RotFuchs 219 – April 2016

Rassismus und Imperialismus erwachsen
seit jeher aus einer Wurzel

Zur Neuauflage von „Jud Süß“

Jobst-Heinrich Müller

Eine Schlüsselszene in Veit Harlans faschistischem Machwerk „Jud Süß“ ist der Einzug der Juden in die Stadt: „Schädlinge“, die nur darauf aus sind, sich kriminell zu bereichern, „deutsche Werte“ zu überfremden und durch die Schändung „deutscher Maiden“ das „arische Erbgut“ zu verderben. Bilder der Flüchtlingsflut verbinden heutige Faschisten mit ebensolchen Schreckensszenarien. Nur plakatieren sie das seit dem 11. September 2001, an dem die Doppeltürme in Manhattan zerstört wurden, als eine Art Weltverschwörung islamistischer Terroristen, die an die Stelle des „jüdischen Komplotts“ getreten sei.

Wie die Springer-Presse ihren Ausländerhaß unter die Massen bringt

Das kommt der „Political Correctness“ westlicher Allianzen entgegen, zu denen heute auch Israels rechtszionistische Regierung zählt. Sie hindert Rassisten wie den früheren SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin jedoch nicht daran, weiterhin von „Judengenen“ zu sprechen. Zahlreich unter uns und in anderen europäischen Staaten lebende Muslime sind zur Zeit jedoch die geeignetere Zielgruppe zur Spaltung der Bevölkerung durch Rassenhaß und zur Durchsetzung innen- wie außenpolitischer Ziele des Imperialismus.

Für Leute wie Frankreichs Marie Le Pen, aber auch für AfD-Politiker hierzulande sind daher Flüchtlinge geradezu ein Geschenk des Himmels, um ihre sozialdarwinistischen und ultranationalistischen Parteiprogramme vor Wahlen besser verkaufen zu können. Das gelingt ihnen auch, wobei seit der mit etlichen Grenzschließungen verbundenen „Grenzöffnung“ von 2015 fast alle Parteien europaweit solche Ängste zu schüren und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren bestrebt sind.

Die Nazi-Hetzschrift „Der Stürmer“ war einst mit ihrer Methode sehr erfolgreich, die auch heute von ähnlichen Medien skrupellos genutzt wird: Stigmatisierung durch ständig wiederholte Anprangerung des Fehlverhaltens einiger Mitglieder von Minderheiten. Man folgt der Methode „Jude überfährt Blindenhund“, die – z. B. auf „Ostfriesen“ angewandt – im bunten Mix aller möglichen Schandtaten immer aufs neue präsentiert, diese bald in den Ruch bringen würde, alle „Ostfriesen“ seien derart rabiat. Jedes Attentat, jeder Fehltritt eines Muslims und jede Notstandsübung der Staatsmacht werden dazu genutzt, um Rassismus trotz abgrenzender Beteuerungen der Verantwortlichen wieder offen salonfähig zu machen.

Eine solche imperialistische „Gestaltungsmacht“ über die Völker der Welt hat seinerzeit die Ideologie des Kolonialrassismus und den sozialdarwinistischen biologischen Rassismus hervorgebracht, den die deutschen Faschisten und nicht nur sie so erfolgreich für ihre Ziele zu nutzten wußten. Aus den überlegenen wirtschaftlich-technologischen „Werten“ der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung ergab sich das angemaßte Recht, über die Völker der Welt zu herrschen, deren Lebensweise und Kultur zu bestimmen, vor allem aber ihre Märkte und Ressourcen auszubeuten.

So ist z. B. Pastor Gauck zu verstehen, der in Davos auf die Selektion und Eingrenzung von Flüchtlingsbewegungen aus Kriegsgebieten und Elendsregionen drang. Dabei ist das alles ja nichts Neues.

Kein anderer als der Earl of Carnavon, Großbritanniens seinerzeitiger Kolonialminister, formulierte die rassistisch unterlegte Rechtfertigungsideologie des Imperialismus so: „Wir sehen große Völkerschaften wie diejenigen Indiens, die wie Kinder im Schatten von Unwissenheit, Armut und Leiden sitzen und von uns Führung und Hilfe erwarten: Uns ist die Aufgabe zugefallen, ihnen weise Gesetze, gute Regierung und ein geordnetes Finanzwesen (!) zu geben, die erst das Fundament eines gedeihlichen menschlichen Zusammenlebens schaffen. Das ist die wahrhaftige Erfüllung unserer Pflichten; das … ist die wahre Stärke und Bedeutung des Empire!“

So waren von Anbeginn imperialistische Kolonisation, Interventionen durch „Schutztruppen“, Mandatspolitik und „Befriedungsmaßnahmen“, Lenkung fremder Eingeborenen-Regierungen (Native Rule) durch „Beraterstäbe“ sowie wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen und geheimdienstliche Subversion zum Austausch unliebsamer Regierungen „rein zivilisatorische und humane Maßnahmen“. Sie rechtfertigten auch „hohe moralische Opfer und Härte“.

Und das erst recht bei Undank der damit Beglückten.

„Wenn Ihr dann dicht vor dem Ziele steht, das Ihr andern zuliebe erstrebt und fast erreicht habt, seht Ihr zu, wie Faulheit und heidnischer Irrwahn Eure ganzen Hoffnungen zerstören. Nehmt auf Euch des weißen Mannes Bürde, erntet, was von jeher sein Lohn war: den Tadel derer, denen er aufhilft, den Haß derer, die er behütet“, schrieb Rudyard Kipling zur Unabhängigkeit Indiens.

Nachdem zwischen 1947 und 1991 Trumans Containment Policy (Eindämmung des Kommunismus) der Rechtfertigung imperialer Eingriffe und Kriege hatte dienen müssen, erfahren wir heute die nur schwach kaschierte Wiederbelebung rassistischer Kolonialideologien: „Die Zivilgesellschaft“ tritt gegen die „Wilden im neuen Gewande“ an. Die Pegida-Langfassung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ heißt zugleich: Keine Zustände wie in Schwarzafrika!

Für wahre Linke gilt demgegenüber: Wir akzeptieren keine Ungleichbehandlung nach Hautfarbe, Rasse oder Volkszugehörigkeit. Für uns besteht der Hauptwiderspruch wie eh und je zwischen den Eignern der Produktionsmittel und den Ausgebeuteten dieser Welt. Der ist aber nur internationalistisch zu lösen. Rassismus aus imperialistischer Wurzel, wie er heute in Szene gesetzt wird, ist um keinen Deut besser als das Wüten der Djihadistenbanden.