RotFuchs 216 – Januar 2016

Der Sächsische Bergsteigerchor „Kurt Schlosser“
begeisterte Hunderttausende

Traditionstreue mit neuen Akzenten

Peter Salzmann

Nur wer seine Geschichte kennt, wird seine Lieder verstehen. Kraftvoll-voluminös, auch filigran- feinfühlig erklingen seine Weisen seit fast 90 Jahren. Der Sächsische Bergsteigerchor „Kurt Schlosser“ Dresden ist ein Unikat, dessen Tradition in der Sächsischen Schweiz wurzelt. Wenn die maximal 120 Stimmen zu hören sind, begeistern sie die Besucher aus nah und fern.

Alljährlich ist der Bergsteigerchor in nahezu 25 Konzerten zu hören – im In- und Ausland. Das war vor 1933 so, besonders auch vor 1989 – und das ist bis heute so geblieben, wenn auch unter gesellschaftlich anderen Bedingungen als eingetragener Verein. Eine glatte Straße war sein Weg nie – oft steinig und beschwerlich. In den vielen Jahren seines Bestehens hat der Chor alles erlebt: herrliche Stunden in den Bergen, Konzertsälen und auf Freilichtbühnen, aber auch menschliche Tragödien, Anfeindungen, Verfolgung und Verbot durch die Faschisten, solidarische Hilfe und Befreiung, Lob und Kritik, anstrengende Proben, Dankbarkeit und Förderung, Beifall, Jubel wie Freudentränen.

Der Bergsteigerchor erinnert mit seinem Namen an Kurt Schlosser, der am 16. August 1944 im Hof des Landesgerichts Dresden hingerichtet wurde. Der Tischler, Naturfreund und Kommunist hat bis 1933 und in der Illegalität die Geschicke seines Chores nachhaltig geprägt. Über 50 Sänger nahmen bis 1945 am antifaschistischen Widerstandskampf teil, 47 litten in Konzentrationslagern, Zuchthäusern, Gefängnissen und Strafbataillonen. Elf zahlten mit ihrem Leben.

Vor der Bergsteigerchor-Geschäftsstelle in Dresden-Johannstadt erinnert ein Gedenkstein an Kurt Schlosser. In Kleinhennersdorf erblickt man zwei Denkmale vor der Chorhütte: eine 2,40 m hohe Keramikstele und ein Bronzedurchbruch-Relief auf einem Elbsandsteinquader – beide von Professor Walter Howard. Die Kunstwerke erinnern an die „Roten Bergsteiger“ um Kurt Schlosser und die 1. Deutsche Arbeiter-Kaukasus-Expedition, die 1932 für Aufsehen sorgte. 2015 wurde auf Initiative des Chores vor der Leipziger Straße 72 in Dresden-Pieschen – dort stand Schlossers Tischlerwerkstatt – ein Stolperstein verlegt. In ihrer Satzung bezeichnet sich die Sängergemeinschaft als „parteienunabhängigen Männerchor, der sich den antifaschistisch-demokratischen und humanistischen Traditionen heutiger und vergangener Generationen verbunden fühlt“.

Zum Chor gehören derzeit etwa 120 aktive Sänger im Alter zwischen 25 und 80 Jahren. Seit dem Gründungsjahr 1927 konnte der Klangkörper seine musikalische Visitenkarte in mehr als 650 Städten und Gemeinden in 13 Ländern Europas, Asiens und Amerikas hinterlegen. Zahlreiche Rundfunk- und Fernsehproduktionen, CDs und Videos haben ihre Liebhaber gefunden. Sein Repertoire – geprägt von den Dirigenten Richard Eißler, Werner Matschke, Karl Heinz Hanicke, Axel Langmann und seit 2013 von Kapellmeister Christian Garbosnik – ermöglicht vielseitige Liedfolgen, unterstützt von professionellen Künstlern, die für hohe Publikumsgunst sorgen.

Ehrendirigent Werner Matschke, der den Chor über 40 Jahre formte, steuerte etwa 100 eigene Kompositionen und Arrangements bei. 22 Jahre war er Direktor des renommierten Kulturpalastes Dresden. Unter seinem Direktorat erlebte dieses Haus des Volkes seit 1969 über 83 000 Veranstaltungen mit 25 Millionen Besuchern. Seither konnte der Bergsteigerchor „Kurt Schlosser“ stets zur Herbstzeit im ausverkauften Festsaal zu seinen traditionellen Jahreskonzerten bis 2011 – dem Zeitpunkt der Schließung des Hauses – insgesamt 200 000 Freunde des Chorgesangs begrüßen. Eine Bilanz, die unter Laienchören weltweit wohl ihresgleichen sucht.

Doch trotz hoher Publikumsgunst und vieler Ehrungen zu DDR-Zeiten, als die Reichsbahndirektion Dresden der Trägerbetrieb des Chores war und das Ensemble vorbildlich unterstützte, bleiben die Sänger bis in unsere Tage selbstkritisch. Axel Langmann – Werner Matschkes Nachfolger als Künstlerischer Leiter ab 2003 – betont: „Disziplinierte und engagierte Proben sind für uns unerläßlich.“ Das sei die Grundlage aller Erfolge und zugleich auch die Arbeit der Stimmbildnerin Marlen Herzog.

Die „Sächsische Zeitung“ veröffentlichte 1978 einen Brief von Peter und Petra Krawitz aus Freital über das traditionelle Bergsingen in den Schrammsteinen. Darin liest man: „Ein Urlaubserlebnis werden wir nie vergessen – das Singen des Bergsteigerchores. Schon Tage zuvor erkundigten wir uns bei einem Elbfährmann nach der besten Wandertour dorthin. Aber wir konnten den Weg gar nicht verfehlen, denn wie wir hatten viele Menschen das gleiche Ziel. Der Anblick war herrlich – vor dem Wald der machtvolle Chor. Die Bäume rauschten wie zur Begleitung. Es war ein friedliches Bild. Möge es von niemandem zerstört werden!“

250 Berg-, Wander-, Arbeiter- und Weihnachtslieder, deutsche und internationale Volksweisen, seit 1990 auch zeitkritische Songs, dazu Werke großer Meister – von Beethoven über Wagner, Mozart, Schubert und Weber bis zu Schostakowitsch – geben den Konzerten ein besonderes Flair.