RotFuchs 206 – März 2015

Hanns Dieter Hüsch: carmina urana (1963)

Vier Gesänge gegen die Bombe
Vierter Gesang

Hanns Dieter Hüsch

und die erde ist wüst und leer,
leerer noch als am anfang.
und kein gras und kein kraut
geht mehr auf und kein baum,
der da frucht trägt.
taiga und tundra, sahara und
gran chaco, auswechselbare
schwarze wüsten, denn asche
ist leicht und läßt sich
nicht stationieren.

kein flugzeug fliegt über die anden,
kein fluß mehr führt fische spazieren,
kein mensch findet auf seinem atlas,
beispielsweise:
zürich oder den golfstrom.

keinem kabarettisten fällt eine
brillante formel ein, die zwischen
den zeilen sagt: der mensch ist
verbrannt und alles, was aktuell,
heilig und scheinheilig war,
ist mit ihm verbrannt.

keine blume, kein clown, kein licht,
kein lied, kein bild, kein gedicht
ist zu sehen und zu hören.

auch die immerlustigen konnten sich nicht
mehr aus dem staub machen und sagen:
so schlimm wird’s wohl nicht werden.
wir sitzen ja gottseidank weit vom schuß.
die meisten bomben fallen ja vorbei.

sie sagten vielmehr:
das haben wir nicht gewollt.
so hatten wir uns das nicht vorgestellt.
das muß doch wohl ein irrtum sein.
und verbrannten

und auch die, die immer gesagt hatten,
das wissen wir ja alles, aber wie sollen
wir’s denn ändern, wir sind doch nur
ein kleines rad im räderwerk, schämten sich,
daß sie nicht deutlich
NEIN
gesagt hatten.

UND VERBRANNTEN
zu wasser, zu lande und in der luft!

und auch die, denen wir dies nicht
mehr zu sagen brauchen, weil sie unsere
ansicht und aussicht teilen, verkommen
und vergehen mit allem, was da kreucht
und fleucht seit anbeginn.

wir sagen dies nicht um zu stören,
wir lieben diese welke welt.
wir hoffen, daß man uns wird hören.

wir wünschten, daß wir unrecht hätten,
wir bitten, daß man einsicht hat,
daß nicht auf leergebrannten stätten
der mensch vergeht,
daß man versteht,
den geist zu finden:

den menschen mit dem menschen zu verbünden.