RotFuchs 212 – September 2015

Amtskirchen befürworten NATO-Kriegspolitik
gegen Widerstand aufrechter Christen

Schwerter statt Pflugscharen

Jobst-Heinrich Müller

Geht es um das Verhältnis von Marxisten und Kirche, so stößt man bei deren Anhängern auf durchaus gegensätzliche Grundauffassungen: Die einen betonen die metaphysische Grundlage und die staatstragende Rolle der Amtskirchen, die anderen das ethisch-pazifistische und soziale Engagement ihrer besten Exponenten – bis hin zur lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Marx und Engels wiesen bereits auf das widersprüchliche Verhältnis der Religion zu einer „verkehrten Welt“ hin, das der bourgeoise Staat und die kapitalistische Gesellschaft fortwährend produzieren. Theologische Haltungen wandeln sich in ihrer Sicht „aus den wirklichen Lebensverhältnissen heraus“. Das religiöse Elend sei einerseits Ausdruck des wirklichen Elends, zugleich aber auch der Protest gegen dieses.

Aus einer solchen Ambivalenz speist sich der Ansatz fortschrittlicher, ethisch-sozial orientierter Strömungen unter christlichen Theologen. Von kommunistischen Pastoren wie Dieter Frielinghaus bis hin zu Pazifistinnen wie der ehemaligen Bischöfin Margot Käßmann reicht das Spektrum jener Christen, die wir zu Recht als engagierte Kampfgenossen oder faktische Bündnispartner betrachten.

Die Zeiten, als Margot Käßmann sich kritisch zum Bundeswehreinsatz in Afghanistan äußerte oder deutsche Waffenexporte anprangerte, wirken indes wie verflogen. Meldete die Nachrichtenagentur dpa noch am 23. 9. 2014, daß 67 % der Bürger bei Meinungsumfragen gegen Waffenexporte in den Nordirak gestimmt hätten, so erfuhr man nur einen Monat später vom selbst die Meinungsmanipulation arrangierenden ZDF-Politbarometer, 62 % der Deutschen befürworteten inzwischen den Kriegseintritt der USA in Syrien und Irak, weil sie Angst vor IS-Anschlägen auch in der BRD hätten.

NS-Propagandachef Joseph Goebbels im Verein mit anderen Nazigrößen und gesinnungskonformen Bischöfen bei einer Veranstaltung der Faschistenorganisation „Deutsche Christen“
Joseph Goebbels mit anderen Nazigrößen bei den „Deutsche Christen“

Gauck, Lieberknecht und andere Kriegsbefürworter in den Kirchen scheinen also den Durchbruch erreicht zu haben. Die Deutsche Bischofskonferenz, die EKD und der katholische Militärbischof – im Bunde mit zahlreichen Christen in der Bundeswehr und „Militärtraditionalisten“ – sind für Waffenlieferungen und Kampfeinsätze als „letztes Mittel gegen den Terrorismus“.

Daß die Spitzen der USA und der NATO den Sturz der Assad-Regierung und die totale Verwüstung ganz Syriens mit Hilfe einer von ihnen „empfohlenen“ Flugverbotszone und der Aufstellung einer 15 000 Mann starken Söldnertruppe systematisch vorangetrieben haben, wird dabei nicht einmal am Rande erwähnt. Zustände, die militärische Interventionen imperialistischer Staaten in Libyen, Afghanistan, Irak und zuvor bereits in Kosovo vorsätzlich ausgelöst haben, fordern täglich eine hohe Zahl an Menschenleben. Ganze Heerscharen von Kriegs- und Hungerflüchtlingen ertrinken, verdursten oder werden als Internierte Opfer brutaler Gewalt und gnadenloser Diskriminierung. Sogar diese von den westlichen Machtzentren selbst geschaffenen Probleme nutzen Spitzenkräfte des Imperialismus skrupellos zum weiteren Anfachen ausländerfeindlicher Ressentiments. Migrations- und Paßgesetze werden systematisch verschärft, während man die Überwachung und den Demokratieabbau forciert. NATO-Einsätze sollen künftig jeglicher Zustimmungspflicht des Parlaments entzogen werden. USA-Präsident Obama verkündet unterdessen die „Rettung der Menschheit“ durch eine Allianz unter Führung der USA, der sich alle unterzuordnen hätten. Und Rußland steht längst wieder auf der „Liste der Bösen“. Zur Kompensation angeblicher oder tatsächlicher Defizite erhöht die Bundeswehr unterdessen ihren Etat für Rüstungszwecke. Ein neues Panzerbataillon für Osteinsätze wurde in Berge-Hohne aufgestellt. Selbst die Ebola-Epidemie in Westafrika suchte man dafür zu nutzen, Truppenkontingente zu „rein humanitären Zwecken“ dorthin zu verlegen.

Das alles wird in der Kirchendebatte von rechten Kreisen als „Christenpflicht“ dargestellt, die zu verweigern „verantwortungslos und unsittlich“ wäre. Was wirklich dahintersteckt, erfährt man nicht zuletzt auch aus Leserbriefen an deutsche Tageszeitungen. „Millionen Christen und deren Priester sind ausdrücklich keine Pazifisten“, liest man dort. Margot Käßmann wurde die Auswanderung nach Kostarika nahegelegt, da sie eine „notorische Hochgradpazifistin“ sei, „die sich mit der ihr eigenen Hybris die alleinige Deutungshoheit auf Gottes Worte anmaßt“. Ihre Haltung sei „Gesäusel auf einer Insel“. Dieser Anfeindung folgten alttestamentarische Bibelzitate, die mit der grotesken Behauptung verbunden wurden, Jesus sei ein Befürworter des Soldatentums und des Krieges gewesen.

Das aber zeigt deutlich, daß sich unter den derzeit rund 48 Millionen Mitgliedern beider großer Kirchen Deutschlands nicht wenige militaristische „Schläfer“ verbergen, die inzwischen Morgenluft wittern.

Zugleich schrumpft in einer sich profanisierenden und säkularisierenden Gesellschaft die Zahl eingetragener Konfessionsanhänger ständig. Viele betrachten die Kirche nur noch als eine Art Service-Einrichtung für familiäre „Wellness“ und bestimmte Dienstleistungen. Das zeigen ganze Austrittswellen anläßlich der neuen Kapitalertragssteuer-Bestimmungen. Die Kindesmißbrauchs-Skandale und üble Geschehnisse im Zusammenhang mit dem tariflichen Sonderstatus kirchlicher Einrichtungen beschleunigten diesen Trend.

Doch der Staat ist darauf angewiesen, die Zustimmung der Kirche als einer einflußreichen moralischen Institution für seine den Frieden untergrabende Politik zu erlangen. Das scheint erreicht zu sein, seitdem Frau Merkel ausgerechnet am vorjährigen Weltfriedenstag ihre neue Rüstungsoffensive starten konnte, die sie ohne moralische Skrupel als angebliches Zeichen „mitmenschlicher Verantwortung für den Frieden“ auszugeben wagte.

Wie viele Christen in kleinen Arbeitskreisen und einzelnen Gemeinden noch pazifistisch engagiert sind, läßt sich nicht mit Exaktheit bestimmen. Fest steht jedoch, daß sie hierzulande in der Amtskirche schlechte Karten haben. Darum kommt es für uns heute mehr denn je darauf an, unsere humanistisch gesinnten Bündnispartner in den Kirchen zu unterstützen und ihnen Mut zu machen, den innerkirchlichen Kriegsbefürwortern aufrecht entgegenzutreten.