RotFuchs 213 – Oktober 2015

Zu Ingo Wagners Einschätzung
der Partei Die Linke

Prof. Dr. Herbert Meißner

Der Artikel Ingo Wagners über eine „sozialdemokratische Partei besonderer Art“ hat bei mir Zustimmung und Widerspruch zugleich hervorgerufen. Wie er gehöre auch ich zu jenen, welche von Beginn an in der politischen Praxis und der wissenschaftlichen Arbeit am Aufbau und an der Gestaltung der DDR teilgenommen haben. Am 1. Januar 1946 trat ich der KPD bei. Über alle Irrungen und Wirrungen blieb ich bei unserer roten Fahne und gehöre heute der Kommunistischen Plattform an.

Aus dieser Position heraus erfolgt auch meine Zustimmung zu bestimmten Einschätzungen Ingo Wagners. Sie betrifft seine Feststellung, die PDL erstrebe „die Erhaltung des Kapitalismus, und zwar durch Beschneidung seiner extremen Auswüchse …“ In Bielefeld hat Gregor Gysi dies offen bekannt: „Wenn wir sozialistisch bleiben wollen, müssen wir erklären, was uns und warum am Kapitalismus stört, auch was uns nicht stört, sondern im Gegenteil gut ist, und wie man das Störende überwinden und das andere erhalten kann.“

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Dieses Credo des Sozialreformismus von Bernstein über Fritz Tarnow („Arzt am Krankenbett des Kapitalismus“) bis Gysi kann man kaum exakter formulieren. Dazu gehört auch, daß einige Parteivorstandsmitglieder die Illusion verbreiten, man könne mit kleinen Solarparks, kommunalen Wasserwerken, örtlicher Stromversorgung, Genossenschaften und Kleingärtnereien „dem Finanzmarktkapitalismus das Genick brechen“ (siehe RF, Juni 2015, S. 15). Dieses Transformationskonzept soll zum neuen strategischen Fundament der Partei werden. Hierin tritt erneut und verstärkt zutage, was Ingo Wagner feststellt: daß „kontinuierlich eine Abkehr vom Marxismus“ betrieben wird.

Hier beginnt mein Widerspruch. Wagner spricht mehrfach von der PDS, von der PDL, von der Linken insgesamt usw. ohne Berücksichtigung der Tatsache, daß es trotz all des oben Gesagten einen Zusammenschluß marxistischer Kräfte gibt, der sich in Gestalt der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen Forums, der Antikapitalistischen Linken und vieler Sympathisanten manifestiert. Soweit er davon Kenntnis nimmt, bezieht sich Ingo Wagner auf den Kompromißcharakter des Erfurter Programms, den er negativ bewertet. Er schreibt: „Mein Haupteinwand besteht darin, daß das Erfurter Programm ein Kompromißpapier ist, das Züge einer gabelartigen Verzweigung aufweist.“

Der Kompromißcharakter ist dem Programm nicht abzusprechen. Aber dies als „Haupteinwand“ gegen das Dokument zu wenden, übersieht zwei Dinge. Erstens sind die antikapitalistischen, sozialpolitischen und besonders friedenspolitischen Positionen im Programm, die auch Bestandteile des Kompromißcharakters sind, der Wirksamkeit und dem Gewicht der marxistischen Kräfte zu danken. Diese Kräfte wie ihre Positionen zu unterstützen und dieses Programm gegen die sozialreformistischen Bemühungen um seine Aufweichung und Aushöhlung zu verteidigen sollte die Orientierung sein.

Zweitens kann man offensichtlich auch heute noch über die Bewertung von Kompromissen sehr viel von Lenin lernen.

Wichtig ist dabei, daß über 70 % der Parteimitglieder plus vieler Sympathisanten für eine konsequente Einhaltung der friedenspolitischen Programmposition eintreten und jede Aufweichung und Unterwanderung ablehnen. Es gilt, diese Stimmen in den Führungsetagen hörbar zu machen.

Widerspruch ist auch anzumelden in bezug auf die Antwort Ingo Wagners an Rosemarie Griese: … „müssen wir eine neue sozialistisch-kommunistische Partei auf marxistischer Grundlage anstreben“. Liegt nicht die Hauptschwäche der antikapitalistischen Bewegung in ihrer Zersplitterung? Brauchen wir neben der PDL, der DKP, der KPD und anderen ähnlich orientierten linken Kräften noch eine weitere Partei, die diesen ihre marxistische Substanz absaugt, ohne selbst im parlamentarischen und außerparlamentarischen Raum ein entsprechendes Gewicht zu erlangen? Sollte die Orientierung nicht dahin gehen, daß alle konsequent linken Kräfte ungeachtet ihrer jeweiligen organisatorischen Verfaßtheit in Grundfragen unserer Zeit – vor allem bei der Friedenssicherung und im antikapitalistischen Kampf – ein Höchstmaß gemeinsamer Aktivitäten entwickeln?

So viele Fragen – und noch keine gemeinsame Antwort. In sachlicher, kulturvoller und von unserem Klassenstandpunkt getragener Diskussion sind die durchaus vorhandenen Gemeinsamkeiten zu stärken und politisch wirksam zu machen, um unserer historischen Verantwortung gerecht zu werden.