RotFuchs 192 – Januar 2014

Gisela Steineckert erzählt, wie ihr Lebenswerk gedeihen konnte

Poetisch, politisch, populär

Marianne Walz

Sie hat unzählige Lieder und Gedichte geschrieben, die nachklingen und das Lebensgefühl in der DDR widerspiegeln – Lieder vom Ankommen und Zuhausesein, von Liebe und Streit. „Das ist der einfache Friede, den schätze nicht gering“, lautet einer ihrer bekanntesten Texte, interpretiert u.a. von Kurt Nolze und von Gisela May. Das Politische in seiner untrennbaren Verknüpfung mit dem persönlichen Leben jedes einzelnen Menschen war der erfolgreichen Autorin Gisela Steineckert stets bewußt – und das nicht erst seitdem sie um 1970 den Oktoberklub mitbegründete, Genossin wurde und 1984 Präsidentin des Komitees für Unterhaltungskunst. Jetzt schaut sie als über 80jährige auf den zurückgelegten Weg und blickt auf das, worauf es ihr ankommt. „Das Leben hat was“ titelte Gisela Steineckerts Gesprächspartnerin Irmtraud Gutschke das von ihr herausgegebene Buch.

„Als ich fortging“ ist einer ihrer großen poetischen Würfe, von Älteren wie Jüngeren in Ost und West geliebt und in Rundfunk-und Fernsehsendungen immer wieder gewünscht – besonders in der ursprünglichen Interpretation von Dirk Michaelis und der Gruppe Karussell. Tausende Klicks und „Likes“ von Fans bei youtoube; inzwischen haben auch Größen des internationalen Musikgeschäfts wie Tokio Hotel, Rosenstolz und José Carreras das eindringlich zarte Lied im Repertoire.

Gisela Steineckert spürt den intimsten Regungen der Menschen nach und kennt sie gut, hat sie sich doch dem Leben als verletzlich-empfindender Mensch, als Frau und Mutter tapfer ausgesetzt. Darüber spricht sie und erzählt, wie ihre Worte zu Liedern über Liebe, Sehnsucht, Nähe und Ängste stets leicht, doch tief aus ihrem Erlebten, Gewußten und Gefühlten kommen.

So dürfen die Leser von „Das Leben hat was“ die Weise des dichterischen Schaffens von Gisela Steineckert kennenlernen. Sie, die in der DDR werktätige Frau, bewußte Staatsbürgerin, SED-Mitglied und Kulturfunktionärin war, hat auch weit über das Privat-Individuelle hinaus viel zu sagen – und sie tut es. Die Steineckert ist eine vom Jahrgang 1931 – also jener Deutschen, die im Hitlerfaschismus alt genug zum Hinsehen und Nachdenken, aber zu jung zum Schuldmittragen waren. Die in Bombennächten, Flüchtlingsnöten und Nachkriegselend litten, aber Überlebenswillen bewiesen, ihr Recht auf Zukunft geltend machten und ab 1949 in der DDR ihre besten Talente – Schaffensdrang, Fleiß und Tatkraft – entfalteten.

Gisela entfloh der Bedrückung ihrer demoralisierten, zerrütteten Herkunftsfamilie, löste auch ihre früh geschlossene erste Ehe. Ihren Lebensunterhalt und den für ihre Tochter verdiente sie zunächst als Arzthelferin, dann als Verlagsangestellte. Gedichte der Meister deutscher Sprache, später mehr und mehr auch eigene Verse, boten ihr im harten Arbeitsalltag Sehnsuchtsziel, Ruhepunkt und manchmal einen Zufluchtsort. Beheimatet in einem armen zerbombten Land, das dennoch seine Bürger mit dem Recht auf Arbeit vor Existenznot und sozialer Demütigung schützte, wagte sie es, „den Spuren der Lieder (zu) folgen“. Seit 1957 schreibt sie als freiberufliche Autorin Reportagen, Drehbuch- und Hörspieltexte und feiert ihre großen Erfolge als Lyrikerin.

Sieben Abschnitte hat das Buch, in dem die Steineckert innere Beweg- und tiefe Hintergründe ihres Schaffens darlegt. Einem jeden ist ein Gedicht vorangestellt. Breiten Raum füllen ihre klugen, kritischen und engagierten Stellungnahmen zum Thema Frau-Sein. Vor der Gefahr sich in der Mehrfach-Rolle als Berufstätige, Ehepartnerin, Mutter und gesellschaftlich verantwortliche Funktionsträgerin zu überfordern, habe auch die DDR mit grundsätzlich frauenförderlichen Bedingungen ihre anspruchsvollen Bürgerinnen nicht bewahren können. Jetzt erkennt Gisela um so mehr die Notwendigkeit, sich für die Rechte der Frauen einzusetzen: 1990 wurde sie Vorsitzende des Demokratischen Frauenbundes.

Die Steineckert äußert sich – auf entsprechende Fragen Gutschkes – zu manchen durchaus befremdlichen Erscheinungen in der DDR, über Skrupel- und Gefühllose, Kunstferne und musisch Unwissende höheren Ortes, denen sie neben echten Förderern und hilfsbereiten Unterstützern auch begegnet ist. Sie spricht zugleich über Hemmnisse und Fehlentwicklungen, Mängel und Engpässe bei der Befriedigung materieller oder geistiger Bedürfnisse. Sie tut das mit dem Recht und der Befugnis derer, die engagiert und verantwortlich mitgestaltet haben. Die DDR habe ihre Talente leider immer wieder verloren … was deswegen so tragisch gewesen sei, „weil mit dem, der abhaute, für die DDR auch sein Werk verloren war …, denn man hätte dafür sofort in Valuta bezahlen müssen“.

Auch an andere, zum Teil nahe Begegnungen mit Zeitgenossen aus der kulturellen Szene und politischen Öffentlichkeit der DDR erinnert sich Gisela Steineckert mit rückhaltloser Ehrlichkeit. Dabei geht sie mit diesen entweder freundlich nachsichtig oder auch respektlos um. In manche Rückblicke mischt sich auch Zorn, berechtigt aus der Sicht einer Poetin, die feine seelische Schwingungen spürt und verdichtet, deshalb einzelnen angetanes Unrecht schmerzvoller mitempfindet und entschiedener verurteilt als die meisten anderen Menschen.

Des öfteren scheint in Gutschkes Gespräch mit Gisela Steineckert die klare Unterscheidung zu verschwimmen: Welche der Schwächen und Mißstände waren vermeidbar – also schuldhaft bedingt –, und welche wirtschaftlichen oder konfrontativen Zwängen zuzuschreiben, denen die DDR ausgesetzt war und schließlich unterlag. Anders ausgedrückt: Welche Fehler sind menschlicher Unzulänglichkeit anzulasten, also charakterlichen Schwächen oder selbstsüchtigen Motiven wie der karrierebedachten Neigung, sich der gerade herrschenden Macht anzudienen?

In ihrem „Nachher“-Wort belegt Gisela Steineckert, daß ihre Art rückblickender DDR-Betrachtung sehr wohl an marxistischer Klassensicht, politischer Ökonomie und dialektisch-historischem Materialismus geschult ist. Sie sagt es sehr persönlich: „… den Krieg nicht erlebt (zu haben), das macht andere Vergangenheiten, verhindert auch Zufriedenheiten … Wir hatten doch immer ein Dach über dem Kopf, satt zu essen, und wir waren friedlich, jedenfalls nach außen. Ach ja, aber das reicht nicht. Der nächsten Generation schon gar nicht.“