RotFuchs 208 – Mai 2015

Ein Kuckucksei der Reichen für das
Nest der Einkommensschwachen

Was in der DDR undenkbar gewesen wäre

Hans-Jürgen Schmidt

Ich stelle mir vor, das Staatliche Komitee für Fernsehen und das Staatliche Komitee für Rundfunk beim Ministerrat der DDR wären im Verbund mit der DDR-Volkskammer übereingekommen, das Kündigungsrecht für eine Rundfunkleistung abzuschaffen und die bestehende individuelle Rundfunkgebühr für Radio und Fernsehen (ein Gerät = eine Gebühr) aufzuheben, um diese durch eine pauschale Abgabe pro Wohnung zu ersetzen. Und zwar unabhängig davon, ob sich dort überhaupt ein Gerät befindet.

Welches Geschrei hätte sich in den West-Medien über eine solche Maßnahme der DDR erhoben? Wäre sie nicht wegen des Entzugs der freien Selbstbestimmung ihrer Bürger darüber, wofür sie ihr Geld auszugeben oder nicht auszugeben gedenken, wegen schwerster Verletzung der Menschenrechte angeklagt worden? Eine „kommunistische Einheitsgebühr“ für Rundfunk und Fernsehen hätte vortrefflich in das Konzept der Anti-DDR-Propaganda gepaßt!

Als aber im Januar 2013 eine solche in der DDR undenkbare „Wohnungsabgabe“ bundesweit eingeführt wurde, blieb ein Aufschrei der Medien aus. Der Staatsrundfunk verteidigte die neue Beitragsregelung sogar als „sozial gerecht“. Die Presse berichtete wertungsneutral oder gab Meinungen kommentarlos wieder. Man schwieg zu dem sozialen Unrechtsgesetz, wonach Geringverdienende den Beitrag für Besitzende, die mehr als ein Radio und ein Fernsehgerät sowie das Internet in ihrer Wohnung nutzen, mitfinanzieren müssen. Hatte nicht Herr Gauck in seiner Rede auf der 22. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf am 25. Februar 2013 erklärt, auch Demokratien müßten „sich fragen lassen, ob sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen Menschenrechte relativieren“. Relativieren?

Im Reigen der BRD-Medien nimmt „neues deutschland“ in dieser Frage sogar eine Sonderrolle ein. In seiner Ausgabe vom 20./21. Dezember 2014 verteidigte die „Sozialistische Tageszeitung“ unter dem Titel „Schon gezahlt?“ von Robert D. Meyer ausdrücklich die seit 2013 geltende Wohnungsabgabe und stellte jene an den Pranger, welche ihre Stimme dagegen erheben. So behauptete das Blatt u. a.: „... egal, ob alte GEZ-Gebühr oder Haushaltsabgabe: In beiden Fällen war und ist der monatliche Beitrag nicht an die tatsächliche Nutzung gekoppelt.“ Stimmt das? Nein. Auch wenn sich für jene, welche schon immer für ein Radio und für ein Fernsehgerät bezahlt haben, ab Januar 2013 nichts geändert hat. Wer sich den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag vom Dezember 2010, in der Fassung des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrags mit Rechtskraft ab 1. Januar 2013 ansieht, wird folgende Änderungen feststellen: 1. Die individuelle Rundfunkgebühr (1 Gerät = 1 Gebühr), wie sie bis Dezember 2012 galt, wurde abgeschafft und durch eine Wohnungsabgabe ersetzt. 2. Das Recht auf Kündigung, um eine nichtgewollte Leistung abwehren zu können, wurde aufgehoben. So wird jede und jeder unterschiedslos gezwungen, sobald er oder sie eine Wohnung besitzt, einen Rundfunkbeitrag zu leisten. 3. Ein Bußgeld wurde eingeführt, um jene zu belangen, die sich weigern, für eine nichtgewollte Rundfunkleistung zu bezahlen. 4. Personen wie z. B. Hartz-IV-Empfänger, die bis Dezember 2012 von der Rundfunkgebühr befreit waren, haben nun einen geminderten Rundfunkbeitrag zu erbringen.

Leidtragende der Neuregelung sind alle, die nur ein Radio nutzen. Für sie erhöhte sich der Beitrag um 200 Prozent, für Nutzer nur eines Fernsehgeräts um 30 Prozent. Wer weder Radio noch Fernseher, noch das Internet in Anspruch nimmt, muß unter Strafandrohung für nichts und wieder nichts eine volle Wohnungsabgabe von 17,98 Euro im Monat entrichten.

Personen, die mehr als ein Radio, mehr als ein Fernsehgerät und das Internet nutzten, mußten bis Dezember 2012 für jedes Empfangsgerät eine Gebühr entrichten. Sie sind ebenso Nutznießer dieser Regelung wie Wohngemeinschaften, deren Mitglieder sich eine „Wohnungsabgabe“ teilen können.

Um Verständnis für das soziale Unrecht zu wecken, verweist das „nd“ auf das „Gesundheitswesen“. Da müßten ja auch alle zahlen. Wer sich indes auskennt, weiß, daß sich der Beitrag für die Sozialversicherung nach dem Einkommen des Versicherten richtet, wovon Privatversicherte ausgenommen sind. Das Gesundheitswesen ist überdies eine soziale Einrichtung.

Die Entstehungsgeschichte zum aktuellen Rundfunkbeitrag begann mit einer Hetzkampagne des Deutschlandfunks im Sommer 2010 gegen sogenannte Schwarzseher und -hörer. Sie wurden systematisch kriminalisiert. Dann scheuchten die Rundfunkanstalten ihre Mitarbeiter durch die Wohngebiete, um „illegale“ Zuschauer und Hörer aufzuspüren. Die so entstehende Unruhe sollte die Bevölkerung zur Akzeptanz jeder Gebührenlösung bewegen, um nur in Ruhe gelassen zu werden. Das Ganze mündete in der parlamentarischen Absegnung des von den Rundfunkanstalten begehrten Gesetzes.

Ich erhob in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die Abschaffung des Kündigungsrechts. Sie wurde wegen eines Formfehlers nicht angenommen.

Zugegeben: Auch in der DDR war nicht alles so, wie es hätte sein sollen. Doch auf die Idee, eine Gebühr zu erlassen, bei der Geringverdienende für Besserverdienende zur Kasse gebeten werden, lag in ihrer Zeit außerhalb jeglichen Vorstellungsvermögens der Bürger.