Ware und Geld

2.4
Der Grundwiderspruch der einfachen Warenproduktion

In der einfachen Warenproduktion trennt das private Eigentum an den Produktionsmitteln und am Arbeitsprodukt die Produzenten voneinander. Jeder arbeitet in seiner Werkstatt, in seinem Betrieb isoliert von den anderen. Das Privateigentum macht sie formal voneinander unabhängig. Zugleich sind die einfachen Warenproduzenten über die gesellschaftliche Arbeitsteilung miteinander verbunden. Die Arbeit ist ihrem Wesen nach gesellschaftliche Arbeit, Arbeit für die Gesellschaft, für andere. In der einfachen Warenproduktion wird die gesellschaftliche Arbeit von privaten, voneinander isolierten Warenproduzenten geleistet, die über die gesellschaftliche Arbeitsteilung miteinander verbunden sind und für einander produzieren; die gesellschaftliche Arbeit wird in privater Form verausgabt. Dieser Widerspruch zwischen privater und gesellschaftlicher Arbeit ist der Grundwiderspruch der einfachen Warenproduktion.

Unter diesen Bedingungen tritt die konkrete Arbeit der einfachen Warenproduzenten unmittelbar als private Arbeit auf. Ihr gesellschaftlicher Charakter kann sich nur über die abstrakte Arbeit verwirklichen. Denn nur als abstrakte Arbeit sind die vielen verschiedenen Privatarbeiten qualitativ gleich und somit vergleichbar und damit austauschbar.53 Marx führt aus, daß auf der Grundlage der Warenproduktion nicht die Naturalform der Arbeit, ihre Besonderheit, sondern ihre Allgemeinheit die gesellschaftliche Form ist.54 Der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhängigen Privatarbeiten besteht in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit und nimmt die Form des Wertes der Produkte an.55

In dem Prozeß, in dem der gesellschaftliche Charakter der Privatarbeiten zum Ausdruck kommt, wird also von den qualitativen Besonderheiten der konkreten Arbeit abstrahiert.

Die einfachen Warenproduzenten treten nicht in der Produktionssphäre, sondern erst auf dem Makt durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte in direkten gesellschaftlichen Kontakt. Stehen sich zwei Produzenten oder Wareneigentümer gegenüber, so ist ein doppelter Eigentumswechsel die Bedingung dafür, daß die wechselseitigen Bedürfnisse befriedigt werden können, und dieser Eigentumswechsel findet auf dem Markt statt. Die durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung bedingte Abhängigkeit der Produzenten erscheint als Abhängigkeit auf dem Markt. Sie erscheint als Problem der
Zirkulationssphäre. Das ist aber nur die äußere Erscheinungsform.

Das Wesen der Abhängigkeit ist in der arbeitsteiligen Produktion, in der Einseitigkeit der Produktion gegeben. Weil die Produktion private Produktion ist, kann die Abhängigkeit voneinander nur im Warentausch in Erscheinung treten. Die Verhältnisse der Zirkulation beruhen auf den Verhältnissen in der Produktion (Primat der Produktion).

Diese besonderen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Produktion, private Produktion bei gesellschaftlicher Arbeitsteilung, haben zur Folge, daß das Produkt eine besondere gesellschaftliche Form annimmt, daß das Arbeitsprodukt zur Ware wird. Ware zu sein ist also nicht eine natürliche, körperliche Eigenschaft des Produkts, sondern eine gesellschaftliche Eigenschaft. In der Ware, im Warencharakter des Arbeitsproduktes verkörpert sich das Verhältnis selbständiger privater Produzenten, die arbeitsteilig miteinander verbunden sind.

Da, wie gesagt, die einfachen Warenproduzenten erst auf dem Markt in direkten gesellschaftlichen Kontakt treten, erscheint auch der spezifisch gesellschaftliche Charakter ihrer Privatarbeit erst innerhalb des Austauschprozesses. Erst auf dem Markt zeigt sich, ob die geleistete Arbeit der privaten Warenproduzenten gesellschaftlich notwendig, ob sie ein Glied der Gesamtarbeit ist.

Im Austauschprozeß, also durch den Verkauf und Kauf der Ware, findet die Arbeit gesellschaftliche Anerkennung. Gelingt es dem individuellen, durch die Schranken des Privateigentums von der Gesellschaft getrennten Produzenten, seine Erzeugnisse auf dem Markt zu verkaufen, so hat sich seine konkrete Privatarbeit als gesellschaftliche bewährt, dann wird sie von der Gesellschaft akzeptiert. Sie kann dann ein gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen. Die Privatarbeit ist nutzlos, wenn die Waren nicht verkauft werden können. Das Produkt hat sich als Ware nicht bewährt.

In der Urgesellschaft wird in Form der konkreten Arbeit unmittelbar gesellschaftliche Arbeit geleistet. Die einzelnen Angehörigen der Gemeinschaft arbeiten für alle. Auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln arbeiten sie gemeinschaftlich für die Gesellschaft. Ihre jeweiligen konkreten Arbeiten besitzen von vornherein gesellschaftliche Anerkennung. Diese Arbeiten sind gesellschaftlich notwendig. Die konkrete Arbeit erfüllt hier die Funktion der gesellschaftlichen Arbeit.

Mit dem Entstehen der Warenproduktion und -zirkulation verliert die konkrete Arbeit diese Funktion, die nun die abstrakte Arbeit übernimmt, die indirekt über den Austausch in Erscheinung tritt. Die abstrakte Arbeit (oder der Wert) stellt nun den einzig möglichen objektiv notwendigen Zusammenhang zwischen den isolierten, aber voneinander abhängigen privaten Warenproduzenten her. Ihre konkrete Arbeit muß sich, um gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, „als abstrakt allgemeine gesellschaftliche Arbeit … darstellen.“56

Die Arbeit der einfachen Warenproduzenten besitzt demnach nur mittelbar gesellschaftlichen Charakter. Die Handwerker und die kleinen Bauern produzieren nach ihren privaten Gesichtspunkten und Interessen. Die Privatinteressen herrschen vor. Damit entsteht die Möglichkeit, daß die Privatarbeiten der einzelnen Warenproduzenten den gesellschaftlichen Interessen widersprechen.

Der Grundwiderspruch der einfachen Warenproduktion ist ein Widerspruch im Charakter der Arbeit, der die gesellschaftlichen Beziehungen in dieser Warenproduktion entscheidend bestimmt. Die Warenform ist die Bewegungsform dieses Grundwiderspruchs. Er entfaltet sich in zahlreichen Widersprüchen; so „erhält (er) in den Gegensätzen der Warenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen“.57

Der Widerspruch zwischen privater und gesellschaftlicher Arbeit existiert auch in der kapitalistischen Warenproduktion, denn die Arbeit wird auch hier in privaten Betrieben für andere, für die Gesellschaft geleistet. Auch bei kapitalistischer Warenproduktion tritt der gesellschaftliche Charakter der Arbeit auf dem Umweg über den Warentausch in Erscheinung.