RotFuchs 188 – September 2013

Ukrainische Nazis und ihre Wurzeln

Willi Gerns

Nach seinen erfolgreichen Publikationen „Schöne Grüße aus Pullach. Operationen des BND gegen die DDR“ (2000) und „Der Krieg deutscher Geheimdienste gegen den Osten seit 1917“ (2011), hat Oberstleutnant a. D. Helmut Wagner, Spezialist der Spionageabwehr des MfS der DDR, nun ein neues Buch vorgelegt.

Ausgangspunkt ist der Einzug von 37 Abgeordneten der ultranationalistischen, profaschistischen Partei „Swoboda“ in das zentrale Parlament der Ukraine Ende 2012. Im Westen des Landes mit Lwiw (Lwow) als Zentrum erhielt diese Gruppierung sogar mehr Stimmen als jede andere Partei. Besonders skandalös ist dabei, daß ihre Erfolge nicht zuletzt das Ergebnis von Wahlabsprachen der durch Politiker wie Medien der BRD und anderer westlicher Mächte als „demokratische Opposition“ gefeierten Parteien Batkiw-schtschina“ (Vaterland) der Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko und „Udar“ (Schlag) des Box-Champions Vitali Klitschko mit den Ultrarechten sind. Nach den Wahlen handeln diese Parteien nun im Parlament und auf der Straße in der Manier einer Oppositionskoalition. Überdies haben sie mit Blick auf die nächsten Präsidentenwahlen bereits einen von den Parteivorsitzenden unterzeichneten Wahl-Pakt vereinbart.

Der Erfolg von „Swoboda“ wirft die Frage nach den Wurzeln des starken Einflusses ultranationalistischer, profaschistischer Kräfte in der Ukraine und besonders in deren westlichen Regionen auf. Diese reichen weit in die Geschichte zurück, vor allem aber in die Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Damals nahm der ukrainische Nationalismus einen steilen Aufschwung. Dementsprechende Formationen bildeten sich heraus. Deren bedeutendste war die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Sie konstituierte sich Anfang 1929 und strebte die Errichtung eines unabhängigen ukrainischen Staates an. Ein absoluter Herrschaftsanspruch bildete den Kern ihrer Ideologie. Alle anderen politischen Vorstellungen und Ziele sollten als feindlich bekämpft werden. Individueller Terror galt dabei als legitim. Das Credo lautete: „Die Idee von Expansion, Gewalt, Härte und fanatischem Kampf führt zur Nation. Dieses Interesse steht über allem.“

Dem individuellen Terror der OUN fielen bereits in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen Polen, Juden und Russen, aber auch Kommunisten in großer Zahl zum Opfer. Dies wird in Wagners Buch anhand konkreter Beispiele belegt. Er stellt fest, daß die OUN „nichts anderes als eine typische Vertreterin der in den 20er Jahren in Europa entstandenen nationalistischen Bewegungen mit faschistischer Grundausrichtung“ gewesen sei.

Noch vor dem 2. Weltkrieg kam es bereits zu einer Zusammenarbeit zwischen dem militärischen Geheimdienst der Nazis und der OUN, die im Vorfeld des Überfalls auf Polen und in dessen Verlauf intensiviert wurde. Im Frühjahr 1938 schlossen der Apparat von Admiral Canaris und die OUN einen schriftlich fixierten und von den Vertretern beider Seiten unterzeichneten Pakt. Er sah u. a. die geheimdienstliche und militärische Ausbildung von Angehörigen der OUN sowie den Aufbau von Diversionsgruppen aus deren Mitgliedern vor. Diese wurden dann als Killerkommandos zu Massakern unter Intellektuellen und Juden eingesetzt.

Im Ergebnis eines langandauernden Konflikts zwischen der Exil-OUN und der Landesexekutive kam es 1940 zur Spaltung dieser Organisation. Die Anhänger Banderas erklärten sich zur einzig legitimen Organisation Ukrainischer Nationalisten und nannten sich fortan OUN-B, wobei das B für Bandera stand. Die andere Gruppierung bezeichnete sich nun als OUN-M (M für Melnyk). Die hitlerfaschistische Abwehr nutzte beide Gruppen für ihre Ziele.

Mit dem Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion begann der blutigste Abschnitt in der Geschichte des ukrainischen Nationalismus. An zahlreichen Beispielen stellt der Autor die Rolle der OUN bei der Aufstellung der „Legion Ukrainischer Nationalisten“, der Mordbanden „Nachtigall“ und „Roland“, der Galizischen Waffen-Grenadier-Division der SS und anderer Hiwi-Verbände dar, die an der Seite der Okkupanten gegen die Rote Armee und sowjetische Partisanen kämpften sowie das Wüten der die Zivilbevölkerung terrorisierenden OUN-Milizen.

Ausführlich werden die Legenden um die OUN (B) und die „Ukrainische Aufständische Armee“ (UPA) enthüllt, die nach der „Orangenen Revolution“ in der Ukraine zur „Nationalen Befreiungsorganisation“ und „Befreiungsarmee“ hochstilisiert wurden. De-ren Führer Bandera und Schuschewitsch dekorierte der seinerzeitige Kiewer Präsident Juschtschenko sogar mit dem Titel „Held der Ukraine“. Heute werden OUN und UPA, „Politiker“ wie Bandera und Schuschewitsch oder die Galizische SS-Division von „Swoboda“ und ihrer Jugendorganisation als Vorbilder gefeiert.

Hauptfeinde der UPA waren die Rote Armee und sowjetische Partisanen. Gegen die faschistische Wehrmacht und andere Einheiten der Nazis führte sie unter Beibehaltung dieser Orientierung erst dann begrenzte Kampfhandlungen durch, als sich die Niederlage der deutschen Aggressoren abzeichnete und sich auch jene Bevölkerungsteile in der West-ukraine, die das Umfeld der UPA gebildet hatten, gegen die Hitler-Faschisten wandten. Zugleich gab es aber auch weiterhin Absprachen mit diesen. So fanden seit Januar 1944 Verhandlungen der Führung von OUN (B) und UPA mit der Nazi-Abwehr, der Sicherheitspolizei und dem SD statt, die durch den Reichsführer SS Heinrich Himmler genehmigt worden waren. Der UPA wurde u. a. die Lieferung von Waffen, Munition und Verbandsmaterial in Aussicht gestellt.

Im Schlußteil seines auch andere Felder der Kollaboration mit den Hitlerfaschisten in Europa berührenden Buches führt Helmut Wagner erschütternde Beispiele dafür an, welche giftigen Blüten die in der Regierungszeit von „Orange“ ausgebrachte faschistische Saat und deren Pflege durch „Swoboda“ hervorgebracht haben.

Helmut Wagner, unter Mitarbeit von Frank Schumann:

Rechte in der Rada
Über „Swoboda“, Nationalismus und Kollaboration
mit den Faschisten in der Ukraine und in Europa

Verlag am Park in der edition ost, Berlin 2013, 216 Seiten

14,99 Euro