RotFuchs 226 – November 2016

Wer will das Bargeld abschaffen?

Dr. Ulrich Sommerfeld

Mit der Einführung von Geldautomaten in Verbindung mit elektronischer Datenverarbeitung trat „Plastikgeld“ seinen Siegeszug an. Der scheint jedoch bereits durch die Mobilfunktechnologie und die Internet-Entwicklung mehr oder weniger schnell beendet zu werden. Trotz dieser Entwicklungen hat Geld nur zwei Daseinsformen – Bargeld (Papier-/Münzgeld) und Giralgeld (Buchgeld). Geldkarten, Kreditkarten, Mobilfunktechnik, Internet-Banking u. a. sind hingegen kein Geld. Vielmehr handelt es sich hierbei um technische Hilfsmittel zur Realisierung des Anspruchs auf Buchgeld oder Bargeld. Eng mit diesem Prozeß sind Bestrebungen der Zurückdrängung bzw. der Abschaffung des Bargelds verbunden. Der amerikanische Harvard-Professor und einstige Chefökonom des IWF, Kenneth Rogoff, ist ein bedeutender Protagonist der Bargeldabschaffung. Wie kann es auch anders sein? In den USA und in den skandinavischen Ländern sind bargeldlose Zahlungsarten am meisten verbreitet.

Wir haben gelernt, daß Geld eine Ware ist, deren spezifischer Gebrauchswert darin besteht, allgemeines Äquivalent zu sein. Es entstand vor ca. 3000 bis 4000 Jahren mit der Entwicklung der Warenproduktion im Zusammenhang mit der Herausbildung des Privateigentums und der Vertiefung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. Erst in der entfalteten kapitalistischen Warenproduktion deckten Marx und Engels den „geheimnisvollen“ Charakter des Geldes auf: „Die Ware, welche als Wertmaß und daher auch, leiblich oder durch Stellvertreter, als Zirkulationsmittel funktioniert, ist Geld. Gold (resp. Silber) ist daher Geld.“ (MEW, Bd. 23, S. 143)

Im Geld drücken sich bestimmte Produktionsverhältnisse zwischen den Warenproduzenten aus, die durch die jeweils herrschenden Eigentumsverhältnisse bestimmt werden. Im Kapitalismus ist Geld die Verkörperung gesellschaftlicher Macht. Es kann sich jederzeit in Kapital verwandeln und wird so zum Instrument der Ausbeutung. Unter heutigen Bedingungen werden alle Märkte durch gigantische, weltweit agierende Monopole beherrscht. Sie bestimmen den gesellschaftlichen Charakter des Geldes. Die in Geld ausgedrückten „Marktpreise“ für Waren und Dienstleistungen sind Monopolpreise. Deren wichtigster Bestandteil ist der Monopolprofit. Letzterer wird über die Machtstellung „erwirtschaftet“ und basiert auf brutaler, umfassender und globaler Ausbeutung sowie Umverteilung. Die wichtigste Quelle des Monopolprofits ist die menschliche Arbeit bzw. der Mehrwert, den die arbeitenden Massen erzeugen. Über den Monopolpreis eignet sich die weltweit agierende Finanzoligarchie desgleichen Teile der Profite nichtmonopolisierter Kapitalisten und Teile des Mehrprodukts einfacher Warenproduzenten an. Besonders deutlich wird das in der Ausplünderung wirtschaftlich schwächerer Länder – wie etwa Entwicklungsländer oder auch Griechenland.

Im Zusammenhang mit dem Ausbruch der Weltfinanzkrise seit 2008 wurde deutlich, daß durch enorme „Geldschöpfung“, durch Umverteilungsprozesse und durch die Einbeziehung von Staatsvermögen/Steuereinnahmen der Profitmechanismus aufrechterhalten wird. Die weltweit agierende Finanzindustrie wird mit Geld subventioniert. Der imperialistischen Führungsmacht USA – dem Ausgangspunkt der schwersten Krise seit Jahrzehnten – und anderen kapitalistischen Industriestaaten ist es gelungen, über eine raffinierte Geldpolitik das Währungs- und Finanzsystem bedingt zu stabilisieren. Ein wesentliches Ergebnis der „Krisenbewältigung“ besteht darin, daß die Reichen noch reicher wurden. So besitzt heute ein Prozent der Weltbevölkerung mehr als 50 % des gesamten Weltvermögens. Das Hasardspiel an den Börsen geht jedoch weiter.

Seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems vergrößerte sich die Geldmenge in der Welt extrem. Die Geldmengenentwicklung hat sich von der tatsächlichen Entwicklung der Realwirtschaft weit entfernt. Ursachen dafür liegen im Neoliberalismus und in der relativen Verselbständigung des Währungs- und Finanzsystems von den realen wirtschaftlichen Entwicklungsprozessen in der Welt.

Enorme „überschüssige“ Geldmengen werden seit Jahrzehnten fast ausschließlich zur spekulativen Profiterwirtschaftung eingesetzt. Daran beteiligt sind Finanz- und Industriekonzerne, offizielle und graue Finanzmärkte, Spekulanten sowie wirtschaftlich starke Staaten u. a. Die Finanz-oligarchie führt Regie. Sie verhindert eine wirkliche Überwindung der anhaltenden Krise. Sie bedient sich dabei sowohl nationaler als auch internationaler Institutionen (Zentralbanken, Internationaler Währungsfonds, Europäische Union etc.).

Wie ordnen sich Absichten bzw. Aktivitäten nach Zurückdrängung und Abschaffung des Bargelds/Bargeldumlaufs ein? Die Antwort liegt auf der Hand: Die Finanzoligarchie braucht den ungehinderte Zugriff auf alle Vermögen und Einkommen, insbesondere der arbeitenden Massen, um in schweren Krisen einen Totalzusammenbruch des Währungs- und Finanzsystems zu verhindern. Wer Unmengen von Geld aus dem Nichts schöpft, weiß mit Sicherheit, daß sich das Wertgesetz irgendwann Bahn bricht. In einer solchen Situation ist dann der Zugriff auf privates Geld, auf das Eigentum der Arbeitenden, ein notwendiges Erfordernis. Diese Form der Enteignung spielte und spielt die Europäische Union längst durch. Zur Bankensanierung auf Zypern wurde ein Schuldenschnitt auch auf Kosten des Bürgers durchgeführt. Den einfachen Menschen in Griechenland wird gegenwärtig der freie, ungehinderte Zugang zum eigenen Geld am Bankschalter oder am Geldautomaten eingeschränkt. Ein neues Drama deutet sich in Italien an. Dortige Großbanken schieben Berge wertloser und fauler Papiere/Kredite in Höhe von ca. 360 Mrd. € vor sich her. Die Angst vor dem Zusammenbruch italienischer Großbanken und vor einem Domino-Effekt ist in der EU real. Man glaubt, daß ohne die Existenz von Bargeld der Zugriff auf das Geld-Eigentum bzw. die Vernichtung von Ersparnissen/Einkommen geräuschloser und leichter wäre.

Für den „Staat“ eröffnen sich neue Chancen, Kontrolle über den „Normalbürger“ auszuüben. Ihm geht es tendenziell darum, alle finanziellen Aktivitäten zu überwachen und neue Einnahmequellen für die Staatsfinanzierung zu erschließen. Unter dem Deckmantel der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung haben verschiedene Staaten den Bargeldverkehr schon durch Höchstgrenzen eingeschränkt. Von 28 EU-Ländern führten 12 Obergrenzen für Zahlungen mit Bargeld ein. Solche Begrenzungen gibt es beispielsweise in Italien (1000 €), in Frankreich (3000 €), in Spanien (2500 €) und in Griechenland (1500 €) (U. Horstmann, G. Mann: Bargeldverbot, FinanzBuch-Verlag, S. 21). Die Abschaffung der 500-Euro-Scheine ab 2018 geht in die gleiche Richtung. Tatsächlich haben solche Maßnahmen wohl kaum Wirkungen auf Terroristen oder Kriminelle.

Zusammenfassend läßt sich folgende Schlußfolgerung ziehen: Die Beschränkung des Bargeldverkehrs oder gar Vorstellungen einer Abschaffung von Bargeld liegen nicht im Interesse der Bürger, auch wenn gegebene technische Möglichkeiten eine Erleichterung im Zahlungsverkehr darstellen. Tatsächlich sind sie Schritte in Richtung totalitärer Strukturen und der Einschränkung der bisherigen bürgerlichen Auffassungen von Freiheit und Eigentum. Sie dienen in erster Linie dem Erhalt der Macht der Monopole und des bestehenden gesellschaftlichen Systems. Sie eröffnen neue Wege für Enteignung, Überwachung und Entmündigung der Massen, insbesondere in politischen und ökonomischen Krisenzeiten.

Die klare Definition für die Ware „Geld“ im Marxschen „Kapital“ wird uneingeschränkt bestätigt und besitzt nach wie vor volle Gültigkeit. Im Geld widerspiegeln sich die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, insbesondere die Eigentumsverhältnisse im Imperialismus.