RotFuchs 213 – Oktober 2015

Über Schätze, die viele
nicht zu schätzen wußten

Ingrid Glow

Etliche Fragen bewegen mich in der Diskussion um die Eigentümerproblematik der Arbeiter in den Betrieben der DDR und deren Nichtverteidigung in der „Wende“-Zeit. Wollten die meisten Werktätigen – wie wir damals sagten – denn tatsächlich Eigentümer der Produktionsmittel sein? Waren sie sich bewußt, die führende Klasse im Sozialismus zu sein? Schätzten sie die Subventionen für vielerlei Dinge des Alltags? Waren sie froh über Sauna, Arzt, Friseur und andere Dienstleistungen im Betrieb? Hatten sie verinnerlicht, daß sie jederzeit einen sicheren Arbeitsplatz besaßen, ihre Kinder eine solide Bildung und beim Studium ein Stipendium erhielten? Und das alles nur, weil sie Besitzer der Produktionsmittel waren?

Es sei mir gestattet, eine Antwort zu geben. Sie lautet: Nein. All das war für die meisten selbstverständlich. Das Reden über die Vorzüge des Sozialismus mit diesen Eigentumsverhältnissen ließ die Mehrheit völlig kalt. Hinzu kam: Eine überalterte und von den Massen getrennte SED-Führung mit einer sich in Wiederholungen erschöpfenden und daher weithin wirkungslosen Agitation und Propaganda.

1989/90 erlebte ich Arbeiter, die Losungen an ihren Autos angebracht hatten wie „Wir sind ein Volk – wählt CDU!“

Als mein Mann, der 1991 Betriebsratsvorsitzender (in der DDR BGL-Vorsitzender) des größten Unternehmens unserer Stadt war, seine Kollegen zum Protest gegen die Schließung des ELMO-Teilwerkes vor die Kreisverwaltung führte, folgte dieser Initiative keine weitere Belegschaft. Die Arbeiter meinten, es werde schon nicht so schlimm kommen. (Heute gibt es in Demmin keinen einzigen großen Betrieb mehr.)

Alles strebte damals nach mehr Konsum, fing die Bananen – von den Marktschreiern ins Volk geworfen –, wühlte an den Tischen mit der Bekleidung. Das war die Gier nach dem „Endlich-richtig-einkaufen-Können“. So etwas hatte die rohstoffarme, an der Scheidelinie beider Machtblöcke liegende DDR nicht zu bieten.

Und die Arbeiter in der BRD? Waren sie solidarisch, als die größte Arbeitslosigkeit in der „abgewickelten“ DDR begann? Dachten sie an die historische Mission der Arbeiterklasse? Das auch von mir viele Jahre Gelehrte hat leider nicht gegriffen.

Die Gegenwart beweist es: Es zeigt sich keine mächtige Protestwelle in Europa und darüber hinaus, wenn es um Erpressung, Demütigung und schließlich Kolonialisierung des griechischen Volkes geht. Ich denke, wenn der Mensch einen Arbeitsplatz hat, der ihn und seine Familie gut ernährt und ihm überdies das Reisen ermöglicht, wenn er ein „Häuschen im Grünen“ oder eine bezahlbare Wohnung und etwas mehr sein eigen nennt als der Nachbar, dann reicht es ihm. Eigentümer der Produktionsmittel zu werden – so glaube ich –, interessiert nur wenige. Das aber wissen die Apologeten des Kapitals ganz genau. Darum spalten sie das Volk, beginnend in der Schule, manipulieren es über die Medien, die ihnen hörig sind, und geben den Ärmsten so viel, daß sie davon leben können. Jedenfalls in der BRD.