RotFuchs 197 – Juni 2014

Was aus den Kunstwerken in der
Wandlitzer Waldsiedlung wurde

Vandalen und Retter

Werner Beck

Im Herbst 1989 öffnete man das vom Kunstschmied Fritz Kühn geschaffene Tor des Haupteingangs zur Wandlitzer Waldsiedlung für die Öffentlichkeit. Eine ausgewählte Presse bemühte sich, die dunklen Geheimnisse um das Domizil der Mitglieder des SED-Politbüros in Erfahrung zu bringen und zu lüften. Sie vermischte dabei Wahres und Unwahres, Bedeutendes und eher Nebensächliches. Wesentliche Zusammenhänge blieben außer Betracht. Mit reißerischen Reportagen, tendenziöser Auslegung der Lebensbedingungen in dieser sehr speziellen Einrichtung peitschte man Emotionen hoch, die eine sachliche, differenzierte Bewertung des Objekts in seiner Funktion und Bedeutung unmöglich machten. Das war wohl auch so gewollt. Allein im ersten Monat des öffentlichen Zugangs wurde die Waldsiedlung von über 70 000 Menschen aus sehr unterschiedlichen Motivationen besucht. Sie wurden allerdings enttäuscht. Denn anstelle pompöser Luxusvillen sahen sie Einheitsbauten in gepflegter Waldlandschaft.

Das Terrain gehörte seit dem 15. Jahrhundert der Stadt Bernau und war auch in deren Grundbuch als Stadtforst eingetragen. 1958 ging es in den Besitz der DDR über.

Die ergriffenen Sicherungsmaßnahmen entsprachen den speziellen Gegebenheiten des Territoriums und dem Grad der Gefährdung in diesem Objekt konzentriert wohnender Personen.

Andererseits war die offizielle Geheimniskrämerei um das Wohngebiet des Politbüros weder notwendig noch politisch sinnvoll. Die Presse Westberlins hatte übrigens schon 1959 über das Bauvorhaben bei Wandlitz berichtet. Mehrere an der Projektierung Beteiligte waren republikflüchtig geworden und plauderten darüber.

Die Gewährleistung der Sicherheit durch terroristische Aktionen gefährdeter Politiker der DDR war besonders in den Zeiten des Kalten Krieges eine erstrangige Aufgabe des sozialistischen Staates. Die übertriebene „Diskretion“ und die unnötige Isolierung der Führung vom Volk wurden jedoch von den bürgerlichen Medien ausgenutzt, um Menschen in Ost und West gegen die Regierung der DDR und besonders die in der Waldsiedlung wohnenden Politbüromitglieder aufzuwiegeln.

So war es nicht verwunderlich, daß nach der Freigabe zur Besichtigung viele Interessierte das geheimnisumwitterte Objekt aufsuchten. Die meisten wollten sich lediglich ein Bild davon verschaffen, wie es dort tatsächlich aussah, während andere hier Frust und Haß zu entladen gedachten.

Am 14. Dezember 1989 beschloß die Koalitionsregierung unter Hans Modrow, die Wandlitzer Waldsiedlung in ein Reha-Sanatorium umzugestalten. Mit dem vorhandenen Personal und der Neuanstellung von Ärzten und anderen medizinischen Fachkräften wurde diese Aufgabe in kurzer Zeit gelöst. Schon am 20. Februar 1990 trafen die ersten 35 Patienten ein. Bis Ende 1990 waren es 1900, außerdem 91 Rollstuhlfahrer und 89 krebskranke Kinder, die hier behandelt wurden.

Das BRD-Gesundheitsministerium stellte als Nachfolgeinstanz des Ministeriums für Gesundheitswesen der DDR bei deren Anschluß an den westdeutschen Staat die Zahlung für das Reha-Sanatorium zum Jahresende 1990 ein. Es wurde geschlossen und in private Trägerschaft überführt. Seine 550 Mitarbeiter entließ man von heute auf morgen.

Zu Beginn der 60er Jahre hatten der Architekt Gläske und der mit ihm be-freundete Bildhauer Grzimek von Künstlern der Modernen Klassik geschaffene Skulpturen ausgewählt und in der Waldsiedlung aufgestellt. Es handelte sich um Plastiken aus dem Schaffen älterer namhafter Künstler und Angehöriger der ersten Nachkriegsgeneration. Die Werke waren weder speziell für die Waldsiedlung geschaffene Auftragsarbeiten, noch wurden sie von den Bewohnern angefordert.

Einige seien kurz erwähnt, so die 1959 entstandene „Schwimmerin“ von Fritz Cremer. Der Bildhauer schuf überdies zwei Großplastiken auf dem Zentralfriedhof in Wien, wurde aber besonders durch das Buchenwalddenkmal und eine Plastik in den Außenanlagen des UN-Hauptquartiers am New Yorker East River weltweit bekannt. Heinrich Drakes „Jaguar“ stammte bereits aus dem Jahre 1938. Zu seinen bekanntesten späteren Arbeiten gehört das Zille-Denkmal in Berlins Köllnischem Park sowie die Skulptur Memento Vietnam. Auch Waldemar Grzimeks „Schwimmerin“ (1959) und eine zur gleichen Zeit entstandene Wildschwein-Plastik waren Teil des Ensembles. Dazu gehörten auch die „Gänsegruppe“ (1958) von Gustav Weidanz sowie seine Skulptur „Die Liegende“ (1959). Schließlich seien hier Gerhard Geyers „Musizierendes Mädchen“ (1956) und Ludwig Engelhards „Sitzende Schwimmerin“ (1960) erwähnt. Übrigens gehört auch das Marx-Engels-Denkmal am Fernsehturm zum Schaffen dieses Künstlers.

Nach Öffnung der Waldsiedlung und ihrer Verwandlung in ein Reha-Sanatorium schenkte man diesen Arbeiten zunächst wenig Aufmerksamkeit, obwohl der damalige Leiter der Einrichtung auf den kunsthistorischen Wert der frei im Gelände stehenden Skulpturen nachdrücklich hingewiesen worden war. Der Aufwand zu ihrer sicheren Verwahrung würde nur Kosten verursachen und sich nicht rechnen, hieß es marktwirtschaftskonform. Damit war das Problem abgetan und dem politischen Willen der Sieger jener Runde der Geschichte entsprochen worden.

Von den rund 30 Kunstgegenständen sind noch etwa zwei Drittel vorhanden. Die übrigen wurden gestohlen oder landeten vermutlich auf Müllhalden. Der „Jaguar“ Heinrich Drakes wechselte auf einem Berliner Flohmarkt für 200 Mark den Besitzer, während „Die Trauernde“ Waldemar Grzimeks in einem Garten von Joachimsthal ihren neuen Standort erhielt.

Viele Jahre standen die Skulpturen in ungepflegtem Zustand auf dem Gelände der jetzigen Brandenburg-Klinik. Ein Artikel in der „Märkischen Oderzeitung“ wies am 24. Juni 2010 auf den bedauerlichen Zustand der Werke hin. Damals befand sich der Kurator a. D. der Nationalgalerie Berlin-Preußischer Kulturbesitz gerade im Sanatorium und erkannte das Problem. Er informierte den Geschäftsführer der Brandenburg-Klinik über die Sachlage und empfahl dringend, die kostbaren Kunstgegenstände der Nachwelt zu erhalten.

In der Folgezeit wurden die Skulpturen dann völlig unsachgemäß abgebaut und eingelagert, was zu erheblichen Beschädigungen führte. So hat man Grzimeks „Schwimmerin“ brutal von ihrem Sockel gerissen und ihr dabei beide Füße abgebrochen. Man entdeckte die durch Künstler von internationalem Rang geschaffenen Arbeiten der Modernen Klassik in einer Rumpelkammer der Brandenburg-Klinik.

Im Streit um die Eigentumsrechte konnte sich die Stadt Bernau vorerst durchsetzen. Mit viel Engagement und nicht wenig finanziellem Aufwand ließ sie die Skulpturen restaurieren und stellte so ihre Erhaltung sicher. Bis Februar 2014 waren sie im Bernauer Zentrum der Öffentlichkeit zugänglich. Eine weitere Ausstellung an anderer Stelle der Stadt wurde ins Auge gefaßt. In den Haushaltsplan nahm man zusätzliche Mittel für den Erhalt und die Restaurierung der Kunstwerke auf. Ihre Bewahrung vor natürlichem Verfall, mutwilliger Beschädigung und politischer Ignoranz ist das Verdienst des Kulturamtes Bernau, der Abgeordneten der Stadt, besonders aber der Fraktion der Partei Die Linke und des Einsatzes vieler Bürger.