RotFuchs 196 – Mai 2014

Was Kosels Enkel wissen will

Bernd Gutte

Der Chefredakteur der seinerzeitigen sorbischen Tageszeitung „Nowa Doba“ Sieghard Kosel gehört dem Vorstand unseres RF-Fördervereins an. Auf dessen Mitgliederversammlung im Oktober sprach er vom Bemühen um interessante, Aufmerksamkeit hervorrufende Veranstaltungen. Er kam dabei auch auf seinen Enkel zu sprechen, der immer wieder von ihm fordere: „Opa, erzähl mir mal etwas.“ Auf die Frage, was er denn hören wolle, folge stets der Wunsch: „Opa, erzähl mir etwas, was ich noch nicht weiß.“ Da sind dem Gesprächsstoff keine Grenzen gesetzt!

Die bürgerlichen Medien berichten erstaunlich viel, was wir tatsächlich noch nicht wußten. Lesens-, Hörens- oder Sehenswertes, das sich mit einiger Mühe aus den Müllbergen täglicher Massenverdummung ausgraben läßt! Da werden Finanzspekulationen bloßgelegt und eigene Geheimdienste mit gehöriger Skepsis betrachtet. Mosaiksteine sind greifbar und müßten „nur noch“ zu einem Bild zusammengefügt werden. Um mit Marx zu sprechen: Es gilt, „die Sache an der Wurzel zu fassen“. Was natürlich nicht bedeutet, daß wir den von bürgerlichen Leitmedien vorgegebenen Themen hinterherhecheln sollten. Das macht deren Meute zur Genüge selbst. Doch die Suppe aus Geplapper, Sensationen und Skandalen ist zu dünn, um uns zu sättigen. Da gilt es, Gehaltvolleres anzurichten, beispielsweise aus der marxistischen Küche.

„Etwas, was ich noch nicht weiß“, will Kosels Enkel in Erfahrung bringen. Gehören dazu nicht auch die gedankliche Schlüssigkeit und das bewundernswerte Vermögen von Karl Marx, Zusammenhänge zu erfassen? Wir sollten ihn wieder selbst zu Wort kommen lassen, um weithin Unbekanntes zu vermitteln. Denn seit einem Jünglingslebensalter gibt es hierzulande, sieht man von Ausnahmen ab, zu denen unser Bemühen zählt, keine systematische Bildungsarbeit mehr. Ja, laßt uns modern sein, ohne nach der Mode zu gehen. Was gestern richtig war, mag heute vielleicht falsch sein. Was heute stimmt, müssen wir möglicherweise morgen korrigieren. Aber auch das schon oft Gesagte sollte man wiederholen, denn Brecht irrt nicht, wenn er feststellt: „Das Gedächtnis der Menschheit für Vergangenes ist erstaunlich kurz.“

Kosels und viele andere Enkel wollen natürlich auch Antwort auf neue Fragen: Trägt uns die Mutter Erde noch in 20 Jahren? Welche Länder wird der Klimawandel unbewohnbar machen? Entwickelt sich das Internet vom Instrument der Aufklärung zur geistigen Einbahnstraße?

Versuchen wir die jungen Fragesteller ernst zu nehmen. Denn vielleicht bringen sie uns weiter als unsere häufigen Antworten auf gar nicht gestellte Fragen.