RotFuchs 228 – Januar 2017

TROTZ ALLEDEM!

Erich Weinert

Karl Liebknecht / Grafik: Dieter Dressler (1983)

 

Wir gingen oft in langer Reih
Schweigend an eurem Grab vorbei,
Und rote Blüten regneten
Aus tausend Händen ins Gesträuch
Auf daß wir euch
Mit unsrer Liebe segneten.

Wir wurden alle Jahre mehr.
Wir wurden unbequem.
Da stand der Feind mit dem Gewehr.
Gewehre trieben uns nicht fort.
Denn aus dem Grabe kam das Wort:
Trotz alledem!

Wir kamen wieder, nicht voll Gram;
Wir kamen wie ein Heer.
Das Wort, das aus dem Grabe kam,
Das hat sich uns ins Herz gebrannt,
Hat uns ermutigt und ermannt.
Wir wurden mehr.

Wir wurden mehr. Doch unser Feind
Brach heimlich über uns herein.
Er riß vom stummen Grab den Stein
Und trat in wilder Wut
Die Blüten in die Erde ein
Und säte Blut.

Doch alle Jahre blüht es neu.
Der Fremde steht und flüstert scheu:
„Hier war ein Grab. Von wem?“
Der andre flüstert: „Hörst du nicht
Das Wort, das aus der Erde spricht:
Trotz alledem!“

Ihr Leichenschänder ohne Scham:
Das Wort, das aus dem Grabe kam,
Klingt euch nicht angenehm.
Karl Liebknecht lebt in unsern Reihn.
Hell über Deutschland donnert sein

TROTZ ALLEDEM!

Erich Weinert schrieb das Gedicht „Trotz alledem!“ 1936 im Moskauer Exil nach der vollständigen Zerstörung des von Ludwig Mies van der Rohe geschaffenen Luxemburg-und-Liebknecht-Grabdenkmals durch die Faschisten.