RotFuchs 209 – Juni 2015

Geht es um die Transformation des Kapitalismus
oder der Partei Die Linke?

Über Täuschungsmanöver
der gehobenen Art

Prof. Dr. Herbert Meißner

Die Möglichkeit, für 2017 eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene vorzubereiten, geistert seit einiger Zeit durch die Büros von Politikern und die Spalten von Zeitungen und Zeitschriften. Den Zusammenhang dieser Strategie mit dem Transformationskonzept stellt Dieter Klein in der Erwartung her, sie „könnte Chancen für einen Crossover-Dialog auch im Parteienspektrum bieten.“ Dieser ergibt sich auch aus der These von Michael Brie und Dieter Klein, das Transformationskonzept könne sich als „neues strategisches Fundament“ der „Linken“ erweisen.

Bestandteil dieses „Fundaments“ ist die Forderung nach Rückkehr zu einem „erneuerten Sozialstaat“. Das heißt – und es wird auch von den einschlägigen Autoren so beschrieben –, daß die Beherrschung der gesamten Volkswirtschaft durch die Großbanken, durch die Industriemonopole und die Rüstungskonzerne auf die Ebene eines Konkurrenzkapitalismus bzw. einer Wettbewerbswirtschaft nach Ludwig Erhards Motto und Walter Euckens Muster heruntergeschraubt werden soll. Dieter Klein und Michael Brie meinen, „die Bundesrepublik könnte einen besonderen Beitrag zum Einstieg in eine Transformation des gegenwärtigen neoliberalen und finanzmarktgetriebenen Kapitalismus hin zu einer sozial und ökologisch regulierten bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaft leisten“.

Nun ist aber in der Wirtschaftswissenschaft längst nachgewiesen, daß und wie aus der sogenannten freien Konkurrenzwirtschaft durch Konzentration und Akkumulation des Kapitals Monopole entstanden, wie sich durch den Kampf der Monopole, Konzerne und Trusts um die profitabelsten Anlagesphären der Finanzmarkt entwickelte und wie dadurch die Lösung des Finanzkapitals von der Realwirtschaft entstand. Es handelt sich also um eine historische und ökonomische Gesetzmäßigkeit, die nicht durch einige Reformen auf sozialpolitischem Gebiet außer Kraft gesetzt werden kann.

Aber auf der Grundlage dieses „erneuerten Sozialstaats“ sollen nun „praktische solidarische, potenziell sozialistische Elemente, Tendenzen, Eigentumsverhältnisse und politische Formen zu erkennen, aufzugreifen und als Ansätze gesellschaftlicher Transformation zu entfalten (sein)“. Diese „potenziell sozialistischen Elemente, Tendenzen und Eigentumsverhältnisse“ sollen „die Umgestaltung im Kapitalismus“ bedeuten. Diese aber soll darin bestehen, daß durch die Errichtung kleiner Solarparks, durch Genossenschaften sowie durch kommunale Wasserversorgung und ähnliche mittelständische Aktivitäten „eine Gegenbewegung zum neoliberalen Privatisierungsrausch“ entsteht. „Es werden Chancen dafür eröffnet, dem Gemeinwohl den Vorrang vor dem Profit zu geben.“

Der Schluß lautet: „Dem Finanzkapitalismus kann das Genick gebrochen werden.“

Wie ähnlich sind doch diese Formulierungen jenen, die in der Weimarer Zeit von SPD-Führern und Gewerkschaftsfunktionären benutzt wurden. In einem Band über „Wirtschaftsdemokratie“ (1928) heißt es, daß damit „neue konkretere Vorstellungen über den Weg zur Verwirklichung der neuen Gesellschaftsstruktur verbunden sind.“ Das Ziel: „Durch Demokratisierung der Wirtschaft zum Sozialismus.“ Die Demokratisierung der Wirtschaft wird „als ein Prozeß der Umwandlung des Wirtschaftssystems vom Kapitalismus zum Sozialismus“ verstanden. 1928 schrieb Fritz Naphtali „Heute sehen es die Gewerkschaften und die sozialistischen Parteien überall als ihre Aufgabe an, Krisenerscheinungen zu bekämpfen. Das Ziel ihrer Wirtschaftspolitik ist Überwindung, Milderung und Verhütung der Krisen.“ Zu welchem Ergebnis diese politische Strategie geführt hat, dürfte hinreichend bekannt sein.

Interessant ist jedoch, daß das Scheitern dieses sozialreformistischen Konzepts in einem Kapitalismus stattfand, der aus dem 1. Weltkrieg deutlich geschwächt hervorging und sich erst wieder in einer monopolistischen Aufbauphase befand. Um wieviel weniger realistisch ist die Erwartung, mit dem gleichen Konzept eine „Transformation über den Kapitalismus hinaus“ in einem Finanzmarktkapitalismus erreichen zu können, der politisch, wirtschaftlich und militärisch unwahrscheinlich viel stärker, erfahrener und falls nötig auch schlagkräftiger ist, als es Weimar je war.

Angesichts dessen die gleiche Strategie als neue Vision den heutigen Linkskräften zu empfehlen, ist von ernsthafter Wissenschaft und verantwortungsvoller Politik weit entfernt. Der Prüfstein für die Richtigkeit einer Theorie bleibt immer noch die Praxis.

Dennoch haben diese Vorstellungen Anklang im Führungszirkel der Partei Die Linke gefunden und werden von vielen Medien verbreitet. Eine solche sozialreformistische Orientierung ist aber Voraussetzung für eine Annäherung an SPD und Grüne. Dafür wird auch der demokratische Sozialismus mal schnell zum „grünen Sozialismus“ umdeklariert. Aber dieser strategischen Absicht steht noch (?) das von der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder getragene Erfurter Programm entgegen. Es fordert den Kampf gegen das bestehende System bis hin zu Generalstreik und zivilem Ungehorsam, letztlich die Überwindung des Systems statt seiner allmählichen Transformation. Dieses Programm verlangt die Ablehnung von Bundeswehreinsätzen im Ausland, das Verbot des Waffenexports und den Ausstieg aus der NATO.

Statt dessen propagieren die Transformationstheoretiker „UN-mandatierte Bundeswehreinsätze im Ausland“, ausgewählte Waffenexporte und den Verbleib in der NATO einschließlich aller damit verbundenen militärischen Verpflichtungen.

Weder für die SPD noch für die Grünen ist eine „Linke“ mit dem Erfurter Programm als Regierungspartner akzeptabel. Soll also die von namhaften linken Politikern angestrebte Anerkennung ihrer Regierungsfähigkeit erreicht werden, erfordert dies eine sozialreformistische Umformung der Partei. Als ideologische Grundlage dafür dient das Konzept einer „Transformation des Kapitalismus“. Allerdings weist dieses Konzept nicht „über den Kapitalismus hinaus“. Es würde vielmehr zu einer sozialreformistischen Transformation der Partei führen, die ihren antikapitalistischen und friedenspolitischen Charakter verlöre. Es gilt, das gemeinsam zu verhindern!