RotFuchs 188 – September 2013

Politisches Vakuum im Lande
Gramscis, Togliattis und Berlinguers

Italien ohne IKP

RotFuchs-Redaktion

Zweifellos gibt es in Italien nach wie vor dem Klassenkampf und der kommunistischen Sache Treugebliebene, die das Vermächtnis solcher Pioniere der revolutionären Arbeiterbewegung wie Antonio Gramsci und Palmiro Togliatti, aber auch Berlinguers in Ehren halten. Nur ein kleiner Teil von ihnen ist organisiert. Doch die einst international Maßstäbe setzende IKP wurde seit den 70er Jahren immer stärker von reformistischen Kräften, die sich unter dem Banner des „Eurokommunismus“ versammelt hatten, zum Verlassen ihres ursprünglichen Kurses gedrängt.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas zunächst noch existent und angeblich nur neu etikettiert, verschwand die IKP schon wenig später gänzlich von der politischen Bildfläche Italiens. Die ihr folgende Demokratische Partei operierte bereits auf der Basis einer offen zur Sozialdemokratie tendierenden Ideologie, um später gänzlich die Seiten zu wechseln und sich der Politik des NATO- und EU-Staates Italien anzupassen. Dessen oberster Repräsentant gehört zu jenen, welche schon längst „alles vergessen“ haben: Staatspräsident Giorgio Napolitano war einst Mitglied des IKP-Politbüros und galt als Symbolgestalt der Parteirechten.

Unlängst brachte „L’Humanité Dimanche“ ein Interview mit einer historischen Gestalt der alten IKP: Luciana Castellina war Mitbegründerin der Zeitung „Il Manifesto“. Zwei Jahrzehnte lang gehörte sie Italiens Parlament und zeitweilig auch dem Europaparlament an. Jetzt ist die 84jährige als Literatin hervorgetreten.

„Die Auflösung der IKP ließ eine große Leere entstehen. Das bescherte meiner Generation eine bittere Erfahrung, war doch die IKP für uns weit mehr als eine Partei. Übrigens wurde von mir unlängst ein Buch unter dem Titel ,Die Entdeckung der Welt’ veröffentlicht. Das Instrument dazu war für mich die IKP.

Meine Nostalgie ist indes nicht nur politischer, sondern auch kultureller Natur“, erklärte Luciana Castellina. Ihr erstes Engagement für die Partei sei übrigens die Teilnahme an einer von Kommunisten ausgerichteten Konferenz zum Kubismus gewesen. Sie habe sich über die Beschäftigung mit Themen der Kultur dem Kommunismus genähert. Durch Gemälde wie Pablo Picassos „Guernica“ sei sie tiefer in die Problematik des Krieges eingedrungen und habe auf diese Weise den Heroismus des Widerstandes und dessen grandiose Schlachten stärker verinnerlicht.

„Nach dem Sieg über den Faschismus hatte die IKP als Motor des Partisanenkampfes und des Neubeginns in Italien nichts zu rekonstruieren, aber sehr viel Neues zu konstruieren“, sagte Luciana Castellina. „Uns ging es um einen Nationalstaat, an dem das Volk tatsächlich teilhaben konnte.“ In jenen ersten Jahrzehnten nach der Mussolini-Diktatur sei die Politisierung der Italiener äußerst stark gewesen. Als die Partei dann am Beginn der 90er Jahre plötzlich nicht mehr existierte, habe das ein enormes Vakuum entstehen lassen. In dieses seien dann auch die Kräfte um Berlusconi hineingestoßen.

Die Linke existiere natürlich in Italien auch weiterhin, doch der Untergang der IKP mit ihren rund zwei Millionen Mitgliedern und einem Wähleranteil von bis zu 30 Prozent sei ein Vorgang von enormer Tragweite gewesen. „Dieses wichtige nationale Netz der Linkskräfte brach über Nacht weg. In den ersten Jahren nach diesem Debakel seien 800 000 Parteimitglieder im Nirwana verschwunden. Viele hätten sich einfach verlassen und verraten gefühlt. Die Partei der Kommunistischen Neugründung (Rifundazione) habe nur einen Bruchteil der Genossen auffangen können. Ihre ersten Erfolge seien wohl eher begrenzter Natur gewesen.

Der den Kommunisten Italiens mit der Liquidierung der IKP versetzte Schlag wirke bis heute nach.

Was die überwiegend von abtrünnig gewordenen und angepaßten einstigen IKP-Mitgliedern ins Leben gerufene Demokratische Partei betreffe, so folge sie dem Modell der Democratic Party in den USA. Sie sei niemals eine wirkliche Partei gewesen, besitze keine eigene Identität, von Einheit der Reihen ganz zu schwiegen. Auch in der Rifundazione habe es Spaltungen gegeben.

Auf die Frage, warum sich die IKP in der italienischen Gesellschaft nicht dauerhaft habe etablieren können, erwiderte Luciana Castellina: „In unserem Land wurde das historische Gedächtnis geradezu ausgelöscht. Es wird alles getan, um die großen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten zu lassen.“

Die Übertragung der reichen Erfahrungen früherer Generationen auf Jüngere und Heranwachsende sei bisher nicht von Erfolg gekrönt worden. So hätten Meinungsumfragen ergeben, daß viele junge Italiener glaubten, die IKP habe das Land 40 Jahre lang regiert und dann abtreten müssen. Sie sei von ihrem Enkel gefragt worden, ob sie wirklich der IKP angehört habe. Als sie bejahte, habe er fast angenommen, sie sei Teil einer Mörderbande gewesen.

Tatsächlich habe sich die IKP zwar immer als eine führende Kraft der italienischen Gesellschaft erwiesen, sich aber niemals am Ruder des Staates befunden.

Italiens heutige linke „politische Kultur“ werde von Auffassungen des Neo-Anarchismus beherrscht, sagte Luciana Castellina. Wirkliche Parteien des linken Spektrums hätten es schwer, dagegen anzukämpfen. Als großer Gewinner habe sich groteskerweise ein Mann wie Beppo Grillo erwiesen. Dieser verkörpere den sogenannten antipolitischen Protest, der sich pauschal gegen Parteien, Gewerkschaften und Institutionen richte. In dieser zutiefst politischen „Entpolitisierung“ liege derzeit eine der größten Gefahren. Durch sie werde jenes Klima geschaffen, in dem Berlusconi und die Rechtsextremen freie Bahn erhielten.

Glücklicherweise gebe es in Italien aber auch immer mehr erfolgreich verlaufende Kämpfe und Kampagnen. Zu erwähnen sei hier der Widerstand gegen die Privatisierung des Wassers, wobei leider festgestellt werden müsse, daß die politischen Parteien in dieser Frage einmal mehr völlige Abstinenz an den Tag gelegt hätten.

„In Italien finden Streiks und heftige soziale Auseinandersetzungen statt, was zuletzt die grandiose Aktion der Metallarbeiter am 18. Mai bewiesen hat“, sagte Luciana Castellina. Dennoch lasse sich eine in den Massen verwurzelte Partei wie die IKP dadurch nicht ersetzen. Die Aktionen seien aber ein Grund zur Hoffnung.

RF, gestützt auf „L’Humanité Dimanche“, Paris