RotFuchs 218 – März 2016

Zu Klassenkämpfen in Eberswalde

Dr. Peter Elz

Seit Monaten finden in Eberswalde heftige soziale Auseinandersetzungen statt. Etwa 350 Mitarbeiter des Eisenbahn-Reparaturwerkes sollen nach dem Willen der Konzernleitung der Bundesbahn wegen Betriebsschließung entlassen werden. Dagegen regten sich Ärger, Wut und Widerstand. Betroffen sind ja nicht nur die unmittelbar Bedrohten, sondern auch deren Familien und sogar die ganze Region. Solche Entlassungen stellen stets gravierende Einschnitte im Leben der ins Visier Geratenen dar, von denen sich sehr viele sozial nicht wieder erholen können. Sie werden Opfer eines kapitalistischen Wirtschaftssystems, das im Profitinteresse einzelner oder weniger eine große Zahl von Menschen in den sozialen Ruin stößt. Während unablässig von den „Opfern“ des „DDR-Unrechtssystems“, die für das so oder so Erlittene Entschädigungen beziehen oder herausschlagen wollen, die Rede ist, kennt man gegenüber den Opfern des gewöhnlichen Kapitalismus keine Gnade.

Bei der Größenordnung, um die es in diesem Fall geht – tatsächlich spielen sich solche Vorgänge hierzulande jeden Tag in tausend Varianten ab, ohne daß davon Aufhebens gemacht würde –, regt sich sogar die Politik. Brandenburgs Ministerpräsident Woidke erschien an Ort und Stelle, bekundete verbale Solidarität und versprach zu helfen. Doch was passierte? Nichts! Auch die flehentliche Bitte, die Bundeskanzlerin möge helfen, blieb ohne Ergebnis. In dieser bürgerlichen Demokratie, bei der angeblich alle Macht vom Volke ausgeht, erweisen sich die  gewählten politischen Machtorgane gegenüber den wirklich machthabenden ökonomischen Magnaten als hilflos. Denn Profitstreben siegt über soziale Gerechtigkeit und Erwägungen wirtschaftlicher Vernunft.

Die Ironie der Geschichte besteht überdies darin, daß es sich hierbei um ein bundeseigenes Unternehmen handelt. Doch auch diese Tatsache vermag am krassen Mißverhältnis zwischen politischer und ökonomischer Macht nichts zu ändern. Wenn Bahnchef Rüdiger Grube nein sagt, besitzt selbst die Kanzlerin keine Trümpfe mehr, und die Demokratie geht baden.

An diesem Beispiel wird vor allem deutlich, daß es nicht genügt, die Eigentumsproblematik im kapitalistischen Deutschland nur aus der Sicht des jeweiligen juristischen Status zu betrachten. Herr Grube handelt genauso wie jeder andere Leiter eines Konzerns, gleich, ob es sich dabei um eine Aktiengesellschaft, eine Genossenschaft, eine kommunal betriebene Einrichtung oder Staatseigentum handelt. In jedem Falle geht es ausschließlich darum, den höchstmöglichen Profit herauszuschlagen, im Konkurrenzkampf mit anderen zu bestehen und sich den Marktgesetzen zu unterwerfen. In einem grundsätzlich privatwirtschaftlich gestalteten Umfeld kann auch ein Betrieb im Eigentum des Staates der Kapitalisten nicht anders handeln.

Das politische Grundverständnis dieser Gesellschaft besteht eben darin, dem privatwirtschaftlichen Gewinnstreben den allerhöchsten Rang einzuräumen, weshalb selbst Minister und Kanzler – wie in Eberswalde – als Bittsteller vor den Wirtschaftsmächtigen niederknien müssen. Auch bei Staatsbetrieben geht Profit vor Gemeinnutz. (Die Tatsache, daß dieser im konkreten Falle dem Staat und somit in gewisser Weise der Allgemeinheit zufließt, ist nur ein schwacher Trost, vor allem dann, wenn es um von Entlassung bedrohte Personengruppen geht.)

Offensichtlich betrachtet man die künftigen Profiterzielungschancen in dem hier nur beispielhaft genannten Betrieb als zu gering, weil die Aufträge zurückgehen werden, eine „Marktbereinigung“ lukrativer erscheint oder dem Konkurrenzdruck nicht länger standgehalten werden kann.

Die Anarchie auf volkswirtschaftlicher Ebene, die für das kapitalistische Wirtschaftssystem wesensbestimmend ist, könnte auch durch Gruppeneigentum – die Übernahme einzelner Betriebe durch die Arbeiter – nicht aufgehoben werden. Eine wirkliche Lösung vermag nur eine auf die gesamte Volkswirtschaft bezogene Planung zu bieten.

Diese Feststellung treffe ich nicht nur aus theoretischen Erwägungen, sondern aus eigener Erfahrung in der realen Wirtschaftspraxis der DDR. Auch zu ihren Zeiten hat es etliche Fälle gegeben, in denen bestimmte Betriebsstätten personell zurückgefahren oder sogar ganz geschlossen werden mußten. Aber niemals sind die Werktätigen dabei einfach auf die Straße geflogen. Dem lagen nicht nur soziale Motive zugrunde, sondern durch Volkseigentum und Planwirtschaft bestanden auch die materiellen Bedingungen, um rechtzeitig Entscheidungen über die Umprofilierung der Produktion oder die Schaffung ganz neuer Erzeugnislinien mit entsprechenden Qualifizierungsmaßnahmen zu treffen. Man mußte sich ja nicht erst auf die Suche nach irgendwelchen Investoren begeben, die dann auch nur nach Profitmaßstäben einen solchen Betrieb übernehmen und weiterführen würden – oder auch „abwickelten“.

Eine durchgängige Planwirtschaft auf der Grundlage vorrangigen Volkseigentums – beide halte ich für unerläßlich – hätte eine Änderung der politischen Machtverhältnisse zur Voraussetzung.