RotFuchs 218 – März 2016

Islands Gewerkschaften verteidigen Arbeiter- und Menschenrechte

RotFuchs-Redaktion

Der nordeuropäische Inselstaat Island zählt nur etwa 330 000 Einwohner. Das Bemerkenswerte: 100 000 von ihnen gehören dem couragierten Gewerkschaftsdachverband an. Er faßt nicht weniger als 51 Einzel-Unions zusammen.

Am 6. Juni 2015 rief die Konföderation der Isländischen Arbeiter (ASI) zu einem von der Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit unterstützten Generalstreik auf. Alle Räder standen buchstäblich still. Das Ziel dieser gewerkschaftlichen Kampfaktion bestand darin, den isländischen Staat und die Unternehmer des Landes zu einem verbindlichen Abkommen über den Lebenshaltungskosten Rechnung tragende Löhne zu zwingen.

Dem Generalstreik gingen jahrelange Kämpfe der isländischen Arbeiter und Angestellten für die Änderung einer unerträglichen Situation voraus, durch die sie dazu gezwungen wurden, zwei oder mehr Jobs zu haben, um ihren elementaren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Es ging also darum, die Löhne und Gehälter auf ein solches Niveau zu heben, das es deren Beziehern fortan gestattet, ihre materiellen Bedürfnisse mit den Einkünften aus nur einer Tätigkeit befriedigen zu können.

Das staatseigene Geothermische Kraftwerk in Nesjavellir versorgt Islands Hauptstadt Reykjavik mit Elektroenergie und heißem Wasser.

Am Ende des erbittert und hartnäckig geführten Kampfes stand ein voller gewerkschaftlicher Sieg: Den ASI-Forderungen wurde uneingeschränkt entsprochen. Ein nationales Mindesteinkommen von 300 000 isländischen Kronen (das entspricht etwa 2080 €) wurde vereinbart.

Im Verlauf eines reichlichen Jahres hatten zunächst die Einzelverbände der Gewerkschaftszentrale immer wieder voneinander getrennt zu Arbeitsniederlegungen aufgerufen, ohne dabei dem anvisierten Ziel näher zu kommen. Nach dem Generalstreik können sie nun ihren gemeinsamen Erfolg als Triumph der Arbeitereinheit im Klassenkampf für sich verbuchen. Die von ihnen vermittelte Lektion besteht in erster Linie darin, daß Einheit Berge versetzen kann. Jüngste Meinungsumfragen ergaben, daß sich 91,6 % der isländischen Bevölkerung mit den ASI-Forderungen solidarisiert hatten. Jetzt geht der Kampf um die praktische Umsetzung des Erreichten weiter. Der monatliche Standard-Aufwand der Isländer für Heizung, kaltes und warmes Wasser, Abwasserentsorgung und Elektrizität beträgt das Äquivalent zu 60 britischen Pfund Sterling. Diese Summe ist bei sämtlichen Eigentumsformen zu entrichten. Für alle Leistungen kommen die in staatlicher Regie befindlichen Geothermalen Kraftwerke auf. Alle anderen Kosten sind indes deutlich höher als in vielen europäischen Staaten.

Islands Gewerkschaften verfügen in landschaftlich reizvollen Gegenden des Inselwestens über hervorragende Erholungseinrichtungen. Woche für Woche werden die davon Begünstigten nach dem Rotationsprinzip ausgewählt.

Der kleine Inselstaat im Norden des Kontinents war in den Jahren 2007 und 2008 von einer schweren Bankenkrise fast in den Abgrund gerissen worden. Dabei kam es auch zu Bankrotten tonangebender Geldhäuser. Statt jedoch auf „Hilfsangebote“ der Europäischen Zentralbank einzugehen und den Internationalen Währungsfonds anzurufen, stimmten die Isländer dafür, sämtliche Zahlungen einzustellen und das Bankwesen grundlegend zu reorganisieren. Im Juni 2015 wurden fünf leitende Banker für ihr kriminelles Versagen zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Diese Lektion beweist, daß im kapitalistischen Island offenbar manches anders läuft als auf dem übrigen Kontinent. Das hängt wohl damit zusammen, daß es dort eine starke, einheitliche und kämpferische Gewerkschaftsbewegung gibt, die ihren Klassenauftrag wahrnimmt.

RF, gestützt auf „The Socialist Correspondent“, London