RotFuchs 215 – Dezember 2015

Zur „Gewaltenteilung“ in der BRD

Dr. Günter Herzog

Erich Buchholz, der Nestor der DDR-Strafrechtswissenschaft, hat sich erneut in die aktuelle politische Auseinandersetzung eingemischt und ein Buch vorgelegt, das niemand übergehen sollte, der sich ernsthaft zur Problematik des „Rechtsstaates“ äußern will.

Ein anderer „Kenner der Materie“ im Amt des Bundespräsidenten hat ja herausge­funden, daß die DDR u. a. deshalb kein Rechtsstaat gewesen sei, weil es dort keine Gewaltenteilung gegeben habe. Demgegenüber bestehe nach seiner Meinung in der BRD eine solche Teilung der Gewalten, was sie a priori zum Rechtsstaat mache.

So simpel ist das Gaucksche Einmaleins. Doch Ereignisse in jüngster Vergangenheit der BRD geben allen Grund, den Wahrheitsgehalt dieser Hypothese zu hinterfragen.

Wie sind denn die Gewalten der BRD geteilt?

Höchste Gewalt ist bekanntlich als Verkörperung der Volkssouveränität die Legisla­tive, die gesetzgebende Gewalt. Danach soll alle Macht vom Volke ausgehen. Doch schon Kurt Tucholsky fragte, wo diese denn hingehe, wenn sie einmal ausgegangen sei. Sie gehe zur Wirtschaft und schütze das Kapital wie das Privateigentum, fand er heraus. „Die Wirtschaft bestimmt das Geschehen im Lande“, konstatiert auch Erich Buchholz.

Für den Bürger gebe es ihr gegenüber keine Grundrechte. „Die Gesetze und Rechts­vorschriften des Rechtsstaates“ erwiesen sich „vornehmlich für die Wirtschaft als förderlich“.

Die Zeit, in der die klassische Gewaltenteilung einen historischen Fortschritt dar­stellte, gehört längst der Vergangenheit an. Die Legislative werde oft genug von der eigentlich vierten und sogar fünften Gewalt mißbraucht – von den Medien aller Art und von der Lobby der am Ruder befindlichen Parteien.

Erich Buchholz zieht den Schluß: „Die Gewaltenteilung oder Trennung der Gewalten erweist sich im Ergebnis zwar als interessante Idee, deren Verwirklichung aber – wie bei den meisten hehren Prinzipien – als wirklichkeitsfremdes Phantom.“

Das Prinzip der Gewaltenteilung war in der BRD von Beginn an schiefgewickelt. Die Judikative, die ja bekanntlich über die Einhaltung der durch die Legislative erlasse­nen Gesetze zu wachen hat und insofern über der Politik stehen soll, kann gar nicht so unabhängig sein, wenn die Richter von den Parlamenten der verschiedenen Ebenen eingesetzt werden und wenn die Staatsanwälte dem Minister der Justiz gegenüber weisungsgebunden sind. Das mußte kürzlich sogar der Generalbundes­anwalt erfahren. Seine berechtigte Entlassung durch den Minister der Justiz war zugleich ein geradezu klassisches Beispiel dafür, wie die Exekutive über die Judikative herrscht und wie die Gewaltenteilung in diesem Staat tatsächlich funktioniert. Oder – besser gesagt – wie sie nicht funktioniert. Ein Rechtsstaat ist vor allem durch die Anerkennung abgesicherter Grundrechte charakterisiert, die im Grundgesetz fixiert worden sind. Dabei ist aber nicht zu übersehen, daß in den Artikeln 2 bis 17 GG nur der Katalog der politischen und Bürgerrechte aufgelistet wird. „Es fehlt das Grundrecht auf umfassende Mitbestimmung im Staat, wie es die DDR-Verfassung vorsah. Völlig fehlen die international anerkannten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grundrechte, welche diese ebenfalls gewährleistete.“

Vor allem das Fehlen des Grundrechts auf Arbeit, das in der DDR-Verfassung veran­kert war, trifft die Menschen im Osten der BRD hart und überzeugt sie wohl nicht gerade davon, in einem „Rechtsstaat“ zu leben.

Demgegenüber genießt das Grundrecht auf Eigentum absolute Priorität. Erich Buchholz spricht in diesem Zusammenhang von einem „Muttergrundrecht“.

So gibt es für den Autor Veranlassung, „auf krisenhafte und andere bedenkliche Erscheinungen oder Fehlentwicklungen des Rechtsstaates BRD aufmerksam zu machen“. Zum Beweis führt er u. a. die zahllosen Unrechtsurteile aufgrund verfas­sungswidriger Strafbestimmungen und die rechtswidrige Neuauflage solcher Urteile bei der Strafverfolgung von DDR-Bürgern nach 1990 an.

Der renommierte Rechtswissenschaftler präsentiert als Ergebnis seiner Untersu­chungen jeweils schlüssige Beweise. So weiß der Leser nach der Lektüre des neuen Buchholz-Textes, warum dieser „Rechtsstaat“ in der Krise ist.

Erich Buchholz:

Bürger ohne Macht? Teilhabe unerwünscht
Wie unser „Rechtsstaat“ sein Volk von der Macht fernhält

Edition Berolina, Berlin 2015, 448 Seiten
ISBN 978-3-95841-019-0

14,99 €