RotFuchs 226 – November 2016

Wege aus der Kriegslogik –
Für eine neue Friedenspolitik

Arnold Schölzel

Im September 2015 verstarb „der Initiator und Motor“ des jährlich stattfindenden „Friedensratschlags“ an der Universität Kassel, Dr. Peter Strutynski, schreibt Herausgeber und Kosprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Lühr Henken, im Vorwort zu dem Band „Wege aus der Kriegslogik. Für eine neue Friedenspolitik“. Das Buch dokumentiert den 22. Ratschlag, der am 5. und 6. Dezember 2015 stattfand und mit mehr als 400 Teilnehmern der bisher größte war.

Möglicherweise war er auch einer der besonders ertragreichen. Das hat leider mit der globalen Realität zu tun, aber auch mit der Qualität der hier versammelten Analysen von 25 Autorinnen und Autoren, die zum Teil mit mehreren Beiträgen vertreten sind. Um es vorwegzunehmen: Wer sich über einzelne Krisen, Hintergründe bewaffneter Kämpfe auf der Welt und über geopolitische Strategien informieren möchte, erhält mit dem Sammelband ein ebenso aktuelles wie umfassendes Kompendium.

Fjodor Reschetnikow: Für den Frieden! (1950)

An dieser Stelle können nur einige Beiträge herausgegriffen werden. So stellt der Völkerrechtler Norman Paech die Frage, ob die UNO nach 70 Jahren ausgedient hat, und beantwortet sie trotz zunächst negativer Bilanz in drei Punkten positiv: Erstens wird die Legitimation der antikolonialen Befreiungskämpfe in den 60er und 70er Jahren durch die UN-Generalversammlung genannt, mit der diese Kämpfe erleichtert wurden. Nicht zuletzt, weil sie durch Länder wie die Sowjetunion, die DDR und Kuba materiell und militärisch unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht unterstützt werden konnten. Zweitens führt Paech die Erklärung über eine neue Weltwirtschaftsordnung von 1974 an, mit der die Staatensouveränität über eigene Rohstoffe proklamiert wurde. Das wiederum ermöglichte die Enteignung entsprechender ausländischer Konzerne (nur Belgien, die BRD, Dänemark, Großbritannien, Luxemburg und die USA stimmten gegen die Resolution). Allerdings blieben die Gegner Sieger und gestalteten die Weltwirtschaft nach ihren Interessen. In CETA und TTIP, so Paech, gehe es gegenwärtig „um letzte Reste staatlicher Regelungsbefugnisse und demokratischer Teilnahme am Wirtschaftsprozeß“. Drittens zählt der Jurist auch die Übereinkunft über ein materielles und prozessuales Völkerstrafrecht zu den Positiva. Die UNO beschloß auf ihrer ersten Generalversammlung, einen Strafgerichtshof zu errichten, der über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit urteilen sollte. Das dauerte aber bis 2002, und noch heute unterwerfen sich nur 123 Staaten dem Gericht, das zudem bisher nur zur Aburteilung von Afrikanern diente. Paechs Fazit – auch im Hinblick auf die Instrumentalisierung der Vereinten Nationen für die Kriege der vergangenen 25 Jahre: das „Wunsch- und Paradiesbild“ von der UNO müsse revidiert werden, denn sie sei bei realistischer Betrachtung „nicht überflüssig, wohl aber notwendig“.

Die meisten anderen Rednerinnen und Redner beim Friedensratschlag 2015 befaßten sich mit akutem Kriegsgeschehen und dessen Ursachen. Letztere sieht z. B. der Bundestagsabgeordnete Alexander Neu (Die Linke) beim NATO-Ukraine-Rußland-Konflikt im Versuch des Westens, „in die traditionelle russische Einflußzone einzudringen (…), ja eigentlich sogar in das historisch russische Kernland vorzudringen“. Der „westliche Imperialismus“ kenne „keine Hemmschwelle“. Die Publizistin Karin Leukefeld nimmt in ihrem Beitrag zum Syrien-Krieg u. a. Äußerungen (um nicht von Lügen zu sprechen) von Außenminister Frank-Walter Steinmeier nach den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 regelrecht auseinander. Sie und auch der Politikwissenschaftler Werner Ruf, der die Frage untersucht, ob es im Nahen Osten um religiöse Kämpfe gehe, verweisen auf das 2015 veröffentlichte US-Geheimdienstpapier aus dem Jahr 2012, in dem vor der Errichtung eines „Kalifats“ gewarnt, zugleich aber festgehalten wurde, daß diese Entwicklung offensichtlich von Washington gewollt sei. Werner Ruf zeigt in seinem Beitrag, wie der Westen sich das neue Feindbild „Islam“ schuf und im Nahen Osten, wo Religionen „unter dem Islam“ 1500 Jahre recht friedlich zusammengelebt hätten, „Religionszugehörigkeit plötzlich zur Konfliktursache und zur Konflikterklärung zugleich stilisiert“ wurde. Ruf warnt vor Plänen des Westens, Staaten des Nahen Ostens auf dieser Basis zu zerschlagen: „Der entfesselte ethno-religiöse Wahn, zur Schaffung einer neuen ,Ordnung“ instrumentalisiert, wird sich aber nicht auf das Territorium der (ehemaligen) Staaten Syrien und Irak begrenzen lassen.“

Erwähnt seien hier noch Beiträge von Erhard Crome über die Zerstörung von Lebensgrundlagen und resultierende Fluchtbewegungen, von Matin Baraki zu den Perspektiven Afghanistans, von Joachim Guilliard zu den Folgen „humanitärer Interventionen“ am Beispiel Libyens oder von Christine Buchholz zu „Aufrüstungs-PR“ für das neue Weißbuch der Bundeswehr. Lühr Henken untersucht die Kriegführung mit Kampfdrohnen, Günter Giesenfeld den Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer. Einen bemerkenswerten Abriß der politischen Situation in Südamerika liefert der frühere Botschafter Ecuadors in Deutschland Jorge Jurado.

Neben den friedenspolitischen Forderungen 2016 des Bundesausschusses Friedensratschlag enthält der Band auch den Nachruf Willi van Ooyens auf Peter Strutynski, den er mit dem Satz zitiert: „Die Aufklärungsarbeit der Friedensbewegung hat dazu beigetragen, daß die einst so militaristische deutsche Bevölkerung heute mehrheitlich den Krieg ablehnt.“ Der vorliegende Band unterstreicht das: Er ist im besten Sinne aufklärend. Eine andere als die von Peter Strutynski maßgeblich ins Leben gerufene und von ihm mitgetragene Initiative kann das kaum leisten.

Lühr Henken (Hrsg.):

Wege aus der Kriegslogik
Für eine neue Friedenspolitik

Verlag Wilfried Jenior, Kassel 2016
260 Seiten, 15,00 Euro