Deutschland (AfD), die an den Bankier Schröder erinnern?

Sogar in Publikationen kommunistischer Parteien wie der DKP, die hierzulande in vorderster Linie des antifaschistischen Widerstandes steht, schleichen sich bisweilen solche Unschärfen ein. In einer Ergebnisanalyse zu den jüngsten Europawahlen las man in der UZ nach Bemerkungen zum Wahltriumph der angeblich nur EU-feindlichen britischen UKIP-Faschisierer den irritierenden Satz: „Rechtspopulistische und offen faschistische Parteien gewannen auch in anderen Ländern Stimmen hinzu.“ Nach dem aufschlußreichen Hinweis darauf, daß die AfD des früheren Unternehmerpräsidenten Hans-Olaf Henkel 510 000 Stimmen von der CDU/CSU, 180 000 von der SPD, 100 000 von der PDL, 60 000 von der FDP und 30 000 von den Grünen abgezogen habe, heißt es: „Andere führen die höhere Wahlbeteiligung auch darauf zurück, daß erstmals mit der AfD eine für viele wählbare EU-skeptische Partei zu den EU-Wahlen antrat.“ Handelt es sich wirklich nur um Skepsis gegenüber der EU?

Zugleich ist davor zu warnen, den Bogen zu überspannen und rechtslastige Kräfte, zu denen ja auch gewisse „Volksparteien“ gehören, mit Nazis generell in einen Topf zu werfen. Andererseits sollten Marxisten und andere Antifaschisten jegliches Vokabular vermeiden, das der Verschleierung von Realitäten dient. Auch in dieser Hinsicht gilt unsere Kampfansage: Keinen Fußbreit Boden den Faschisten!