RotFuchs 192 – Januar 2014

Über die eigentlichen Drahtzieher der „Machtergreifung“ Hitlers

Was man dem Nürnberger Tribunal vorenthielt

Gunnar R. Vogel

Im RF Nr. 190 beschreibt Klaus Steiniger richtig und mit Tiefgang die Bedeutung der Entwicklung des Völkerrechts, wie sie im Statut des Internationalen Militärtribunals (IMT) für den Nürnberger Prozeß zum Ausdruck kommt. Es war der Beginn der Ausformung von Normen, die auf Jahrzehnte den heißen Krieg aus Europa verbannten und auch die imperialistischen Staaten dazu zwangen, sich zumindest nach außen hin an bestimmte Regeln des internationalen Rechts zu halten.

Mit der Zerschlagung der UdSSR und der sozialistischen Staaten Europas erleben wir die Rückkehr zum Faustrecht, zum „Recht des Stärkeren“, das nun zum Gesetz erhoben werden soll. Diese Gefahr wird bestehen, solange es Staaten gibt, die ihre Ausbeutungs- und Weltherrschaftspläne anderen aufzwingen wollen. Doch vor 1990 gab es ein wesentliches Korrektiv: die sozialistische Staatengemeinschaft.

Die negativen Tendenzen waren bei der Durchführung des Pilotverfahrens des IMT – des Prozesses gegen die faschistischen Hauptkriegsverbrecher, der mit dem Urteilsspruch vom 1. Oktober 1946 endete – bereits spürbar. So wurden von den Westalliierten Planungsunterlagen der Reichswehr aus den Jahren 1925/26 wohlüberlegt und vorsätzlich nicht in das Verfahren eingeführt. Aus ihnen ergab sich die detailliert dargestellte Absicht des Aufbaus einer Revanche-Armee aus der Reichswehr, die dazu in der Lage sein sollte, das für den deutschen Imperialismus und Militarismus enttäuschende Ergebnis des Ersten Weltkrieges „zu korrigieren“. Wären diese Unterlagen der Reichswehr in den Prozeß eingeführt worden, fiele es so manchem revisionistischen „Experten“ heute schwerer, von „Hitlers Krieg“ zu sprechen. Und die Westalliierten hätten es bei einer Verurteilung des Generalstabs der faschistischen Wehrmacht als kriegsverbrecherische Organisation bedeutend unbequemer gehabt, Nazi-Generale und Nazi-Generalstäbler für den dritten Waffengang gen Osten zu rekrutieren und ihnen die Führung der Bundeswehr zu übertragen.

Ebenfalls fehlte in Nürnberg eine eidesstattliche Erklärung des SS-Oberführers Kurt von Schröder aus dem „Freundeskreis Reichsführer SS“. Sie betraf direkt die Interessen deutscher und ausländischer Wirtschaftskreise. An dem Treffen einflußreicher Hintermänner der deutschen Faschisten soll auch John Foster Dulles, der spätere Außenminister der USA, teilgenommen haben. Als „Controller“ – so hieß es – habe er in Erfahrung bringen sollen, ob J. T. Morgan, die Warburg-Bank, Remington, Ford, GM und andere ihr Geld in Hitler „gut angelegt“ hatten.

In Schröders Erklärung heißt es: „Diese Zusammenkunft zwischen Hitler und Papen am 4.1.1933 in meinem Haus in Köln wurde von mir arrangiert, nachdem Papen mich ungefähr am 10.12.1932 darum ersucht hatte. Bevor ich diesen Schritt unternahm, besprach ich mich mit einer Anzahl von Herren der Wirtschaft und informierte mich allgemein, wie sich die Wirtschaft zu einer Zusammenarbeit der beiden stellte. Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben würde. Als die NSDAP am 6.11.1932 ihren ersten Rückschlag erlitt und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend. (…) Das wirtschaftliche Programm Hitlers war der Wirtschaft allgemein bekannt und wurde von ihr begrüßt.“

Auch darf der Hinweis zur Vorgeschichte dieses Treffens nicht fehlen, so zum Beispiel, daß sich die „wesentlichen Männer der deutschen Wirtschaft“ am 19.11.1932 mit einer Eingabe an Hindenburg wandten, in der sie die parlamentarische Herrschaftsform als „unwirksame Methode“ beschrieben, deren „Beibehaltung“ nun nicht mehr nötig sei, gelte es doch, „Herrn Hitler als Führer der größten Gruppe dieser nationalen Bewegung“ zum Reichskanzler zu machen.

Wären diese Aussagen und Beweise in das erste Nürnberger Verfahren eingeflossen, dann hätte die Rolle des deutschen und internationalen Kapitals bei der Machtauslieferung an den Nazi-Faschismus noch stärker in den Mittelpunkt gerückt werden können. Dies um so mehr, als in den Hoßbach-Protokollen aus dem Jahr 1934 nachzulesen ist, mit welcher Zielsetzung diese Machtübertragung erfolgte: Wirtschaft und Militär müßten in vier Jahren zur „Eroberung von Lebensraum im Osten“ und dessen „rücksichtsloser Germanisierung“ kriegsfähig sein. Ein Vorgang, den Adenauers Minister Theodor Oberländer zur Orwellschen Vokabel „Eindeutschung“ inspirierte: „Die Eindeutschung muß in jedem Falle eine restlose sein.“

Sollte also das Projekt funktionieren, die drei westlichen Besatzungszonen zum Rammbock „gegen den Osten“ aufzubauen, bedurfte es seitens der Westalliierten – insbesondere der USA – eines grundsätzlichen Kurswechsels. Das hatte auch der Nürnberger US-Hauptankläger Jackson erkannt. Am 13. Mai 1946 berichtete er vertraulich und geheim seinem Chef. Dieser war das ranghöchste Mitglied der Ku Klux Klan in den USA, residierte im Weißen Haus und trug den Namen Harry Truman. Er hatte als „Gewerbetreibender“ im ultrarassistischen Süden der USA Pleite gemacht, bevor er „in die Politik ging“.

Jackson schrieb an Truman: „Ich bin gegen weitere derartige Prozesse und kann sie der Regierung der USA nicht empfehlen. (…) Ich hege die Befürchtung, daß eine sich über lange Zeit erstreckende Attacke gegen die Privatindustrie – und zu einer solchen würde es im Laufe des Prozesses kommen – den Industriekartellen den Mut nehmen könnte, weiterhin mit unserer Regierung im Rahmen der Rüstungsmaßnahmen, die im Interesse einer zukünftigen Verteidigung getroffen werden müssen, zusammenzuarbeiten.“

Der Preis für eine Zusammenarbeit dieser Art seitens der USA hieß: Schluß mit der Aufdeckung der Verbrechen des deutschen Finanzkapitals und der bürgerlichen „Eliten“. Das Ergebnis konnte man dann im IG-Farben-Prozeß in Augenschein nehmen: Die angeklagten Manager kamen mit Strafen für brutalste Ausbeutung von Sklavenarbeit und Massenmord davon, die einen Eierdieb zur Weißglut gebracht hätten, wäre er doch erheblich härter bestraft worden. Eines der Ergebnisse solcher Restauration der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse war der „Contergan-Skandal“. In der Firma Grünenthal fanden sich gleich fünf schwerbelastete Naziverbrecher im weißen Kittel. In deren Aufsichtsrat saß Otto Ambros – IG-Farben-Experte für Giftgas und verantwortlich für das KZ Auschwitz III, insbesondere für die von Häftlingen dort errichteten Produktionsanlagen der IG Farben. „Entwickelt“ wurde der Wirkstoff des Contergan durch Dr. Mückter – einen Nazi, der am „Hygieneinstitut“ in Krakau gewirkt hatte, wo er am Weigl-Impfstoff gegen Fleckfieber forschte. KZ-Häftlinge bezahlten für die an ihnen vorgenommenen „Experimente“ mit dem Leben. Mückter entzog sich einer Bestrafung durch die Flucht gen Westen.

So war es nur logisch, daß die Verbrechen des 3. Reiches von dessen selbsterklärtem Rechtsnachfolger – Adenauers BRD – unter den Teppich gekehrt wurden. Von ihm stammt der Ausspruch, es müsse endlich Schluß sein mit der „Nazi-Riecherei“. So konnten alle Angeklagten des IG-Farben-Prozesses ihre Karrieren in der westdeutschen Wirtschaft unbehelligt fortsetzen.