RotFuchs 219 – April 2016

Lebenszeit

Wolfgang Tilgner

Fahren zwei durch alle Meere,
fahren zwei in einem Boot.
Der eine kennt die Sterne,
der andre mißt das Lot.
Sind nicht zu trennen, bleiben vereint,
ob Nacht heranzieht, Morgen erscheint.
Sie finden zueinander
auf Lebenszeit.

Steigen zwei auf hohe Berge,
steigen zwei zum Himmel dicht.
Der eine blickt die Welt an,
der andre sieht das Licht.
Noch liegt die Erde flach auf der Hand,
sind sie den Wolken nah und verwandt.
Und halten zueinander
auf Lebenszeit.

Gehen zwei durch laute Straßen,
gehen zwei durch Stein und Rauch.
Den einen ruft die Arbeit,
den anderen Mühe auch.
Schon kommen Tage, die man nicht zählt,
schon ist entschieden, schon ist gewählt.
Doch tragen sie einander
auf Lebenszeit.

(1976)