RotFuchs 217 – Februar 2016

ver.di sollte differenzierter beurteilt werden

Hans Dölzer

Mit Recht hat Klaus Steiniger im RF-Leitartikel 12/2015 darauf hingewiesen, daß es nötig ist, mit Bündnispartnern enger zusammenzurücken, auch wenn diese nur ein Stück Weges mitzugehen bereit sind. Zu ihnen gehört die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Allerdings gilt es dabei darauf zu achten, wer sich unter Umständen mit anderen Hintergedanken in die Reihen der Bündnispartner begibt. Als seit fast 40 Jahren aktiver Gewerkschafter – zunächst in der IG Druck und Papier (BRD), dann in der IG Medien, schließlich in ver.di – will ich das erläutern.

Karikatur: Amelie Glienke

Mit der Gründung von ver.di als dem Zusammenschluß der fünf Einzelorganisationen Deutsche Postgewerkschaft (DPG), Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV), Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV), Deutsche Angestelltengewerkschaft (DAG) und Industriegewerkschaft Medien (IG Medien) im Jahr 2001 befanden sich 17 Bildungsstätten im Eigentum der neuen Supergewerkschaft. Bereits im Mai 2002 beschloß der ver.di-Gewerkschaftsrat – das höchste Gremium zwischen den Bundeskongressen, der Empfehlung des Bundesvorstandes zu folgen, sechs der Häuser zu schließen und zu verkaufen. Darunter fiel auch die Bildungsstätte der IG Medien in Springen/Taunus, ein Haus, das schwarze Zahlen schrieb.

Die Proteste dagegen aus Reihen der Ex-IG-Medien beantwortete der ver.di-Bundesvorstand mit der Zusicherung, daß jede einzelne Quellgewerkschaft mindestens eine von ihr eingebrachte Bildungsstätte behalten würde. Für die IG Medien war dies das Heinrich-Hansen-Haus in Lage-Hörste/Teutoburger Wald, das für viele Mitglieder der alten Mediengewerkschaft eine gewerkschaftliche, politische und kulturelle Heimat geworden war.

Im September 2014 wurde das 60jährige Bestehen des Heinrich-Hansen-Hauses dort gefeiert. Es ist die einzige Bildungsstätte der zu jenem Zeitpunkt bestehenden ver.di-Häuser, die nach dem 2. Weltkrieg von Mitgliedern und Funktionären der damaligen Druckergewerkschaft in Eigenleistungen erbaut wurde. Dort konnten Kulturtagungen, Seminare wie die „Druckertage“, die „Tage der Typographie“, Fachseminare, Versammlungen der in ver.di organisierten Künstlerinnen und Künstler sowie politische Veranstaltungen stattfinden.

Ein Haus zu erhalten, erfordert finanzielle Mittel. Im zweiten Halbjahr 2014 wurde das zur Beseitigung von Mängeln des Heinrich-Hansen-Hauses erforderliche Budget vom ver.di-Bundesvorstand auf 3,5 Millionen Euro geschätzt. Im Februar 2015 aber empfahl er dem ehrenamtlichen Gewerkschaftsrat als Entscheidungsgremium, das Heinrich-Hansen-Haus Ende 2015 zu schließen. Einziges Argument: Die nötigen 3,5 Millionen Euro an Investitionen müßten im Erhaltungsfall der Streikkasse entnommen werden, die dadurch gefährdet sei.

Beraten wurde die Entscheidung allerdings bereits viel früher: Schon Anfang Dezember 2014 erfuhren Mitglieder und Funktionäre von den Schließungsplänen. Es ist davon auszugehen, daß diese schon im September 2014 zur Jubiläumsfeier vorlagen, bei der Verantwortliche der ver.di-Immobilienverwaltung und hochrangige Berliner ver.di-Funktionäre das Haus lobten und ihm eine goldene Zukunft versprachen.

Eine beispiellose Solidaritätskampagne, ausgelöst durch einen schnell gegründeten Unterstützerverein, rang dem Gewerkschaftsrat eine zweimonatige Frist ab, innerhalb derer die Unterstützer ein tragfähiges Konzept zur Weiterführung der Bildungsstätte vorlegen sollten. Bis Mai 2015 wurden rund 200 000 Euro Spenden zum Erhalt des Hauses gesammelt. Vor allem aber legten die Unterstützer das geforderte Konzept vor. Die übergroße Mehrheit des Gewerkschaftsrates verwarf dieses am 11. Mai 2015, meist, ohne es überhaupt zur Kenntnis genommen zu haben.

Im nachhinein wurde bekannt, daß zwischen den beiden Tagungen des Gewerkschaftsrats (GR) einzelne hauptamtliche Funktionäre mit Disziplinarmaßnahmen bedroht wurden, sollten sie sich der Kampagne für den Erhalt des Hauses anschließen. Es existieren außerdem Berichte, denen zufolge GR-Mitglieder vor der zweiten Tagung massiv bedrängt und genötigt wurden, für die Schließung des Heinrich-Hansen-Hauses zu stimmen.

Auf dem ver.di-Bundeskongreß im September 2015 hielt Frank Werneke, stellvertretender Vorsitzender und verantwortlich für die ver.di-Finanzen, seinen Rechenschaftsbericht. Er erläuterte, daß allein im ersten Halbjahr 2015 an Streikgeldern 110 Millionen Euro ausgezahlt worden seien. Doch noch immer sei die Streikkasse ausreichend gefüllt und werde weiter beschickt.

Anfang 2015 standen nach ver.di-internen Berechnungen etwa 550 Millionen Euro an Streikgeldern zur Verfügung. Selbst wenn es weniger gewesen sein sollten, so hätte der – ohnehin zu hoch angesetzte – Betrag von 3,5 Millionen Euro für die Sanierung des Heinrich-Hansen-Hauses noch nicht einmal zwei Prozent dieser Summe ausgemacht.

Von einer Gefährdung der Streikkasse – einziges Argument für die Schließung! – konnte also keine Rede sein. Mittlerweile wird dies vom ver.di-Bundesvorstand auch nicht mehr dementiert und lediglich damit beantwortet, daß die Schließung beschlossene Sache sei.

Im übrigen hätte ein Bruchteil der Gelder, die im Poststreik 2015 ausgezahlt wurden, für den Erhalt des Heinrich-Hansen-Hauses ausgereicht. Das aber war ein Ausstand, der ohne Urabstimmung begann und beendet wurde, wobei er das Angebot der Unternehmerseite vor der Arbeitsniederlegung zum Ergebnis hatte.

Warum also wurde gegen den erklärten Willen der Mitglieder die Schließung des letzten Hauses der Alt-IG-Medien durchgesetzt?

Bereits zweimal hatte der Fachbereich 8 (die Ex-IG-Medien) in den letzten Jahren die Pläne des ver.di-Bundesvorstands durchkreuzt: Einmal, als er aufgelöst werden sollte, zum anderen, als der ver.di-Bundesvorstand zunächst das Zusammenspiel von DGB und Unternehmerverband zwecks „Tarifeinheitsgesetz“ mittrug und erst der Fachbereich Medien das Ruder herumriß.

Ein solches Querschießen der Drucker, Setzer, Journalisten und Künstler läßt natürlich Pläne reifen, diese unbequeme Mitgliedschaft auszuschalten. Die letzten Reste der einzigen Industrie-Quellgewerkschaft, der IG Medien, sollen entsorgt werden, weil sie bei Umbauplänen stören:

Viele originäre Gewerkschaftsaufgaben werden wie in Großkonzernen an Fremdfirmen vergeben: Internetauftritt, Mitgliederwerbung, Redaktionen von Mitgliederzeitungen und vor allem die als „Perspektive 2015“ bezeichneten Umbaupläne, nach denen ver.di systematisch und schleichend ihres Gewerkschaftscharakters beraubt werden soll.

Eine Solidaritätsspende der alten IG-Medien-Mitglieder im Bezirk des Unterzeichneten an die 25 Beschäftigten des Heinrich-Hansen-Hauses, die bald nach der Schließung erwerbslos wären, wurde übrigens von der Berliner ver.di-Bundeszentrale ausdrücklich untersagt.

Von Bedeutung ist auch der Umstand, daß die meisten Mitglieder des im September 2015 bestätigten Bundesvorstands aus keiner ursprünglichen Industriegewerkschaft kommen. Wenn sich eine solche Linie weiter durchsetzen sollte, dürfte von der Schlüsselgewerkschaft IG Druck und Papier – der kämpferischsten unter den fünf ver.di-Gründern – nichts mehr übrigbleiben.

Unser Autor ist Vorstandsmitglied im Fachbereich Medien, Kunst und Industrie bei ver.di Rhein-Neckar.