RotFuchs 186 – Juli 2013

Dänemark: 65 000 Lehrer wurden von Staats wegen ausgesperrt

Lock-out heißt „Streik der Bosse“

RotFuchs-Redaktion

Das dem Englischen entlehnte und längst international gebräuchliche Wort Lock-out steht für die Aussperrung Arbeitswilliger. Dabei handelt es sich um einen Streik unter umgekehrten Vorzeichen. Nicht lohnabhängig Beschäftigte greifen hier zur stärksten Waffe der Gewerkschaftsbewegung, sondern die Unternehmer oder deren Staat drehen den Spieß einfach um: Statt – wie oftmals sonst – Streikbrecher anzuheuern, lassen sie die Zugänge zu ihren Betrieben oder Einrichtungen hermetisch abriegeln.

Dabei können die Bosse auf eine lange Tradition zurückblicken. Zu ihr gehört das Dubliner Lock-out von 1913, als 20 000 Arbeiter der irischen Hauptstadt kurzerhand ausgesperrt wurden, weil sie das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung einforderten. Diese Unternehmeraktion ist ebenso in die Geschichte der Klassenkämpfe eingegangen wie ähnlich rabiates Vorgehen der Ausbeuter anderer Länder, ganz besonders Lateinamerikas. 1972 organisierte die chilenische Reaktion „auf Empfehlung“ der CIA und unter deren direkter Anleitung ein Lock-out im Transportwesen, um damit die linke Allende-Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. In den Jahren 2002/2003 verlegte sich Venezuelas Reaktion auf einen massiven „Streik der Bosse“ gegen Chávez.

Am 1. April dieses Jahres ereignete sich im derzeit sozialdemokratisch regierten Dänemark folgendes: 875 000 Schüler erhielten keinen Unterricht, weil ihre 65 000 Lehrer vor den auf Anweisung der Kommunemes Landsforening (KL) – dem Dachverband kommunaler „Arbeitgeber“ – verschlossenen Toren standen.

Die Situation spitzte sich seit Dezember 2012 dramatisch zu. Damals brachte die Erziehungsministerin Christine Antorini ein „Reformprojekt“ auf den Weg, das Dänemarks Pädagogen als Rückschritt empfanden. Die den Lehrern zustehende bezahlte Vorbereitungszeit auf den Unterricht sollte merklich reduziert werden.

In Dänemark werden die Arbeits- und Vergütungsbedingungen mit jeweils vierjähriger Laufzeit zwischen Gewerkschaften und Unternehmerverbänden ausgehandelt. Dabei sieht das „Dänische Modell“ zwei gesetzlich zulässige Aktionsformen des Widerstandes – eine für jede Seite – vor: den Streik der Beschäftigten und die gleichermaßen legale Aussperrung durch das Patronat.

Nach Abschluß der Vereinbarung hat vier Jahre lang Ruhe zu herrschen, werden jegliche Arbeitsniederlegungen als „wilde Streiks“ behandelt. Diese Regelung gilt auch für den öffentlichen Dienst.

Doch zurück zu der von den Pädagogen als nachteilig empfundenen Regelung. Außer der erwähnten Kürzung wollte man die Lehrer dazu zwingen, die ihnen abverlangten 37 Arbeitsstunden pro Woche einschließlich der Vorbereitungszeit auf ihre Lektionen ausnahmslos im jeweiligen Schulgebäude abzuleisten.

Zu bemerken ist, daß Dänemarks Lehrergewerkschaft den größten Teil des KL-„Angebots“ bereits geschluckt hatte, als etwas Unerwartetes eintrat. Bei der Abstimmung auf deren Verbandskongreß zog die Führung den kürzeren: 189 der 245 Delegierten lehnten die ihnen unterbreiteten „Reformpläne“ als Zumutung ab.

Die Antwort der KL folgte auf dem Fuße. Sie verhängte eine landesweite Aussperrung sämtlicher Lehrer. Das war ein in der dänischen Geschichte einmaliger Vorgang.

Doch die Pädagogen blieben den Bossen nichts schuldig. Sie antworteten mit von der Bevölkerung und sämtlichen Gewerkschaften unterstützten Massendemonstrationen. Der Verband der im öffentlichen Dienst Beschäftigten rief sogar zu einem Solidaritätsstreik auf. Das Ausmaß der Unterstützung für die in dieser Abwehrschlacht Angegriffenen frappierte die in Kopenhagen Regierenden. Wie Umfragen ergaben, billigten nur 24 % der Dänen die Forderung der KL.

RF, gestützt auf „Arbejderen“, Kopenhagen, und „Solidaire“, Brüssel