RotFuchs 233 – Juni 2017

Gedanken zur Zeit

Was ist eigentlich „Populismus“?

Theodor Weißenborn

Populus ist das lateinische Wort für Volk, und von ihm abgeleitet sind die Substan­tive Popularität und Populismus sowie die dazugehörenden Adjektive populär und populistisch, wobei die Vokabeln Popularität und populär uns seit eh und je geläufig sind. Popularität bedeutet Volkstümlichkeit, Allgemeinverständlichkeit und Beliebt­heit, das entsprechende Adjektiv somit volkstümlich, allgemeinverständlich und beliebt. Diese Wörter benutzen wir im allgemeinen wohlwollend, freundlich, tolerant, vielleicht auch einmal ein wenig herablassend oder auch spöttisch. Eigentlich Ehrenrühriges oder gar Verwerfliches ist damit jedenfalls nicht gemeint.

Anders ist’s dagegen mit dem Substantiv Populismus, das sich seit geraumer Zeit sowohl in Bundestagsdebatten als auch in öffentlich geführten politischen Diskus­sionen breitmacht und geradezu zu einem Schimpfwort geworden ist. Im Duden ist das Wort erklärt als „opportunistische Politik, die die Gunst der Massen zu gewinnen sucht“. Damit, so scheint mir, ist der Begriff der Popularität eingeengt auf den politischen Bereich und zugleich inhaltlich erweitert um die moralisch fragwürdige Bedeutung der Prinzipienlosigkeit, Unberechenbarkeit, Launenhaftigkeit und Undurchschaubarkeit eines womöglich egoistischen Nützlichkeitsdenkens. Was zuvor als wünschenswert oder zumindest als wertneutral galt, nämlich Allgemein­verständlichkeit, mutiert nunmehr zu Vereinfachung, Gedankenlosigkeit, dümmlicher Oberflächlichkeit und gefährlicher Unvernunft und rückt in die Nähe des Unsinnigen oder gar Sträflichen.

Wie auch immer: Wir müssen das Wort Populismus in unseren Sprachschatz auf­nehmen, die Abwertung, die sich in ihm ausdrückt, auf ihre Berechtigung überprüfen und möglichst unvoreingenommen zur Kenntnis nehmen, was die Vokabel Populis­mus an politischer Tendenz von einfühlbarer und nachvollziehbarer Unzufriedenheit über blindwütige Emotionalität bis hin zu verfassungsfeindlicher, staatsgefährdender, faschistoider Gesinnung abdeckt. Dabei könnte auch ein brauner Sumpf sichtbar werden.

Der populistisch agierende Demagoge (man denke an die Redner der Pegida-Kund­gebungen) redet dem Volk oder bestimmten Volksgruppen nach dem Mund, um sich anzubiedern und Wählerstimmen für eine bestimmte Partei zu gewinnen. Dabei kann sogar der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt werden; dafür gibt es greifbare Beweise, denn der „Sprachschatz“ des Populisten ist gespickt mit menschenver­achtenden, fremdenfeindlichen, homophoben, antisemitischen und rassistischen Wendungen wie: „Ein kleiner Hitler könnte nicht schaden“, „Unter Hitler hätte es das nicht gegeben“, „Schluß mit dem Schult-Kult!“, „Die Juden werden schon wieder frech“, „Asylantenpack!“, „Ausländer raus!“, „Neger, husch, husch, zurück in den Busch!“ Oder: „Die hat man vergessen zu vergasen.“ Die Sprache verrät die Gesin­nung, und aus der Gesinnung erwachsen Taten wie das Anzünden von Asylanten­wohnheimen, das Werfen von Sprengsätzen oder das Totprügeln farbiger Mitbürger.

Die Gefahr, die von einem solchen Populismus ausgeht, ist also kein Hirngespinst, sondern sie ist real gegeben. Sein Nährboden ist dabei, wie gerade das Beispiel der AfD zeigt, die wachsende Unzufriedenheit allmählich größer werdender Gruppen, der Obdachlosen, der Rentner, der Armen, der Groll der tatsächlich oder vermeintlich zu kurz Kommenden, der sich schüren läßt und sich schließlich als Haß gegen Fremde entlädt, deren bloßes Dasein von unaufgeklärten, in Vorurteilen befangenen und leicht verführbaren Köpfen bereits als Bedrohung empfunden wird. Hier zeigt sich ein allgemeiner Bildungsnotstand, die Verführbarkeit der Massen, man könnte auch sagen: das Sozialprodukt Dummheit als eine Art Verwahrlosung, die die populis­tischen Rattenfänger geschickt auszunutzen wissen, indem sie den „Pöbel aller Sorte“ (Theodor Storm) nach ihrer Pfeife tanzen lassen.

Einem solchen Populismus mit allen Mitteln entgegenzuwirken, ist der Staat aller­dings aufgerufen und sind wir alle verpflichtet, die wir friedlich zusammenleben wollen. Das ist so selbstverständlich – oder sollte so selbstverständlich sein, daß man es kaum sagen mag.

Was mir aber bei all dem auffällt, ist der Umstand, daß in den Medien immer wieder nicht nur vom Populismus, sondern vom Rechtspopulismus die Rede ist, so daß man fast meinen könnte, es müsse auch so etwas wie einen Linkspopulismus geben …

Was ist davon zu halten?

Einer der erfrischendsten und wahrsten Sätze, die ich je im Bundestag hörte, war der Satz eines Abgeordneten der Linkspartei: „Wir müssen nicht Banken, sondern Menschen retten!“ – ein Satz von umwerfender, entlarvender und richtigstellender Überzeugungskraft, der mich innerlich jubeln ließ, weil er den Nagel auf den Kopf traf und die ganze verfehlte Finanzpolitik der Regierung mit einem einzigen Schlag vom Kopf auf die Füße stellte. Derartige rhetorische Glanzleistungen haben Seltenheits­wert wie seinerzeit der Satz der Grünen: „Wer Waffen in ein Krisenland exportiert, handelt wie jemand, der Feuer mit Benzin löschen will.“

Indes, kaum war dies Wort verhallt, da hieß es von seiten der Regierungsparteien: „Das ist Populismus!“ Angesichts dieser erkennbar falschen, verleumderischen Etikettierung packte mich der Zorn: Was kam diesen wohl eher böswilligen als unwissenden Kritikern nur in den Sinn, ausgerechnet einen Sprecher der PDL in die Nähe der rechtsradikalen Verfassungsfeinde zu rücken und mit ihm die gesamte Partei zu beleidigen?

Die einzige Erklärung für diese Flegelei gegenüber der Opposition scheint mir die zu sein, daß unsere Regenten nicht mit der Mehrheit des Volkes, sondern mit der Ober­schicht der Besitzenden paktieren. Da darf es natürlich den Reichen nicht an den Kragen gehen, und Reichensteuer, Vermögensabgabe und Erbschaftssteuer müssen tabu bleiben. Ein rationaler Diskurs zwischen Regierung und linker Opposition findet nicht statt. Ich ahne auch, warum: Die Regierung wäre den besseren Argumenten der Linken nicht gewachsen. Und deshalb bleibt ihr als Ausweg nur, hochmütig zu schweigen. Dabei nimmt sie in ihrer Selbstherrlichkeit in Kauf, in aller Öffentlichkeit ihren Mangel an sozialer Kultur zu demonstrieren: Während Sahra Wagenknecht in der Haushaltdebatte mit Sachkenntnis und in klarer und verständlicher Sprache die wirtschafts- und sozialpolitische Situation analysierte, blätterte Angela Merkel ostentativ gelangweilt in einer Mappe mit Papieren und spielte Sigmar Gabriel mit seinem Smartphone.

Um es deutlich zu sagen: Einen Rechtspopulismus gibt es allerdings. Beklagens­werterweise! Einen Linkspopulismus gibt es dagegen nicht! (Schon das Wort ist abstrus!)

Mag sein, daß viele Unzufriedene der AfD nur deshalb ihre Stimme geben, um der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen. Ist es aber vernünftig, ein Übel durch ein noch größeres zu ersetzen? Hatten die AfD-Anhänger in der Schule keinen Geschichtsunterricht? Sind sie im Lehrplan nie über die Bismarcksche Sozialgesetz­gebung hinausgekommen? Hat ihnen niemand gesagt, daß, wer aus der Geschichte nichts lernt, dazu verurteilt ist, sie zu wiederholen? Und welche Werte unserer „Leitkultur“ hat man ihnen vermittelt? Mitgefühl, Toleranz, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und Respekt vor der Würde des Menschen? Diese Werte doch wohl kaum!

Auch ich wünsche mir eine andere Regierung: eine Regierung, die den Reichen und Superreichen die Wege zu noch mehr Reichtum nicht ebnet, sondern durch wirksame gesetzliche Regelungen systematisch verbaut – zugunsten der Notleidenden, der Obdachlosen, der unter der Armutsgrenze lebenden Kinder, der verarmenden Rentner und anderer Gruppen von „sozial Schwachen“. Auch ich wünsche eine stärkere Opposition und einen Regierungswechsel. Aber meine Alternative steht nicht rechts, sondern links von der Mitte!

Meine Alternative für Deutschland ist die Partei Die Linke!