RotFuchs 192 – Januar 2014

Von Bebels Kampfansage
zu Gabriels Kniefall

Prof. Dr. Horst Schneider

Nach monatelangem Marionettentheater um die Bildung einer Regierung der großen Koalition präsentierte man den Deutschen und der Welt einen verblüffenden Verhandlungserfolg: Der Berg kreißte und gebar ein Mäuslein. Ein weiteres Mal gingen die Sozialdemokraten mit der Hauptpartei der deutschen Bourgeoisie ins Koalitionsbett. Darüber, was eine solche Ehe mit Parteien der Kapitalisten wirklich bedeutet, haben sich herausragende Sozialdemokraten früherer Tage bereits deutlich geäußert.

Als erster wäre August Bebel zu nennen, unter dessen Führung die SPD grandiose Wahlerfolge erringen und einen steilen Aufstieg erleben konnte. Führende Politiker dieser einstmals zum internationalen Maßstab gewordenen Partei feierten Bebel 2013 als einen ihrer bedeutendsten Ahnherren. Das geschah aus Anlaß des – rund gerechnet – 150jährigen Bestehens der deutschen Sozialdemokratie, wobei man auch die Existenzdauer des ADAV von Ferdinand Lassalle kühn mit einbezog. Wäre es nicht besser gewesen, August Bebels Erfahrungen zu beherzigen, als mit diesem von der heutigen SPD durch Welten getrennten großen Arbeiterführer zu protzen?

1903 sprach August Bebel auf dem Dresdner SPD-Parteitag zu Fragen der Taktik. Seine Rede stellte eine Generalabrechnung mit den Revisionisten in den eigenen Reihen dar. Im Protokoll lesen wir: „Nun entsteht die Frage, ob wir unsre bisherige Taktik ändern sollen. Wann hat eine Partei ihre Taktik zu ändern? Denn daß eine Taktik nicht ewig ist, das versteht sich von selbst. Wilhelm Liebknecht hat einmal in seiner drastischen Art gesagt: Wenn notwendig, ändere ich binnen 24 Stunden meine Taktik 24 Mal. Die Taktik jeder Partei muß jedoch den Grundlagen entsprechen, auf denen sie aufgebaut ist, und wenn ich wirklich in 24 Stunden 24 Mal meine Taktik ändern muß, darf sie von den 24 Mal auch nicht einmal mit den Grundlagen der Partei in Widerspruch stehen (sehr richtig). Das ist das Entscheidende. … Wir sind gewachsen, wir haben mehr Abgeordnete, und deshalb müssen wir unsere Taktik in gewissem Sinne ändern, aber nicht etwa in dem Sinne, daß wir bremsen oder zurückhalten. Nein, nachdem diese ungeheuren Wählermassen aufgrund unserer bisherigen Taktik, Kämpfe und Haltung uns durch ihre Stimmen ihr Ja … gegeben haben, müssen wir noch energischer, rücksichtsloser und schärfer vorgehen als bisher (stürmischer Beifall). Wir werden nach wie vor in einer gewissen Isoliertheit bleiben und in der schärfsten Opposition. Das schließt natürlich nicht aus, daß wir Konzessionen annehmen, wenn wir sie bekommen können und wenn es uns der Mühe wert erscheint.“

Bebel fuhr fort: „Es ist ja in unserer Partei dahin gekommen, daß es gewisse Kreise von Leuten gibt, die eine ganze Corona bürgerlicher Korybanten (Lobredner – H. S.) um sich versammelt haben. … All jene (werden) gelobt … von der bürgerlichen Presse, von deren Standpunkt aus ganz zu Recht … und als die großen Staatsmänner mit dem weiteren Blick geschildert. Man will auf diese Weise, wie ich schon einmal gesagt habe, die Partei förmlich auseinanderloben. Das ist unter Formen und in einer Weise geschehen, daß ich sagen muß, es hat mich manchmal angeekelt (Beifall). … Aber wenn mir so etwas passierte – es kann mir ja nicht passieren, und ich freue mich dessen. Solange ich atme und schreiben und sprechen kann, soll es nicht anders werden (lebhafter Beifall). Ich will der Todfeind dieser bürgerlichen Gesellschaft und dieser Staatsordnung bleiben, um sie in ihren Existenzbedingungen zu untergraben und sie, wenn ich kann, zu beseitigen (stürmischer Beifall).“

August Bebel wies nach, daß der Eintritt von Sozialdemokraten in eine bürgerliche Regierung für die Arbeiter nichts Gutes bringt. Sind die Erkenntnisse dieses großen SPD-Politikers inzwischen widerlegt, haben derzeitige Führer trotz flammender Schwüre in Sonntagsreden Bebels richtungweisende Worte nicht längst über Bord geworfen?

Lassen wir noch einen Mann zu Wort kommen, der die Sozialdemokratie nach 1945 wie kein anderer geprägt hat: Kurt Schumacher. Dieser fanatische Antikommunist war zu Zeiten der Kanzlerschaft Konrad Adenauers Sprecher der Opposition im Bundestag. Am 21. September 1949 antwortete er auf Adenauers erste Regierungserklärung mit einer Grundsatzrede zum „Wesen der Opposition“.

Dort liest man: „Die vorbehaltlose Überbewertung der Regierungsfunktion und die ebenso vorbehaltlose Unterbewertung der Oppositionsfunktion stammt aus dem Obrigkeitsstaat. … Wir haben eine in Sachen der Besitzverteidigung sehr unsentimentale Regierung, und es wird eine der Aufgaben der Opposition sein, bei der Interessenvertretung der arbeitenden Bevölkerung ebenso unsentimental zu sein. … Die Opposition ist ein Bestandteil des Staatslebens und nicht eine zweitrangige Hilfestellung für die Regierung.“

Schumacher fuhr fort: „Die Opposition ist die Begrenzung der Regierungsmacht und die Verhütung ihrer Totalherrschaft. Ihre Eindeutigkeit zwingt alle Parteien – die der Opposition wie die der Regierung –, ihr innerstes Wesen an ihren Taten zu offenbaren.“

Und Schumacher gelangte zu dem Schluß: „Wir haben heute einen Staat, den wir Sozialdemokraten als einen Staat der überwiegenden sozialen Restauration ansehen. Wir haben einen Staat, von dem wir befürchten, daß seine Führung gar zu leicht in Versuchung kommt, die Volksmassen als Objekte zu behandeln.“

Wie man sieht, ist der moralisch-politische Abstieg koalitionsgeiler und prinzipienloser Posten- und Tantiemen-Jäger heutiger Tage selbst im Vergleich mit den Positionen eines rechtssozialdemokratischen Kommunistenhassers wie Kurt Schumacher eklatant.