RotFuchs 207 – April 2015

Strohtrocken, scheuklappenhaft-dogmatisch
oder frei von der Leber?

Wie unsere Propaganda
beschaffen sein sollte

Klaus Steiniger

Folgt man der Darstellung Außenstehender, die sich zugleich mit Vorliebe als Insider präsentieren, dann erschöpften sich die Veranstaltungen der im Frühjahr 1946 aus dem Zusammenschluß von Kommunisten und Sozialdemokraten hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) ganz überwiegend in Ritualen der Erstarrung und des politischen Sprücheklopfens. Sicher hat es auch daran nicht gemangelt, doch das war weder die Ausnahme noch die Regel.

Im Folgenden will ich Selbst-erlebtes kurz schildern. Seit 1949 bis in die 80er Jahre war ich fast ununterbrochen Propagandist, wie die Leiter der Veranstaltungen im monatlich stattfindenden Parteilehrjahr bezeichnet wurden. Damals hatte ich noch nicht das 17. Lebensjahr vollendet, als mir die Genossen des Zirkels „Geschichte der KPdSU“ in Berlin-Baumschulenweg die Leitung übertrugen. Wie aber kam ich dazu, als jüngstes Parteimitglied in dieser Runde für die mich  überfordernde Aufgabe ausgewählt zu werden? Unser Lektor, ein erfahrener Rundfunkjournalist mit großen Verdiensten im antifaschistischen Widerstandskampf, war aus gesundheitlichen Gründen plötzlich ausgefallen. Da ich das im Zirkel behandelte Werk nahezu auswendig kannte, hielt man mich für „besonders geeignet“.

Damals war das allgemeine Wissensniveau in der Partei noch sehr niedrig, und die propagandistischen „Leistungen“ erschöpften sich oftmals – sieht man von kenntnisreichen Vermittlern des jeweiligen Stoffes ab – in ebenso redlich gemeintem wie dogmatischem Wiederkäuen vorgestanzter Formulierungen.

In den darauf folgenden Jahrzehnten setzte man mich, da ich mittlerweile einiges hinzugelernt hatte, immer wieder als Zirkelleiter im Parteilehrjahr ein. Gerne erinnere ich mich an die lebhaften Veranstaltungen in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft Alt-Tucheband im Oderbruch. Wir hängten jedes Mal eine Landkarte auf, um den Rahmen des gerade behandelten Themas sprengende aktuelle Vorgänge in einzelnen Ländern oder Regionen plastischer erörtern zu können.

Nachdem ich weitere Erfahrungen gesammelt hatte, legte die Partei die Latte höher. Jetzt ging es – man verzeihe mir den verbalen Gigantismus – um Propagandistische Großveranstaltungen, wie die kollektive Erörterung bestimmter Themen mit überwiegend engagierten Genossen eines Kreises oder einer Stadt genannt wurde. Den Durchbruch, der mir in der Folge ganze Serien von Einladungen in die zum Bezirk Karl-Marx-Stadt gehörenden Kreise Reichenbach, Brand-Erbisdorf, Aue und Flöha bescherte, erzielte ich in der vogtländischen Industriestadt Plauen. Nach der Premiere in den Sechzigern diskutierte ich dort in etwa 20 aufeinanderfolgenden Jahren mit jeweils etwa 1000 Teilnehmern – meist in der großen Mehrzweckhalle der Offiziershochschule der Grenztruppen. Es handelte sich dabei keineswegs um Monologe. Als mich beim ersten „Auftritt“ – ich war für den plötzlich verhinderten stellvertretenden Außenminister Dr. Wolfgang Kiesewetter auf dessen Bitte eingesprungen – der 1. Kreissekretär danach fragte, wie lange ich zu „referieren“ gedächte, er-widerte ich zu seiner Verblüffung: „Überhaupt nicht. Ich stelle mich sofort den Fragen – auch den heikelsten.“

Als ich nach meiner Tätigkeit im DDR-Außenministerium dann ND-Redakteur geworden war, eröffnete ich das „Zwiegespräch“ mit meinen jeweiligen Partnern etwa so: „Ich komme vom ND und bin bereit, Eure Fragen zur Außenpolitik der DDR, zur internationalen Situation sowie zur Entwicklung kommunistischer Parteien zu beantworten. Weiß ich nicht Bescheid, werde ich das sagen und keine Ehrenrunden fliegen. Beginnen wir also dort, wo das ND aufhört.“ Bisweilen fügte ich ironisierend hinzu: „Da das manchmal recht früh der Fall ist, dürfte es uns nicht an Gesprächsstoff mangeln.“ Danach hagelte es Frage auf Frage. Als mir der Plauener 1. Kreissekretär bei einer Gelegenheit nahelegte, das Thema SPD „diesmal aus taktischen Gründen nicht zu berühren“, mußte ich ihn enttäuschen: „Wir machen um heiße Eisen keinen Bogen.“

Oft begleiteten mich ausländische Besucher der DDR wie Genosse Goldberg, Redakteur einer Zeitung der KP der USA, mit dem ich 1972 im kalifornischen Gerichtssaal den Prozeß gegen Angela Davis monatelang verfolgt hatte. Ein anderes Mal fuhren die damaligen Mitglieder der Politischen Kommission der Portugiesischen KP, „Avante!“-Direktor António Dias Lourenço und PCP-Kultursekretär Jorge Araujo mit mir ins Vogtland. Die beiden Widerstandshelden – sie hatten 17 bzw. 9 Jahre in faschistischer Haft zubringen müssen – wurden von den Plauenern besonders stürmisch gefeiert.

Nicht ganz so glatt ging die Sache über die Bühne, als mich der gerade erst aus dem Wüsten-KZ durch Präsident Nasser freigelassene ägyptische Journalist Adli Barsoum dorthin begleitete. Obwohl ich sein Kommen den Verantwortlichen vor Ort rechtzeitig signalisiert hatte, verweigerte man ihm das Betreten des Objekts der DDR-Grenztruppen mit der Begründung, man habe die Veranstaltung wegen Renovierung der am Rand des Geländes befindlichen Mehrzweckhalle ins Zentrum der Offiziershochschule verlegen müssen. Das aber sei für Ausländer gesperrt. Deshalb werde man den geschätzten arabischen Genossen durch den VEB Plauener Spitze führen und ihm bei einer Rundfahrt auf dem nahegelegenen See der Talsperre Pöhl etwas Erholung gönnen.

Da machte ich nicht mit. Kurzerhand rief ich Generalmajor Borning von der Sicherheitsabteilung des ZK per Sonderapparat der Kreisleitung an, schilderte ihm die Situation und bat um Hilfe. Nachdem der amtierende Verteidigungsminister Generalleutnant Weiß Minuten später eine Ausnahmeregelung befohlen hatte, erwartete unseren ägyptischen Freund die vollzählig angetretene militärische Spitze der OHS zur Ehr-erweisung am Tor des Objekts.

Bisweilen mußte man sich eben etwas einfallen lassen.

Mag dieser knappe Bericht eine gewisse Vorstellung davon vermitteln, daß es bei SED-Propagandisten, denen es bisweilen sicher nicht an ermüdenden Grautönen gefehlt haben mag, keineswegs immer so strohtrocken und scheuklappenhaft zugegangen ist, wie es uns einige nachträglich bescheinigen wollen.