RotFuchs 212 – September 2015

Nachdenken über Programm und Praxis
der Europäischen Linkspartei

„Transformation“ oder Systemwechsel?

Erik Höhne

Während die PDS/PDL zu den Gründungsmitgliedern der Europäischen Linkspartei (ELP) gehört, bemühte sich die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) unter ihrer damaligen Führung um einen bis heute bestehenden Beobachterstatus. Er ist Gegenstand inhaltlicher Auseinandersetzungen. Inzwischen wird nämlich in der DKP und nicht nur in ihr über die Einschätzung des Charakters der ELP heftig gestritten. Dabei geht es vor allem auch um die Frage, ob dieser Zusammenschluß tatsächlich dazu in der Lage ist, fortschrittlicher Politik in Europa Impulse zu geben und ob sich die DKP – wenn ja, in welcher Form – weiterhin an einem nichtmarxistischen Projekt beteiligen solle.

In diesem Zusammenhang dürfte es nützlich sein, das 2004 beschlossene ELP-Programm auf den Prüfstand zu stellen. Es gewährt der Beschreibung gegenwärtiger Zustände in der Europäischen Union breiten Raum: Armut, Frauenunterdrückung, Militarisierung, Privatisierung öffentlichen Eigentums, Zerstörung sozialer Sicherungssysteme, Raubbau an der Natur, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, Demokratieabbau und Rassismus – alles Mißstände, die deutlich gegeißelt werden. Dies dürfte ohne Zweifel in der DKP auf einhellige Zustimmung stoßen. Zudem stellt das Programm fest: „Das sozialdemokratische Konzept des dritten Weges ist in Europa gescheitert …“ Auch diese Aussage trifft den Nagel auf den Kopf und weckt Neugier auf daraus gezogene Schlußfolgerungen.

Was aber bietet die ELP konkret an? Ihr Selbstverständnis sei in den Traditionen von Sozialismus, Kommunismus, Feminismus, Ökologie, Frieden, Humanismus, Antifaschismus und liberalem Denken begründet. Ein wirklich buntes Kaleidoskop, das Linken in Europa da angeboten wird! Der Sozialdemokratie bescheinigt man Bankrott, während zugleich der bürgerliche Liberalismus eingemeindet werden soll.

Als Ziel der eigenen Politik wird die den RF-Lesern bereits bekannte „Transformation“ des Kapitalismus benannt. Wohin soll denn da was „transformiert“ werden? Doch nicht etwa zum Sozialismus! Dies bleibt ein Geheimnis der Autoren des Programms. Übrigens erscheint das Wort Sozialismus im gesamten Dokument kein einziges Mal. Stattdessen beschränkt man sich auf Werte wie Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Da es aber praktisch keine Partei gibt, die den Krieg und die soziale Ungerechtigkeit offen als ihre programmatischen Ziele benennt, ist man mit solcherlei Auskünften so schlau wie zuvor.

Die angebotene „Werteorientierung“ erinnert fatal an den Weg der SPD nach dem Zweiten Weltkrieg. Lediglich der Zusatz „Mit freundlichen Grüßen aus Bad Godesberg“, der hier angebracht wäre, fehlt. Ist die Sozialdemokratie also doch nicht so ganz gescheitert? Oder erlebt sie hier gar eine Renaissance?

Die inzwischen bereits abgegriffene und eindeutig identifizierte „Transformations“-Theorie geht davon aus, daß es im Kapitalismus schon Ansätze gebe, die sich in Richtung einer Systemalternative weiterentwickeln ließen. Es handelt sich also um die definitive Absage an die von Marxisten-Leninisten aus gutem Grund erklärte Notwendigkeit eines revolutionären Bruchs mit dem kapitalistischen System.

Abgesehen von solchen antimarxistischen Kernaussagen enthält das Programm auch eine ganze Reihe Forderungen, die im gesamten linken Spektrum konsensfähig sind: erweiterte Rechte für Lohnabhängige, keine Privatisierung öffentlicher Daseinsfürsorge, Zugang zu Bildung, Wasser, Nahrung und Gesundheit ohne jede Diskriminierung. Dabei sollen der Stabilitätspakt und die Politik der Europäischen Zentralbank „infrage gestellt“ werden. Verlangt wird zugleich auch eine Distanzierung von der Politik solcher Institutionen wie WTO, IWF und NATO. Die Europäische Union, der das Programm den Charakter eines „Raums für alternative Politik“ bescheinigt, soll durch „Kompetenzerweiterung ihrer gewählten Institutionen“ umgestaltet werden. Der Charakter der EU als Instrument vor allem bundesdeutscher Großmachtpolitik bleibt dabei ausgespart, da sie ja generell nicht auf Ablehnung stößt.

Fazit: Wir haben es hier mit einem sozialdemokratisch geprägten Dokument zu tun. Berechtigte Kritik wird mit ebenso berechtigten Einzelforderungen verbunden. Dies alles aber erscheint eingebettet in die grundsätzliche Akzeptanz des Bestehenden. Zwar wird das Motiv des „Antikapitalismus“ bemüht, aber in einer Weise, daß man sich mit „etwas mehr Demokratie“ in eine andere Gesellschaft „hineintransformieren“ könne, von der man allerdings nicht viel mehr zu sagen weiß, als daß sie schöner sein werde als die bestehende.

Wenn wir nun in Betracht ziehen wollen, zu welcher praktischen Politik dieser Aufguß an Beliebigkeit führt, dann stoßen wir auch hier auf Merkwürdigkeiten. Die wichtigsten Mitgliedsparteien der ELP sind derzeit neben der PDL die französische PCF und die griechische Syriza. In einem Interview mit der in Hamburg erscheinenden Wochenzeitung „Die Zeit“ unterbreitete einer ihrer Politiker den Vorschlag, die BRD solle doch in der Europäischen Union die „Hegemonie“ übernehmen. Doch leidet Griechenland nicht gerade darunter, daß Berlin diesen Gedanken längst umgesetzt und sich an die Spitze der Erpresser Athens begeben hat? Was die PCF betrifft, so billigte sie erst vor geraumer Zeit den neokolonialistischen Kampfeinsatz der französischen Armee in Mali.

Zusammenfassend möchte ich feststellen, daß es für eine kommunistische Partei keinen Grund gibt, sich um eine Mitgliedschaft in der ELP zu bemühen. Das schließt natürlich Aktionseinheit bei konsensfähigen Fragen nicht aus.

Von Befürwortern eines ELP-Beitritts in der DKP wird gelegentlich auf Lenin verwiesen, der in seinem Werk „Der ,linke Radikalismus‘ – die Kinderkrankheit im Kommunismus“ vor jeglichem selbstisolierenden Sektierertum gewarnt hatte. Doch dieser Verweis geht hier daneben. Lenin erläuterte in der genannten Schrift, warum sich Kommunisten auch an Parlamentswahlen und der Arbeit in nichtrevolutionären Gewerkschaften beteiligen sollten. Er warnte zugleich nachdrücklich davor, Widersprüche im gegnerischen Lager ungenutzt zu lassen und Kompromisse in jedem Fall als Verrat zu brandmarken. Keinesfalls aber stellte der Führer der Bolschewiki die organisatorische Eigenständigkeit und die ideologische Geschlossenheit der kommunistischen Parteien infrage oder empfahl ihnen gar den Anschluß an internationale Vereinigungen der Sozialdemokratie.

Die DKP dürfte besser beraten sein, wenn sie sich an der Schaffung einer neuen internationalen Kooperation kommunistischer Parteien beteiligt, als dubiosen Vereinigungen – mit welchem Status auch immer – angehören zu wollen. Es dürfte klar sein, daß es sich dabei nicht um eine „Neuauflage“ der alten Komintern handeln kann, die ihren Platz in der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung hatte, sondern um einen Zusammenschluß, der heutigen Bedingungen entspricht. Dieser sollte mit Dachorganisationen wie der ELP auf jenen Feldern als selbständiger und gleichberechtigter Bündnispartner zusammenwirken, wo das Maß an Gemeinsamkeiten ausreicht.

Unser Autor ist Vorsitzender der Geschichtskommission der DKP.