RotFuchs 232 – Mai 2017

Die rauhe See des Widerspruchs – ein Konferenzbericht

Zum 90. Geburtstag von Hans Heinz Holz

Ernst Simon

Am 25. Februar 2017 fand in der Urania Berlin eine Konferenz und Feier anläßlich des 90. Geburtstags von Hans Heinz Holz (1927–2011) statt. Die DKP, die Gesellschaft für dialektische Philosophie und die Fondazione Centro di Studi Filosofici (S. Abbon­dio, Schweiz) hatten dazu aufgerufen, unterschiedliche Perspektiven auf das vielfältige Werk von Hans Heinz Holz darzustellen. Dafür wurde der Geburtstag als Kombination aus einem wissenschaftlich-politischen und einem festlichen Teil gestaltet.

Im ersten Teil galt es, den Horizont von Holz′ Denklandschaft auszuschreiten, indem Aspekte seines philosophischen, ästhetischen und politischen Vermächtnisses dargestellt wurden. Der gewählte Modus des Streitgesprächs wollte den Jubilar aber nicht nur ehren, sondern Grenze und Übergang bestimmen. Holz war schließlich Dialektiker – ihm lag der Widerspruch mehr als die Lobhudelei.

Nach dem Prinzip der Für- und Widerrede trafen im ersten Themenbereich Hans-Joachim Petsche (Universität Potsdam) und Andreas Hüllinghorst (Gesellschaft für dialektische Philosophie) unter der Moderation von Richard Sorg (Hamburg) aufeinander. Gegenstand ihrer Debatte war das Widerspiegelungstheorem und die dazugehörige Metapher, kurz das Zentrum von Holz′ Kosmos. Nachdem Hüllinghorst vorlegte, indem er den philosophisch-metaphorischen Gehalt der Widerspiegelung als Erkenntnis- und Wirklichkeitsmodell vorstellte, widersprach Petsche, indem er die Geltung des Spiegels aufs Korn nahm. Holz, der sich zwar um die Eintragung der Spekulation in den philosophischen Materialismus verdient gemacht habe, genüge seinen eigenen Ansprüchen auf eine exakte und kohärente Metaphorik nicht. Spiegel seien vielmehr blind – und dadurch passiv –, da sie das Bild nicht erzeugen, sondern Strahlen umleiten. Holz neige daher auch zur Vernachlässigung einer Entwicklungs­dialektik. Hüllinghorst entgegnete, daß vor der Ausführung die Grundlegung geschehen müsse.

Im zweiten Panel ging es kontrovers weiter. Martin Küpper (Freie Universität Berlin) und Jan Loheit (Universität Jena) rangen – von Renate Wahsner (Berlin) moderiert – um Sinn und Unsinn der skandalträchtigen Frage nach Metaphysik als Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs. Küpper verteidigte in seinem Plädoyer für Holz die Notwendigkeit der Metaphysik, die nach den begrifflichen Gehalten bei der Umsetzung materieller Verhältnisse in Anschauungen von Welt frage. Die Wirklichkeit sei in ihrer Prozeßartigkeit nur im Begriff darstellbar, da diese Ebene uns nie sinnlich gegeben sei. Dagegen warnte Loheit vor der darin angelegten Gefahr, Theorie in der Vogelperspektive statt in und aus Wirklichkeit zu generieren. Ihre Bewährungsprobe sei gerade in der konkret-historischen Praxis und nicht im Medium des Begriffs aufzusuchen.

Hans Jörg Glattfelder, bildender Künstler aus der Schweiz, und Alfred J. Noll, Jurist und Hochschullehrer aus Wien, gingen dem Realitätsgehalt von Kunst nach. Holz sei, so Noll, zu der Ansicht gelangt, daß im besonderen Kunstwerk eine besondere Beziehung eingeschrieben sei: in ihm sei Allgemeines anschaulich dargestellt. Das heißt nicht, wie Glattfelder zu verstehen gab, daß das Prinzip realistischer Kunst sich darin auszeichne, Realität 1:1 wiederzugeben, vielmehr eigne sich diese Wirklichkeit kritisch-welthaft an. So könne der zu Unrecht verschrieene Konstruktivismus durchaus die industriell-serielle Produktionsweise des Kapitalismus realistisch darstellen, etwa indem dieser die unsinnlichen Datenströme digitaler Produktions­modi wieder zur sinnlichen Anschauung bringe und so zu ihrem Erkennen beitrage.

In der letzten Diskussionsrunde trafen drei Vertreter europäischer kommunistischer Parteien unter der Leitung von Jürgen Lloyd aufeinander. Patrik Köbele (DKP), Hannes Fellner (PdA, Österreich) und Gazi Ates (EMEP, Türkei) diskutierten über die Rolle der kommunistischen Parteien im zeitgenössischen Imperialismus. Sie waren sich einig darin, daß eine kommunistische Organisation der Schmelzpunkt der Vermittlung zwischen Theorie und Praxis sei. Einklang herrschte auch darüber, daß in der gegenwärtigen Linken nur die kommunistischen Kräfte – trotz ihrer Schwäche – die soziale Frage in den Blickpunkt bekommen könnten, da die Klassenverhältnisse in ihren Grundstrukturen unverändert seien und die Arbeiterklasse weiterhin zur Aufhebung der Klassengesellschaft vorherbestimmt sei. Doch um dieses hierfür notwendige Klassenbewußtsein zu artikulieren und als politische Urteilskraft zu materialisieren, böten sich unterschiedliche Anknüpfungspunkte an. Die Theorie sei wieder verstärkt in die praktische Parteiarbeit zu integrieren. Das könne verschiedene Formen annehmen. So gelte es, emanzipatorisch-aufklärerische Bildung bereitzu­stellen und bis in die Sympathisantenkreise zu vermitteln. Die Partei habe sich außerdem an den Frontlinien gesellschaftlicher Entwicklung, d. h. in den Betrieben, an den Universitäten, an den Schulen usw. einzubringen, um dort das theoretische wie praktische Bedürfnis aufzuspüren, aufzunehmen und emanzipatorisch umzuformen.

Im zweiten Teil der Geburtstagsveranstaltung wurde mit musikalischer Untermalung vom Künstler-Kollektiv Quijote aus Chemnitz, die Werke von Mikis Theodorakis spielten, gefeiert. Kristin Bönicke resümierte die theoretischen und publizistischen Aktivitäten nach Holz′ Tod, berichtete von Lesekreisen und jüngsten Nachlaß­veröffentlichungen und forderte zur Weiterführung des Werks auf. Alte Weggefährten von Holz wie Isabel Monal (Kuba), Gazi Ates (Köln) und Hermann Klenner (Berlin) erinnerten sich lebhaft an Holz′ Schaffen und ließen seine Person aus dem Strom ihrer Erinnerungen lebendig werden.