RotFuchs 210 – Juli 2015

Warum der kleine Fuchs
Reporter werden will

Edda Winkel

Als der kleine Fuchs herangewachsen war, wurde es Zeit für ihn, sich nach einer Lebensaufgabe umzuschauen. Abwechslungsreich sollte sie sein und ihm möglichst viel Beachtung verschaffen.

Nachdenklich durchstreifte er den Wald. Plötzlich hörte er zwei Elstern heftig schelten. Er beobachtete, daß sie beide an einem blanken Ring zerrten.

Zu Hause erzählte er der Mutter, was er gesehen hatte.

Schweigend lauschte sie. „Ein bißchen hätte sie mich für meine Beobachtung loben können“, denkt er, und so ergänzt er eilig: „Sie taumelten vor und zurück, die Federn flogen, schließlich fielen sie auf den Rücken. Der Ring kullerte davon.“ Die Mutter sagt: „Gut beobachtet, eine spannende Geschichte, übergib sie dem Eichelhäher für die Waldzeitung.“ Am anderen Tag lasen sie: „Der Überfall auf den Eichhörnchen-Koben ist aufgeklärt. Eine Diebesbande von Elstern hat wertvollen Schmuck geraubt. Bei der Aufteilung der Beute kam es zu heftigen Kämpfen, in deren Folge zwei Elstern blutig am Boden liegen blieben. Die Beute ist verschwunden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde sie von Ameisen, den einzig anwesenden Zeugen, verschleppt.“

Der Fuchs staunte: „So einfach ist das, eine kleine Geschichte mit etwas Talent und viel Phantasie groß aufzubauschen. „Ich werde Reporter.“ Die Mutter warnte: „Talent allein reicht da nicht aus, Du mußt fleißig sein und nach der Wahrheit suchen, bevor Du etwas schreibst. Talent ohne Anstand – welch böse Mischung!“

Nun ist der kleine Fuchs, wie wir wissen, nicht unbedingt einer, der sofort auf die Mutter hört. Ungläubig verläßt er den Bau. Er will sehen, was zu loben ist, die Lage prüfen, sich selbst ein Bild machen. Einen ganzen Tag wandert er umher. Im Schatten der Bäume bemerkt er nicht die wachsende Schwüle, den sich verdunkelnden Himmel, wundert sich allerdings über die Stille. Die Tiere scheinen den Wald verlassen zu haben. Als er sich dessen Rand zuwendet, sieht er tieffliegende Schwalben über dem Feld. „Gleich geht ein Unwetter los, versteck dich, dummer Fuchs!“, rufen sie und jagen weiter den Mücken nach.

Da bricht es los, der Fuchs trollt sich, duckt sich unter einen Baum.

„Warum haben mich die Schwalben dummer Fuchs genannt?“, raunzt er wütend und fährt heftig zusammen, weil nach dem zischenden Blitz und dem gewaltigen Donnerschlag eine tiefe Stimme von oben ertönt: „Uhu, Uhu, dumm bist du wirklich, bist herumspaziert, ohne den Wetterbericht abzuwarten!“ „Ach, ich wollte doch nur herausfinden, was es mit der Wahrheit und der Lüge der Reporter auf sich hat.“ „Und hast dabei übersehen, daß der Wetterbericht so ziemlich das einzige ist, worauf man sich verlassen kann, jedenfalls wird dabei nicht absichtlich gelogen. Das heutige Gewitter dürfte nicht erwähnt werden. Über so etwas wird nur berichtet, wenn es großen Schaden gegeben hat, Häuser zerstört wurden, Überschwemmungen eingetreten sind und die Ernte am Boden liegt. Es sei denn, der Wettermann bietet selbst Stoff für einen Skandal. Dann heißt es: Unrühmlich, unrühmlich.“

„Soll ich also lieber kein Reporter werden?“ Der Uhu dreht den Kopf, ja – nein, ja – nein, ich weiß es nicht. Weise sagt er dann: „Entscheiden mußt Du selbst.

Jeder Reporter will unbedingt etwas Neues berichten und verliert dabei die Scham. Er denkt sich einfach etwas aus.

Die Aasgeier fallen über die Toten her und versuchen auch noch, deren Verwandte auszuquetschen. Die Hyänen sind auf leichte Beute bedacht und erklären, es sei das Recht der Tierfamilie, über jedes Unglück Bescheid zu wissen. Die Papageien plappern ungeprüft nach, was sie von anderen gehört haben. Die Affenbande schreit nicht mehr: ,Er, sondern er hat die Kokosnuß geklaut!‘ Und die Esel glauben alles.

Befrag dein Gewissen, berichte mit Herz und Verstand. Ein abgestürztes Nest ist ein schreckliches Unglück. Das darf man nicht als Sensation ausschlachten.

Du willst Reporter werden? Mein Lieber, das ist eine Charakterfrage. Jedes Gerücht ist schneller als die Wahrheit. Wenn es dir um Tatsachen geht und du dich nicht für falsche Ziele einspannen läßt, dann sei bei der Auswahl deiner Auftraggeber vorsichtig. Laß dich weder blenden noch bestechen. Wenn du deinen Job auf solche Weise wahrnehmen willst, dann werde Zeitungsmann.“

Da läuft der kleine Fuchs nach Hause und sagt: „Mama, ich will ein ehrlicher Reporter werden. Deshalb besuche ich jetzt die Elstern und entschuldige mich, daß sie durch meine Schuld von der Waldzeitung nicht nur als Diebesbande bezeichnet, sondern auch in Verruf gebracht worden sind.“