RotFuchs 191 – Dezember 2013

Spontan gegen Nazis: die Edelweißpiraten

Thomas Behlert

Dirk Reinhardts Buch „Edelweißpiraten“ konnte ich nicht aus der Hand legen. Nachdem ich die ersten Seiten auf einer Bahnfahrt verschlungen hatte, las ich den weiteren Text die Nacht hindurch. Er ließ mich einfach nicht los. Ich wollte unbedingt wissen, wie die Geschichte weiterging.

In der Zeit, als die Nazis in Deutschland ihre Diktatur errichteten, gab es Jugendliche, die sich nicht vereinnahmen ließen. Sie wollten weder in die Hitlerjugend noch an der vormilitärischen Ausbildung teilnehmen, waren anders als die meisten jungen Deutschen jener Jahre, liebten die Freiheit, trugen lange Haare und kleideten sich auf recht ungewöhnliche Art. Das alles waren Dinge, welche die auf „Zucht und Ordnung“ bedachten Faschisten in Rage versetzten und zu Repressalien greifen ließen.

Die Edelweißpiraten trafen sich in Parks, an Seen und in Wäldern, sangen lustige und besinnliche Lieder, wanderten und wollten anfangs von politischen Dingen überhaupt nichts wissen. Dirk Reinhardts Geschichte ist zwar erfunden, könnte aber Satz für Satz wahr sein, da es die Edelweißpiraten wirklich gab und alle ähnliches erlebt hatten. In Form eines Tagebuches erzählt der Autor den Werdegang einiger Aktiver aus dem Kölner Umfeld.

Zunächst war da der alte Gerlach, der sich mit dem 16jährigen Daniel anfreundet und ihm schließlich sein Tagebuch übergibt. Während der Lektüre erfährt der Junge, wie „Gerle“, so der Spitzname des Piraten, zur Clique stieß und was er bis zum Ende des Krieges alles mit seinen Freunden durchstehen mußte. Von Beginn an durch die HJ drangsaliert, weil er anders war und sich nicht anpassen wollte, floh er vor denen und fand Freunde bei Freiheitsliebenden, die sich Kralle, der Lange, Frettchen, Tilly, Maja, Goethe, Tom, Flocke und Flint nannten.

Eingehend wird der Konflikt zwischen dem Tagebuchschreiber und seinem Bruder Horst geschildert, der als 16jähriger auf eine SS-Eliteschule ging und schließlich Lageraufseher wurde. Bis kurz vor Toresschluß blieb er bei der SS.

„Gerle“ hingegen entwickelte sich mit der Zeit weiter. Verfolgt und brutal von Gestapo und Polizei mißhandelt, wurde er zum Antifaschisten. Er verteilte Flugblätter, schrieb Antikriegsparolen an Mauern und Häuserwände. Irgendwann begann er dann mit militanten Aktionen, weil die Wut und der Haß gegen die Nazischergen – vom Blockwart bis zur Gestapo – alle Dimensionen sprengte. Doch so richtig wollten die Edelweißpiraten nicht an eine bessere Zukunft glauben. „Selbst wenn die Nazis mal nicht mehr sind: Es ändert sich nichts. Die Großkotze haben weiter das Sagen, und Leute wie wir sind ihre Fußabtreter“, schrieb Gerle in sein Tagebuch. Trotz solcher nihilistischer Anklänge wahrten die Freunde ihre Menschlichkeit, die Liebe zu schönen Dingen des Lebens, standen sie füreinander ein. So war es nur selbstverständlich, daß sie sowjetischen Menschen halfen, die aus umliegenden Lagern geflohen waren, und daß sie sich am Ende um ein elternloses Kind kümmerten.

Auf dem Weg zum Frieden verlor der Tagebuchschreiber wichtige Freunde, die den Nazis nicht mehr zu entfliehen vermochten. Doch Reinhardt, der mit diesem spannenden Roman den Edelweißpiraten ein Denkmal setzt, weist im Nachwort darauf hin, daß auch sie Gegner des Naziregimes waren und deshalb nicht vergessen werden dürfen. Er erklärt, warum man sich erst in den 80er Jahren dessen bewußt wurde, daß nicht nur eine politische Vorhut den Faschismus bekämpfte, sondern auch Menschen ganz anderer Art. Die Edelweißpiraten unternahmen viele spontane Aktionen. Sie waren Jugendliche, die zunächst einmal Spaß haben wollten und schließlich mit allen Mitteln für ihre Freiheit stritten.

In der BRD herrschte die Ansicht vor, die Edelweißpiraten seien keine Widerstandskämpfer, sondern Unruhestifter gewesen. So beantragte die Mutter des von den Faschisten hingerichteten 16jährigen Bartholomäus Schink zehn Jahre nach dessen Tod beim Kölner Regierungspräsidenten die Anerkennung ihres Sohnes als politisch Verfolgter. 1964 lehnte die Behörde den Antrag mit der Begründung ab, es habe sich bei den Edelweißpiraten wohl eher um eine „Verbrecherbande“ gehandelt. Dieser Wertung lagen die Aussagen ehemaliger Gestapobeamter zugrunde, während das Wissen früherer Edelweißpiraten völlig ignoriert wurde.

Dirk Reinhardt:

Edelweißpiraten

AufbauVerlag, Berlin 2012, 254 Seiten

8,99 Euro