RotFuchs 199 – August 2014

„Zement“ – ein bis heute
sehenswerter „Abenteuerfilm“
über die junge Sowjetunion

Prof. Manfred Wekwerth

Die Arbeit an dem zweiteiligen Fernsehfilm „Zement“ war eine, die oft an Entdeckungsreisen erinnerte. Wir arbeiteten fast zwei Monate in dem Zementwerk Halle-Nietleben und entdeckten sozusagen uns selbst: unseren Alltag, unsere Fragen, unsere Wirklichkeit.

Unser Weg führte uns zur Schwarzmeerküste, und wir arbeiteten lange Zeit in den Babelsberger Ateliers. Aber immer wieder sprachen die Mitarbeiter unseres Films über jene Zeit, die wir gemeinsam mit den Arbeitern des Zementwerkes verbrachten. Durch den Roman von Fjodor Gladkow hatten wir uns kennengelernt. Bei der Arbeit an der Verfilmung dieses Romans hatten wir Freundschaft geschlossen. Es gab im Werk viele Begegnungen. Wir feierten gemeinsam den Jahrestag unserer Republik. Wir diskutierten über den Roman „Zement“ und über die Herstellung von Zement. Wir spielten gemeinsam Fußball. Und immer wieder kamen wir auf jene Fragen, die Fjodor Gladkow nunmehr vor über fünfzig Jahren stellte und die nichts von ihrer Frische und Brisanz eingebüßt haben.

Die Idee zu diesem Film liegt lange zurück. Eigentlich kam sie uns nach einem Gespräch, das wir mit Gladkow in seinem letzten Lebensjahr führten. Er war erfreut und erstaunt über unseren Vorschlag, das große Thema menschlichen Zusammenlebens nach der Revolution nun für unsere Zeit neu zu erzählen. Oftmals hatte man den Roman nur als „Industrieroman“ abgestempelt, und Gladkow beklagte sich darüber. Denn sein Buch ist eigentlich das Gegenteil eines „Industrieromans“, da er in allem das Verhalten der Menschen aufspürt und die wichtigste Frage stellt, die jede revolutionäre Zeit zu beantworten hat: die Frage nach dem Sinn des Lebens. Der Roman hat seit seinem Erscheinen 1927 viele Generationen bewegt. Als wir ihn vor Beginn der Dreharbeiten Jugendlichen bei uns zu lesen gaben, waren sie betroffen. Sie hatten nicht geglaubt, daß diese Geschichte eines Arbeiters und einer Arbeiterin aus dem Alltag der Revolution des Jahres 1921 im Süden der jungen Sowjetunion sie nicht nur interessieren, sondern verändern könnte. Sie sahen ihre eigene Geschichte jetzt anders, konkreter. Sie fanden ihre eigenen Fragen neu und suchten erneut nach Antworten. Vor allem: Plötzlich tat sich vor ihnen ein neues Kampffeld auf, das an Abenteuerlichkeit und Größe dem Kampf auf der Barrikade in nichts nachsteht: eben der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft.

Nichts anderes wollen wir mit unserem Film erreichen. Wir betrachten ihn als einen „Abenteuerfilm“ neuer Art: Das Abenteuer der Revolution, auf das jede neue Generation Anspruch hat, wird nicht einfach geliefert, es soll entdeckt werden. Und es soll dort entdeckt werden, wo es wirklich und real ist: nicht in fernen Träumen, nicht in abschweifenden Illusionen, nicht in Wunschdenken und Utopien, sondern in der Wirklichkeit jedes Tages, in jeder „Kleinigkeit“‚ unseres Lebens, in den persönlichsten, ja intimsten Dingen. Diesen Alltag unalltäglich zu zeigen, im friedlichen Bemühen um den Aufbau unserer Gesellschaft die entscheidenden Klassenkämpfe unserer Zeit zu entdecken, und die „Macht der alten Gewohnheiten“ zu brechen, damit Platz werde für neue, produktive: Dies alles soll unser Film zum hautnahen Erlebnis machen.

Wir verfolgen die Geschichte des Arbeiters und Regimentskommissars Gleb Tschumalow, der mit Begeisterung, aber auch mit Illusionen aus dem Bürgerkrieg zurückkommt zu seiner Frau und seinem Zementwerk und glaubt, die neue Zeit sei nach dem Sieg im bewaffneten Kampf über Nacht eingetroffen. Er ist enttäuscht, als er in seiner Frau Dascha nicht mehr die liebende und mütterliche Hausfrau wiedertrifft, die nur auf ihn wartet, sondern eine Frau, die sich selbst zur Revolutionärin emanzipiert hat und wenig Zeit für ihn findet. Er ist verzweifelt, als er das Werk sieht: Die Arbeiter haben es verlassen, ja, verkommen lassen. Sie stellen Feuerzeuge her und züchten Ziegen. Gleb, der nur den Kampf auf der Barrikade kennt, glaubt den Kampf verloren. Er wird lernen müssen, daß der neue Kampf um den Alltag nicht nur schwieriger, sondern auch leidenschaftlicher sein muß.

Und hier spürt der Zuschauer, genauso wie der ehemalige Regimentskommissar Gleb Tschumalow, was es heißt, diesen neuen, langwierigen Kampf zu führen, und was es heißt, in diesem Kampf die Führung zu übernehmen. Es ist kein „Weg auf Rosen gebettet“, wie Lenin sagt. Jede Antwort produziert mindestens ein Dutzend neuer Fragen. Und wo im Bürgerkrieg bedingungslose Disziplin und das Befolgen von Befehlen das einzig Richtige war, lauert jetzt auch die Gefahr des Schematismus und Bürokratismus. Fragen über Fragen: Aber sie zu finden und zu beantworten, das ist eben nun das große Abenteuer. Gleb Tschumalow, seine Frau Dascha und seine Genossen bestehen diesen Kampf. Sie ermutigen uns nicht nur, in unserem Alltag unser revolutionäres Abenteuer zu suchen und zu finden, sie zeigen vor allem, daß es nur eine Klasse geben kann, die die Kraft, Klugheit, Ausdauer und Größe hat, diesen Kampf zu führen und in diesem Kampf zu führen: die Arbeiterklasse.

Unser Film will diese Botschaft jener Zeit wie eine Stafette an unsere Jugend weitergeben, daß sie nun ihre revolutionären Kämpfe der heutigen Zeit findet und sie mit jener Klugheit und Begeisterung besteht, in der Dascha und Gleb den Sinn und das Glück ihres Lebens fanden.

Wir bedanken uns bei Manfred Wekwerth für die Zustimmung zum Nachdruck dieses im ND vom 13. Februar 1973 erschienenen Artikels. Der Film wurde vom DDR-Fernsehen am 2. und 4. November 1973 erstmals gesendet.