RotFuchs 221 – Juni 2016

Angst und Verbrechen gehören zum Kapitalismus

Unsicherheit als Geschäftsmodell

Jobst-Heinrich Müller

Die in der bürgerlichen Verfassung garantierten Rechte gelten als schrankenlos, soweit sie nicht durch die gleichen Rechte anderer und die öffentliche Sicherheit beschränkt werden. Dies sollen Gesetze regeln. Durch diese sind „… alle jene Freiheiten so reguliert worden, daß die Bourgeoisie in deren Genuß an den gleichen Rechten der andern Klassen keinen Anstoß findet. Wo sie ,den andern‘ diese Freiheiten ganz untersagt oder ihren Genuß unter Bedingungen erlaubt, die ebenso viele Polizeifallstricke sind, geschah dies immer nur im Interesse der ,öffentlichen Sicherheit‘, d. h. der Sicherheit der Bourgeoisie, wie die Konstitution vorschreibt.“ So beschreibt Karl Marx im 18. Brumaire (MEW Bd. 8, S. 126/127) die uns wohlvertrauten Wege des Demokratieabbaus zur Sicherung der Kapitalherrschaft, besonders in Krisenzeiten. Ein dem Finanzkapital williger Staat, wie 1848 in Frankreich, so Marx, bewirkte „die schrankenlose, mit den bürgerlichen Gesetzen selbst jeden Augenblick kollidierende Geltendmachung der ungesunden und liederlichen Gelüste …, worin der aus dem Spiele entspringende Reichtum naturgemäß seine Befriedigung sucht, wo der Genuß crapuleaux (ausschweifend) wird, wo Geld, Schmutz und Blut zusammenfließen.“ (MEW Bd. 7, S. 14/15) Dabei werden die Übergänge von legalem zu kriminellem straflosem Unrecht fließend.

Eines der Stücke von Bertolt Brecht über den Zusammenhang von Kapital und Kriminalität

Eines der Stücke von Bertolt Brecht
über den Zusammenhang von
Kapital und Kriminalität

Sind bürgerliche Gesetze Ausdruck des Klassenstaates, so sind Kriminalstatistik und Rechtswirklichkeit Ausdruck seines derzeitigen Zustands. Verbrechen und Angst gehören zum Kapitalismus wie das Ei zur Henne. Als geborener Westdeutscher bin ich solche Verhältnisse gewohnt. Tägliche Meldungen von Kapitalverbrechen, Eigentumsdelikten, Betrug, Raub, Erpressung, Unterschlagung, Korruption und Sexualverbrechen gehörten zum Alltag. Objektive Bedingungen dafür sind – nach der „Wende“ von der „sozialen Marktwirtschaft“ zum neoliberalen Imperialismus – Sozialabbau, Kaufkraftschwund, Teuerung und gnadenlose Konkurrenz der Märkte.

Die Privatisierung schuf neue Felder der Bereicherung, z. B. im Gesundheitswesen, im öffentlichen Verkehr und bei der Daseinsvorsorge. Wo was zu holen ist, wird’s schnell kriminell. Eine „Sicherheitsindustrie“ (Versicherungsgeschäfte, Sicherheitstechnik, Wachdienste, Antivirenprogramme etc.) blühte ebenso auf wie die Rüstungsbranche. Selbst im Gesundheitswesen wird es oft lebensgefährlich. Sogar die mildtätige Wohlfahrt fällt Spendenbetrügern zum Opfer. Behördenkriminalität und alle Arten von Wirtschaftsverbrechen nehmen zu. Unerbittliche Verteilungskämpfe und gnadenlose Egozentrik bestimmen das Image des flexiblen, durchsetzungsfähigen Leistungsträgers. „Sklavenhalter oder Sklave sein“ nennt Lenin die Alternative zu einer Moral, welche kollektive Ängste und Druck erzeugt. Streßbedingte Neurosen, „Burnouts“ und Aggressionen häufen sich. Dieses allgemeine Gefühl hilfloser Unsicherheit wird gelenkt und instrumentalisiert für imperialistische Kriege, polizeistaatliche Ordnungsmaßnahmen, Lohnraub und zunehmenden Sozialabbau. Dabei greift man bei der Schuldzuweisung und der Begründung unangenehmer obrigkeitsstaatlicher Maßnahmen auf das bewährte „Sündenbockmodell“ zurück. De Maiziére und Schäuble sind da recht geschickt: Einerseits empören sie sich öffentlich gegen Rassismus, andererseits verfestigen sie die Schuldzuweisung an die Flüchtlinge, indem Sie „Flüchtlingsabgaben“ oder Aufhebung von Lohnuntergrenzen und tariflichen Bestimmungen fordern. Gabriel brachte es am 18. Januar auf den Punkt: „Nur mit einer blühenden Wirtschaft können wir das Flüchtlingsproblem bewältigen!“ – und forderte mehr Erleichterungen und Subventionen zugunsten der Unternehmer und zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung.

Angst, Unsicherheit und Rassismus sind in der globalen Krise ein famoses Geschäftsmodell! Vor prekarisierten Flüchtlingen aus durch „Regime Change“ zerstörten Ländern habe ich keine Angst. Die sie schamlos mißbrauchenden Rechten bereiten mir dagegen schlaflose Nächte! Erfüllungsgehilfen und skrupellose Machtmenschen gibt es wie in der Weimarer Republik und im Nazireich im Staats-, Polizei- und Justiz-Apparat auch heute noch. Es werden verschärfte obrigkeitsstaatliche Gesetze eingeführt und Menschengruppen gegeneinander ausgespielt. Als der französische Präsident Hollande wegen der Anschläge von Paris die Ausweitung von Notstandsgesetzen anordnete und dabei sogleich Linke und Demonstranten gegen den Klimagipfel mitverfolgen ließ, schlug er den gleichen Weg bürgerlich-opportunistischer Taktik ein, der schon einmal in den Faschismus geführt hat. Der Wettstreit um immer mehr Vorschläge gegen Flüchtlingsströme und zur Verschärfung von „Sicherheitsmaßnahmen“ hat die um die Wählergunst buhlenden Parteien längst erreicht. Für die PDL kann ich nur vor diesem Weg warnen! Es ist ein Weg in den Abgrund und keine Lösung der vom Kapitalismus verursachten Probleme.