RotFuchs 232 – Mai 2017

Wir geben nicht auf!

Dr. sc. jur. Heinz Günther

Im Einigungsvertrag haben die Verhandlungspartner beider deutscher Staaten seinerzeit bekundet, die Einheit Deutschlands als „… gleichberechtigtes Glied der Völkergemeinschaft in freier Selbstbestimmung zu vollenden“. Aber schon nach den ersten Wochen des Machtantritts des Kapitals war klar, daß die wohlgewählten Worte des Vertrages bald vergessen sein werden und bezüglich der „gleichberechtigten“ rechtlichen Stellung in diesem Staat eine geteilte Rechtsstaatlichkeit praktiziert wird. Daß aber eine solche Praxis noch nach mehr als 25 Jahren Bestand haben sollte, haben wohl selbst die Pessimistischsten nicht für möglich gehalten. Immerhin hatte man 1990 im Art. 143 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) in Übereinstimmung mit dem Einigungsvertrag festschreiben lassen, daß im früheren DDR-Gebiet von den Bestimmungen des Grundgesetzes abgewichen werden könne, „… soweit … infolge der unterschiedlichen Verhältnisse die völlige Anpassung an die grundgesetzliche Ordnung noch nicht erreicht werden kann“. Gleichzeitig hatte man aber eine Befris­tung für die mögliche Abweichung „… längstens bis zum 31. Dezember 1992 …“ festgelegt, was allerdings später kaum noch thematisiert wurde.

Karikatur: Klaus Stuttmann

Ein wesentlicher Bereich dieser Abweichung bezieht sich auf das bestehende extre­me Ost-West-Gefälle an Löhnen und Gehältern. Es weist heute immer noch einen Unterschied um etwa 20 % bei gleichem Preisniveau der Lebenshaltungskosten in beiden Teilen Deutschlands aus. Das führte für einen Großteil der DDR-Bürger zu einer sozialen Schieflage, die sich bis heute mit eskalierenden Folgen vor allem der Rentenpolitik fortsetzt und eine wachsende Altersarmut nach sich zieht. Leidtra­gende sind besonders jüngere Generationen, deren vergleichsweise niedrigere Einkommen sich später auf ihre Rentenansprüche auswirken.

Auch die praktizierte Art der „Rentenangleichung“ der Ost-West-Renten läßt trotz partieller Veränderungen weitere Lücken entstehen und setzt die Ungleichheit fort. Ausgehend von den abgeführten Rentenbeiträgen werden die Rentenansprüche durch eine nur schwer zu durchschauende Um- und Hochrechnung des jeweiligen Durch­schnittsverdienstes in Ost und West errechnet. Das ergibt gegenwärtig einen Rentenentgeltwert Ost von 28,66 €, dem ein Rentenwert West von 30,45 € gegen­übersteht. Bei zugrunde gelegten 40 Entgeltpunkten ergibt es monatlich noch einmal eine höhere Rente West von etwa 72,20 €, was im Jahr immerhin ein Mehreinkommen von etwa 850 € ausmacht. So entsteht durch das seit mehr als 25 Jahren praktizierte niedrigere Lohn- und Gehaltsniveau bei dieser Art der „Berechnung“ ein völlig irreales Bild und gewissermaßen eine doppelte Benachteiligung für DDR-Bürger.

Da für diese Handhabung weder eine rechtliche Grundlage noch eine zwingende Veranlassung besteht, läßt sie nur den Schluß zu, daß die Benachteiligung der DDR-Rentner von vornherein einkalkuliert war. Das aber kommt noch heute einer Bestrafung dafür gleich, DDR-Bürger gewesen zu sein.

Eine weitere gravierende Ungerechtigkeit besteht darin, daß die zur DDR-Zeit erarbeiteten Ansprüche in einzelnen Berufsgruppen nicht in voller Höhe berück­sichtigt und insofern unterschiedlich gemindert werden. Das trifft für viele Berufsgruppen zu. So z. B. für die Bergarbeiter, denen die Anerkennung ihrer in der DDR erworbenen Sonderrente verwehrt wurden, oder die Krankenschwestern, die durch die genannte Manipulation mit besonders niedrigen Minirenten leben müssen. Auch andere Rentenregelungen wie beispielsweise die in der DDR zuerkannten Leibrenten als Folge einer im Dienst der NVA erlittenen Verletzung wurden weder umgerechnet noch anderweitig ausgeglichen. Man hat sie ersatzlos gestrichen, weil sie im bundesdeutschen Recht keine adäquate Entsprechung hatten. Eigentums­garantien gemäß Art 14 GG, bzw. § 59 ff. BGB oder Bestandschutzregelungen werden nicht einmal in Betracht gezogen.

Auffällig und durch nichts zu begründen ist auch die völlig unterschiedliche Bewertung der erworbenen Rentenansprüche im Staatsapparat, den Organen der bewaffneten Organen und der Zollverwaltung. Das führt zu extremen Rentenmin­derungen, die sich besonders nachhaltig für die ehemaligen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auswirken.

Ohne die üblichen Kriterien zugrunde zu legen, hatte man ihnen bis 1999 einen Rentenanteil um etwa 70 % des Durchschnittseinkommens des DDR-Bürgers, noch unterhalb der Sozialhilfe, zugebilligt. Nach einem langen Rechtsstreit wurde er schließlich auf den Rentendurchschnitt angehoben. Dagegen steht aber, daß die Angehörigen des MfS nicht wie in anderen Tätigkeitsbereichen eine Rentenrücklage von 6 % auf 600 DM abgeführt haben, sondern 10 % auf ihren Gesamtbruttoverdienst. Wenn in der bürgerlichen Presse immer wieder mit dem Begriff „Sonderrente“ operiert wird, soll das ganz offensichtlich suggerieren, daß es sich dabei um eine besonders vorteilhafte Ausnahmerente gehandelt habe. Diese Betrachtungen und die daher in der Öffentlichkeit entstandenen, weitverbreiteten Meinungen von einer angeblichen Überbezahlung der Mitarbeiter des MfS sind absolut falsch. Daß es keine unberech­tigte Überzahlung gegenüber anderen vergleichbaren Einrichtungen gegeben hat, wurde zweifelsfrei nachgewiesen. Dennoch hat der 1. Senat des BVerfG in einem seit Jahren laufenden Rechtsstreit Ende des Jahres 2016 die Annahme einer diesbezüg­lichen Verfassungsbeschwerde verweigert.

Statt ihre Ansprüche aus gleichen Wertungskriterien anderer bewaffneter Organe und deren Einkommen herzuleiten, gestaltet man sie offensichtlich nach der Devise: Je intensiver man dem „Unrechtsstaat“ DDR gedient hat (wie die Angehörigen des MfS), desto stärker sind die Rentenansprüche wegen „Staatsnähe“ einzukürzen.

Eine solche Praxis verletzt elementare, im Grundgesetz festgeschriebene Grund­rechte. So stellt sie einen besonders derben Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG dar. Der schreibt vor, daß wesentlich Gleiches nicht ungleich und wesentlich Ungleiches nicht gleich behandelt werden darf. Anders zu verfahren sei Willkür und rechtswidrig. (Badura: s. 97/staatsrecht) Wenn unbestritten ist, daß die in der Vergangenheit eingezahlten Rentenbeiträge Privateigentum sind, dann stellt eine ungerechtfertigte Rentenminderung auch einen willkürlichen Eingriff in das Grundrecht der Eigentumsgarantie und einen Verstoß gegen Art. 14 GG dar. Der Verfassungsrechtexperte Prof. Dr. Dr. Merten spricht diesbezüglich in seinen wissen­schaftlichen Publikationen von „Verwerfungen insbesondere bei der Ausführungs­gesetzgebung, … die einige Gruppen Versorgungsberechtigter nicht nur wirtschaftlich belasten, sondern auch diskriminieren“. (Probleme gruppengerechter Versorgungs­überleitung. § 7 AAÜG im Lichte des Grundgesetzes. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2012, Vorwort)

Die Fortsetzung einer solchen, rechtlich nicht zu begründenden Praxis gegenüber den Angehörigen des MfS kommt einer strafähnlichen Sanktion gleich, die gegen die Wertneutralität des Rentenrechts verstößt und das Rentenrecht gewissermaßen als „strafrechtliche Ersatznorm“ mißbraucht.

Im Namen der 20 000 Angehörigen der „Initiativgemeinschaft zum Schutze der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR e.V.“ sei gesagt: Der Kampf im Bund mit allen Betroffenen geht weiter. Wir geben nicht auf!