RotFuchs 202 – November 2014

Die Vereinzelung der Arbeiter
ist die stärkste Waffe der Unternehmer

Wenn einer des anderen Wolf ist …

Kay Strathus

Über die Veröffentlichung der „Taxi-Geschichten“ aus meinem Blog habe ich mich sehr gefreut. Ein lustiger Nebeneffekt: Kollegen berichteten mir von Fahrgästen, die mit dem August-„RotFuchs“ zum Taxistand kamen und nach dem Verfasser des Artikels fragten. Ergebnis: Die anderen Fahrer wollten daraufhin Kopien des Beitrags haben, die ich ihnen natürlich gerne in die Hand drückte.

Unlängst hatte ich einen E-Mail-Austausch mit einer Freundin. Die dabei erhobenen Einwände widerspiegeln eine Haltung, auf die man bei vielen eigentlich Gutmeinenden stößt. Betroffenheit über die Ausbeuterei im Kapitalismus und echte Solidarität vermischen sich mit einer falschen Sicht auf Defizite, die sich angeblich aus einer unterstellten „DDR-Mentalität“ ergeben sollen. Daraus folgt dann die Behauptung, der bewußte Disziplin einfordernde Arbeiter-und-Bauern-Staat sei schuld an einer höheren Bereitschaft der Menschen im Osten, auf Widerstand zu verzichten und sich anzupassen.

Die Freundin schrieb an mich: „Mir scheint, daß die Leute – speziell in den hiesigen Taxiunternehmen – so ausgenutzt werden können, hat auch etwas mit der DDR-Mentalität des unbedingten Gehorsams zu tun. … Ich kann diese Resignation verstehen und auch wieder nicht, wenn man sich so sehr ausgenutzt fühlt. Wieso gibt es bei Euch kein Aufbegehren?

Ich antwortete ihr: Die Ausnutzung der Lohnsklaven, speziell im Niedriglohnsektor, hat etwas mit kapitalistischer „Wirtschaftlichkeit“ zu tun, nichts aber mit einer imaginären „DDR-Mentalität“. Im Westen, aus dem ich ja komme, geht es genauso zu, gerade auch im Taxigewerbe. Die „DDR-Mentalität“ ist sogar eher hilfreich, weil man hier immerhin mal erlebt hat, wie es ist, wenn Arbeiter im Rahmen des „Staatssozialismus“, der sicher nicht fehlerfrei war, das Sagen haben und jene gesellschaftliche Klasse sind, um die sich alles dreht, nicht aber das menschliche Reichtumsvermehrungsmaterial für die Kapitalistenklasse, das nach Bedarf verwendet oder aussortiert wird.

Im Westen flößte man uns von Beginn an die vergiftete Milch der Marktwirtschaft ein, verbunden mit der stets offen oder unterschwellig vermittelten Botschaft, das sei die natürliche Ordnung der Dinge. So wurde das Bewußtsein der Menschen, speziell das der Lohnabhängigen, vollständig korrumpiert. Man machte sie zu Anhängseln des Ausbeutungssystems, die sich – solange es für sie persönlich einigermaßen läuft – mit Konsumgütern, Urlaubsreisen, Untertanenbespaßung per „Bild“ und entsprechendem Fernsehen bestechen lassen und das Maul halten. Oder, wenn sie die Härten des Systems am eigenen Leib zu spüren bekommen, höchstens noch beim kapitalistischen Staat um Milderung ihres Lohnarbeiterdaseins nachsuchen, da sie der Propaganda ihrer Herrschaft glauben, wonach diese Gesellschaft alternativlos sei. Jedenfalls werden sie niemals die Eigentumsfrage stellen, von der alles andere abhängt und die im Sinne der reichen „Eliten“, eben der herrschenden Klasse, gelöst ist. Diese verteidigt deren Unveränderbarkeit mit der ganzen Gewalt des bürgerlichen Staates.

Im Taxigewerbe versammeln sich auf der Betreiberseite eher schmalspurig gepolte Menschen im Spektrum zwischen bauernschlauen Kleinunternehmern und fragwürdigen Halbgaunern. Diese Leute stehen untereinander in Konkurrenz, was ja im Kapitalismus für alle Marktteilnehmer gilt. Sie schließen sich notgedrungen zusammen, wenn es ihnen einen Vorteil verschafft, z. B. in einer gemeinsamen Taxifunkzentrale oder, wenn es ihnen an den Geldbeutel geht, auch gegen den Mindestlohn.

Auf Arbeiterseite sieht es leider noch trostloser aus. Und zwar hier wie im Westen! Die Ausnutzung ist nahezu grenzenlos. Das hängt nicht mit irgendeiner Mentalität – sieht man von der Resignation jener ab, welche den Kapitalismus als Naturgesetz hinnehmen – zusammen, sondern mit den Arbeitsmarkt-„Reformen“ unter der Schröder-Regierung. Damals wurden alle Schleusen geöffnet und jegliche Mauern geschleift, die noch ein Minimum an Arbeiterrechten beschützt hatten. Die Kapitalistenklasse erhielt völlig freie Hand zur nahezu schrankenlosen Ausnutzung ihres „Menschenmaterials“. Die Formel hierfür war „Fördern und fordern“ und die staatliche Ansage, daß die Sozialkassen leer seien – ein anderer Ausdruck dafür, daß den Herrschenden ihre nutz-, weil arbeitslosen Untertanen zu teuer geworden waren. Auch die Taxifahrer sind untereinander Konkurrenten, vielleicht sogar in noch schlimmerem Grade als die Unternehmer. Sogar in ein und derselben Firma treten sie gegeneinander um Umsatz, Schichten und bestimmte Fahrzeuge an. Der Umsatz jedes anderen Fahrers übersetzt sich im beschränkten Gemüt eines marktwirtschaftlich funktionierenden Lohnsklaven als direkte Schmälerung des eigenen Einkommens. Das ist im Kapitalismus ein Glaubenssatz, der hierzulande wie eine Religion eingetrichtert wird. Und im Kontext dieses Wirtschaftssystems ist das ja dann auch, wenn man so will, ein „Sachzwang“.

Und es ist gewollt! Das macht die Lohnarbeiter für die Unternehmer zu bequemen menschlichen Hebeln ihrer Einkommensvermehrung, die sich fast rund um die Uhr und für minimalen Lohn einsetzen lassen. In einer Branche wie dem Taxigewerbe, wo man außer einem Führerschein und der Ortskenntnisprüfung keine Qualifikation benötigt, steht tatsächlich ein üppiger Nachschub an armen Schweinen bereit, die sich „für einen Appel und ein Ei“ ausnehmen lassen: Langzeitarbeitslose, „Normal-Arbeitslose“, alle, die keiner profitablen Verwendung durch einen Kapitalisten zugeführt werden können.

Eine gewerkschaftliche Organisierung der Taxifahrer ist angesichts dieser Entsolidarisierung und Konkurrenz schwer vorstellbar. Es gibt meines Wissens einen Versuch in Berlin, mit einigen wenigen Fahrern … Die Vereinzelung ist eine der stärksten Waffen der Unternehmer – wie im sonstigen Arbeitsleben auch.