RotFuchs 188 – September 2013

Vor 40 Jahren putschte Pinochet
gegen das Chile der Unidad Popular

Mein kostbarstes Souvenir

Rudolf Herz

Nach dem Militärputsch in Chile am 11. September 1973 machte die entfesselte Soldateska des Generals Pinochet Jagd auf bekannte Anhänger der gestürzten Regierung Salvador Allendes und des Linksbündnisses Unidad Popular. Ausnahmslos alle, derer man habhaft werden konnte, wurden verhaftet. Es waren so viele, daß die großen Sportarenen Santiagos in Gefängnisse umfunktioniert wurden. Festgenommene pferchte man in Räumen unter den Tribünen des Nationalstadions ein. Sie wurden an Ort und Stelle verhört, gefoltert und einige von ihnen ermordet. Bekanntestes Terroropfer war der populäre Sänger Victor Jara, dem zuvor die Hände, mit denen er seine Gitarre gespielt hatte, zerschlagen worden waren. Als nicht minder berüchtigt galt das Stadion de Chile, welches der damals neu gegründete Geheimdienst DINA für seine Untaten auserkoren hatte.

Im ganzen Lande richteten die Putschisten behelfsmäßige Gefangenenlager ein, die als Folterzentren traurige Berühmtheit erlangten. Darunter befanden sich „Villa Grimaldi“ und „Tres Alamos“ in Santiago, „Tejas Verdes“ bei Concepcion, „Ritoque“ an der Küste bei Vina del Mar und auch die späteren Konzentrationslager Chacabuco in der nördlichen Atacama-Wüste sowie das auf der Insel Dawson im unwirtlichen Süden des Landes. Die Gefangenen waren hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt. Sie erfuhren nichts über das weitere Geschehen im Lande und das Schicksal ihrer Familien.

Chacabuco war eine um 1908 verlassene Salpetermine. Wie andere „Oficinas“ hatte man sie nach dem plötzlichen Verfall der Salpetergewinnung aufgegeben. Die Öfen, in denen die „Caliche“, der Rohsalpeter, gekocht wurde, die primitiven Wohngebäude, die Kirche, welche gleichzeitig als Theater und Veranstaltungsraum diente, der als Wahrzeichen weithin sichtbare große Schornstein sowie der Verwaltungstrakt blieben infolge des trockenen Wüstenklimas in ihrer Grundsubstanz erhalten. Die Militärs zogen um das ganze Areal lediglich einen Stacheldrahtzaun.

Die Gefangenen, gebildete und politisch aktive Menschen, drohten in dieser Isoliertheit und nach den zuvor erfahrenen Foltern psychisch zugrunde zu gehen. So kamen einige auf den Gedanken kreativer Tätigkeit. Zuerst schuf man sich Werkzeuge zum Schleifen von Steinen, wozu auch Sand diente, Metallgegenstände wie Nägel, Beschläge und Schrott wurden zu Sticheln, Schnitz- und Schneidwerkzeugen. Letztendlich zerteilte man alte Holzbohlen in handliche Stücke. Hierauf zeichneten Begabte verschiedene Motive des Lagers, die dann von den Schnitzern so bearbeitet wurden, daß die Konturen plastisch hervortraten. Angesichts des primitiven Geräts sowie ohne vorherige Ausbildung oder praktische Erfahrung war das eine mühselige und aufwendige Arbeit, die Geschick erforderte. Dabei kamen beachtliche Werke zustande. Als nach einiger Zeit Familienangehörigen Besuchserlaubnis erteilt wurde, schmuggelten sie einzelne Gegenstände aus dem Lager, um sie in Santiago zu verkaufen und aus dem Erlös Lebensmittel zu bezahlen.

Auch uns – der Restgruppe der DDR-Vertretung, die nun unter dem Schutz der finnischen Botschaft stand – wurden solche kleinen Kunstwerke angeboten. Wir erwarben sie für einen Solidaritätspreis. Fast jeder unserer Mitarbeiter leistete dazu seinen Beitrag. Heute sind das Reliquien von hohem Erinnerungswert. Ich selbst kaufte eine Arbeit, die aus einer Tischplatte entstanden war. Sie zeigt Motive des Lagers Chacabuco. Von dem Laienkünstler weiß ich nur, daß er Roman hieß. Sein Relief erinnert mich stets an unser damaliges Wirken zur Unterstützung der drakonisch verfolgten chilenischen Antifaschisten.

Wir konnten damals vielen untergetauchten Genossen helfen und sie dem Zugriff der Junta Pinochets entziehen. So gelang es, den Generalsekretär der Sozialistischen Partei Chiles, Carlos Altamirano, in einer wagemutigen Aktion illegal über die Grenze nach Argentinien zu schleusen. Viele zur Emigration Gezwungene fanden in der DDR politisches Asyl. Sie erlebten die Solidarität unseres sozialistischen Staates und seiner Menschen, wurden in den Alltag, vor allem in Arbeitsprozesse, voll integriert. Nicht wenige von ihnen studierten und konnten wissenschaftliche Kenntnisse oder praktische Erfahrungen erwerben. Auch die jetzt abermals für das höchste Amt der Andenrepublik kandidierende Ex-Präsidentin Michelle Bachelet, die sich in der DDR als Ärztin qualifizierte, gehörte dazu. Bei ihrer Bewerbung kann die Sozialistin diesmal mit der Unterstützung der KP Chiles rechnen.

Die uneigennützige Hilfe der DDR ist bei den Chilenen nicht in Vergessenheit geraten. Die heutige BRD-Außenpolitik gegenüber Chile – sie war auch damals auf die Stärkung der Reaktion im Andenland gerichtet – kommt vor allem einflußreichen Finanz- und Industriekonsortien zugute. Das Interesse der BRD an Chiles Rohstoffen, besonders Kupfer, sowie an Waffenlieferungen für die chilenischen Streitkräfte und militärischer Kooperation aber bestimmen aus Berliner Sicht die bilateralen Beziehungen.

Das Schicksal der Familie Honecker, die nach der Konterrevolution und dem Anschluß der DDR an die BRD als verfolgte deutsche Antifaschisten in Santiago Aufnahme und gute Freunde fand, zeugt davon, daß der Gedanke der Solidarität zwischen Chilenen und dem guten Deutschland die Zeiten überdauert hat.