Ware und Geld

4.1
Das Wesen des Geldes

Aus den genannten Gründen ist das Geld also das historische Ergebnis der Entwicklung der Warenproduktion und -zirkulation. Es ist das historische und logische Resultat der Entfaltung der Wertformen. Im Geld hat sich der Wert verselbständigt.78 Es stellt daher selbst ein Produktionsverhältnis dar.79 Die Entwicklung des Wertverhältnisses von der einfachen Wertform bis hin zur Geldform stimulierte die Ausdehnung der Warenproduktion, die Entwicklung der Produktivkräfte und der Arbeitsproduktivität. Jede höhere Wertform förderte zunächst die Warenproduktion und stellte einen gewaltigen historischen Fortschritt dar. Das geschah aber auf dem Wege der Verschärfung der Widersprüche der Warenproduktion. Das Geld überwindet die Schwierigkeiten des unmittelbaren Warenaustausches, indem es sie verallgemeinert, und es macht die Produzenten vom Austausch abhängig und verselbständigt sich gleichzeitig gegenüber den Produzenten, schreibt Marx.80

Unter den Bedingungen der einfachen Warenproduktion repräsentiert das Geld den Grundwiderspruch zwischen privater und gesellschaftlicher Arbeit. Im Geld entfaltet sich daher auch der Widerspruch zwischen Gebrauchswert und Wert, indem beide nun auch sichtbar voneinander getrennt sind. Das Geld stellt den Inhalt des allgemeinen Reichtums in der auf Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Warenwirtschaft dar.81 Existiert die Geldform des Wertes, so sind die Produzenten interessiert, die Produktion und den Absatz ihrer Waren zu erweitern, sich im Konkurrenzkampf zu behaupten und sich zu bereichern.

Die sich herausbildenden Wertformen lösen jeweils zeitweilig die angehäuften Widersprüche. Sie bilden neue Bewegungsformen der Widersprüche, bis sie wiederum zu ihrer erneuten Verschärfung führen. Diese Entwicklung des Wertverhältnisses und der Wertformen unter den Bedingungen der einfachen Warenproduktion drückt also grundsätzlich die Entwicklung jenes entscheidenden Wechselverhältnisses aus, das überhaupt die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft bestimmt.82

Das Geld dient allen anderen Waren als allgemeines Äquivalent. Daß jedoch eine Ware zum allgemeinen Äquivalent wird, ist, wie gezeigt wurde, nicht die Erfindung irgendeines Menschen oder Staates, sondern das notwendige Ergebnis der Entwicklung des Warenaustausches. In allen Ländern entwickelten sich, unabhängig voneinander, auf einer bestimmten Stufe der Warenproduktion und -zirkulation die allgemeine Wertform und dann das Geld. Wenn zuvor gesagt wurde, es gäbe eigentlich keinen Unterschied zwischen der allgemeinen Wertform und der Geldform, so muß das nun ergänzt werden:

Die allgemeine Wertform war noch kein stabiles allgemeines Äquivalent, das heißt, sie war noch nicht fest an eine Ware gebunden. Die Geldform dagegen ist die gefestigte und entwickelte allgemeine Wertform. Für die ganze Gesellschaft die Erscheinungsform des Wertes schlechthin zu sein, das mußte die ständige besondere gesellschaftliche Funktion einer einzigen Ware, des Geldes, werden. Erst dann kann davon gesprochen werden, daß sich historisch eine solche gefestigte und entwickelte allgemeine Wertform herausgebildet hat. Erst nachdem ausschließlich eine bestimmte Warenart also auf längere Zeit und über ein größeres Gebiet als allgemeiner Wertausdruck oder allgemeines Wertmaß fungierte, hatte sich praktisch der Übergang von der allgemeinen Wertform zur Geldform vollzogen.

Mit der Entstehung des Geldes erhält der Wert jeder Ware seine besondere selbständige Erscheinungsform, den Preis. Der Preis ist der Geldausdruck des Wertes der Waren. Der Wertausdruck einer Ware zum Beispiel in Geld lautet:

x Ware A = y Geldware

In dieser Formel ist bereits enthalten, daß mit der Weiterentwicklung der allgemeinen Wertform zur Geldform und mit der Festigung des Geldwesens eine neue wichtige ökonomische Erscheinung entsteht: der Verkauf und der Kauf. An die Stelle des unmittelbaren Austausches zweier Waren W – W tritt die Weggabe der Ware gegen Geld, der Verkauf, W – G und der Erwerb einer anderen Ware durch Geld, der Kauf, G – W. Beide Vorgänge ergeben zusammen W – G – W.

Im Endergebnis ist, wie beim direkten Tausch zweier Gebrauchswerte, die Ware, die für den Verkäufer ein Nicht-Gebrauchswert ist, in einen Gebrauchswert für den Käufer verwandelt. Das qualitativ Neue besteht darin, daß sich eine einzige, besondere Ware mehr und mehr als Vermittler zwischen alle Austauschakte schiebt. Eine solche allgemeine Vermittlung des Austausches konnte es bei der einzelnen oder der entfalteten Wertform nicht geben. Erst nachdem sich eine Ware zum allgemeinen Äquivalent, zum Geld, entwickelte, konnte sie auch allgemein und allein den Austausch der Waren vermitteln. Das Bedürfnis für einen solchen Tauschvermittler entstand also aus der Entfaltung des Warenaustausches. Als Vermittler des Warenaustausches beschleunigt das Geld die Entwicklung der Warenproduktion und -zirkulation. Es erleichtert den Austausch und macht ihn oft überhaupt erst möglich, zum Beispiel über räumlich entfernte Gebiete. Es wird die spezifisch gesellschaftliche Funktion, das gesellschaftliche Monopol des Geldes, als allgemeines Äquivalent zu dienen.83

Historisch entstand das Geld mit der Zersetzung der Urgesellschaft, mit der Entwicklung der Produktivkräfte und des Privateigentums an den Produktionsmitteln sowie der damit verbundenen Entstehung der Klassen in der Sklavenhaltergesellschaft. Als Geld fungierten, zeitlich und territorial unterschiedlich, verschiedenartige Waren, zum Beispiel Hauptnahrungsmittel oder wichtige Gebrauchsgegenstände, Hauptelemente des Reichtums. Davon zeugen Begriffe wie pekuniär als Synonym für geldlich, das mit den lateinischen Wörtern pecus – Vieh, pecunia – Geld zusammenhängt. Aus dem indischen Wort rupie – Herde leitet sich die Bezeichnung Rupie für die Geldeinheit ab.

Mit der wachsenden Bedeutung für die gesamte Produktion wurde das Metall mehr und mehr zur allgemeinen Ware. Den Platz des allgemeinen Äquivalents und des Geldes eroberten schließlich die Edelmetalle, insbesondere Silber und, wie schon angedeutet, Gold. Zuerst wurden Silber in Babylonien im 3. und 2. Jahrtausend v. u. Z. und Gold in Barrenform um 3000 v. u. Z. im alten Ägypten verwandt. Viel später, erst um 700 v. u. Z., wurden in Lydien, einem Sklavenhalterstaat im westlichen Kleinasien, die ersten geprägten Münzen in Umlauf gesetzt.

Friedrich Engels charakterisiert den Übergang zum Metallgeld mit seinen tiefgreifenden gesellschaftlichen Folgen und den sich vertiefenden sozialen Gegensätzen wie folgt: „Die Einführung und Verbreitung des Metallgeldes in einem Lande, wo bisher ausschließlich oder vorwiegend Naturalwirtschaft galt, ist stets mit einer langsamern oder schnellern Umwälzung der bisherigen Verteilung verbunden, und zwar so, daß die Ungleichheit der Verteilung unter den einzelnen, also der Gegensatz von reich und arm, mehr und mehr gesteigert wird.“84

Die Einführung und Verbreitung des Metallgeldes als Ausdruck der Ausbreitung der Warenproduktion war also mit der Differenzierung der Gesellschaft in Arme und Reiche verbunden. Das Geld entwickelte sich zu einer gesellschaftlichen Macht.

Bestimmte natürliche Eigenschaften machen das Gold (und das Silber) für die Funktion des allgemeinen Äquivalents besonders geeignet: Es verkörpert in einer kleinen Menge, in einem kleinen Gewicht einen großen Wert; es ist in seinen Bruchteilen von gleicher Qualität; es ist leicht teilbar, fordert keine Unterhaltskosten (wie beispielsweise das Vieh) und ist in seinen natürlichen Eigenschaften sehr beständig.

Das Gold wurde aber nicht wegen dieser natürlichen Eigenschaften zum allgemeinen Äquivalent und damit zum Geld, sondern weil es selbst als Ware erzeugt wurde und als Ware den anderen Waren als ihnen etwas Gleiches, nämlich als Verkörperung des Wertes gegenüberstand. Das Gold wurde zum allgemeinen Wertausdruck, weil es selbst als Produkt menschlicher Arbeit Wert besaß. Nachdem das Gold das Monopol auf die Stelle des allgemeinen Äquivalents erobert hatte, wurde es zu Geld. Das Gold ist also nicht als Geld auf die Welt gekommen. Es hat sich in einer langen historischen Entwicklung im Warenaustausch erst zum Geld, zur Geldware entwickelt. Der Widerspruch in der Ware zwischen Gebrauchswert und Wert tritt nun, bei Existenz von Geld, als Widerspruch zwischen Ware und Geld auf.

Die Untersuchung der Wertformen und ihrer historischen Entwicklung zeigt, daß das Geld seinem Wesen nach eine Ware ist. Demzufolge kann das Wesen des Geldes nur aus der marxistischen Arbeitswerttheorie erklärt werden. Gold kann den anderen Waren nur deshalb als Geld gegenübertreten, „weil es ihnen bereits zuvor als Ware gegenüberstand“.85 Die Ware Gold trägt ebenso wie alle anderen Waren einen Doppelcharakter. Sie ist Gebrauchswert und Wert. Aber als Geld hat das Gold einen doppelten Gebrauchswert.

Dieser besteht darin, daß es einerseits Rohmaterial zum Beispiel für die Produktion von Luxusartikeln ist und daß es andererseits als allgemeines Äquivalent der gesamten Warenwelt fungiert. Neben seinem auf den natürlichen Eigenschaften beruhenden Gebrauchswert hat es einen spezifisch rein gesellschaftlichen Gebrauchswert. Der Wert der Geldware wird durch die in ihr verkörperte abstrakte Arbeit bestimmt. Die konkrete Arbeit, die im Gold verkörpert ist, wird zur allgemeinen Erscheinungsform der abstrakten Arbeit aller anderen Waren, die im Gold ihren Wert ausdrücken.

Mit der Entstehung des Geldes bildeten sich so in der Warenwelt zwei Pole heraus: Auf der einen Seite alle „gewöhnlichen“ Waren, auf der anderen Seite die besondere Geldware (Gold), die von der Gesellschaft als allgemeines Äquivalent anerkannt wurde. Geld wurde zur allgemeinen Verkörperung des gesellschaftlichen Reichtums. Damit wurde das Geld zu einer gesellschaft-lichen Macht! Geldbesitz bedeutet Verfügung über jede beliebige Ware. Die Waren können ihren Wert nicht mehr anders realisieren als durch ihre Verwandlung in Geld. Der Warenproduzent kann für den von ihm produzierten Gebrauchswert nicht einen anderen Gebrauchswert eintauschen, wenn er seine Ware nicht zuvor in Geld verwandelt hat. Lenin schreibt dazu: „Das für fremden Verbrauch bestimmte Produkt des einzelnen Produzenten kann erst zum Verbraucher gelangen und dem Produzenten Anspruch auf ein anderes gesellschaftliches Produkt verschaffen, nachdem es Geldform angenommen hat, d.h., nachdem es zuerst sowohl auf seine Qualität als auch auf seine Quantität hin einer gesellschaftlichen Kontrolle unterworfen worden ist. Diese Kontrolle erfolgt aber hinter dem Rücken des Produzenten, vermittels der Marktschwankungen.“86

„Der Wert (der Waren)“, sagt Marx, „ist ihr gesellschaftliches Verhältnis, ihre ökonomische Qualität.“87 Im Geld jedoch hat sich dieser Wert im Verlaufe seiner historischen Entwicklung verselbständigt. Jetzt verkörpert das Geld das gesellschaftliche Verhältnis der Waren, jetzt bringt das Geld unmittelbar die ökonomische Qualität der Waren, also ihre sozialökonomische Seite zum Ausdruck.

Die nun vollzogene Aufspaltung der Warenwelt in Ware und Geld bildet die vollendete äußere Erscheinungsform der Widersprüche, die in der Ware enthalten sind. Es kommt so zu einer neuen Daseinsweise dieser Widersprüche. Sie existieren jetzt alle in Form des Gegensatzes zwischen der Ware (als dem Produkt unmittelbar privater Arbeit) und dem Geld, das die gesellschaftliche, abstrakte Arbeit verkörpert.

Das Geld drückt also bestimmte Produktionsverhältnisse aus, deren sozial-ökonomischer Charakter durch die jeweils herrschenden Eigentumsverhältnisse bestimmt wird. In allen antagonistischen Klassengesellschaften diente das Geld als ein entscheidendes Mittel zur Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, zur Unterdrückung der arbeitenden Klassen und Schichten durch die herrschenden Klassen.

In der einfachen Warenproduktion verkörpert das Geld die auf gesellschaftliche Arbeitsteilung und Privateigentum gegründeten gesellschaftlichen Verhältnisse der kleinen Warenproduzenten. Die Entwicklung der Warenbeziehungen von zufälligen, auf geringe Teile des Mehrprodukts beschränkten, territorial und klimatisch stark begrenzten Beziehungen zu umfassenden, alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens berührenden Ware-Geld-Beziehungen bedeutet die Zurückdrängung der auf persönlicher Knechtschaft und dem außerökonomischen Zwang beruhenden Produktionsverhältnisse. Im Geld erfährt der Grundwiderspruch der einfachen Warenproduktion seine volle Entfaltung.

Im Aufkommen des Geldes spiegelt sich wider, daß das Wertgesetz als grundlegendes Gesetz der einfachen Warenproduktion seine Wirkung immer vollständiger ausüben kann, daß also die Naturalwirtschaft stark zurückgedrängt wird. An der raschen Entwicklung der Ware-Geld-Beziehung wird also vor allem auch deutlich, daß die Arbeitsproduktivität und ihre Steigerung zunehmend zu einer gesamtgesellschaftlich und international maßgebenden Erscheinung werden.

Wenn zu Beginn der Darlegung über die Ware Marx’ Feststellung zitiert wurde, daß der Reichtum in der kapitalistischen Gesellschaft als eine ungeheure Warensammung erscheint, so kann jetzt ergänzt werden: Das Geld ist die allgemeine Verkörperung des gesellschaftlichen Reichtums der kapitalis-tischen Gesellschaft. Das Geld ist zugleich die beweglichste und disponibelste Form des gesellschaftlichen Reichtums in der auf der Warenproduktion beruhenden kapitalistischen Gesellschaft. Das Geld wird hier zur Privatmacht. „Geld regiert die Welt!“ ist ein bekanntes Sprichwort im Kapitalismus. Es drückt den Tatbestand aus, daß der Geldbesitzer über den gesellschaftlichen Reichtum in Warenform und dessen Quellen verfügt und dadurch auch über Menschen herrschen kann. Friedrich Engels schrieb darüber im „AntiDühring“: „… in den, in Klassengegensätzen sich bewegenden Gesellschaften (ist) der Reichtum, soweit er eine Herrschaft über Menschen einschließt, vorwiegend fast ausschließlich eine Herrschaft über Menschen vermöge und vermittelst der Herrschaft über Dinge.“88

Die Macht, die der Geldbesitzer über Sachen und Menschen ausüben kann, ist allerdings an die Quantität, die Menge des Geldes gebunden, über die er verfügt. „Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d.h. allgemeiner Repräsentant des stofflichen Reichtums, weil in jede Ware unmittelbar umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschränkt, daher auch nur Kaufmittel von beschränkter Wirkung.“89 Der Klassencharakter des Geldes entwickelt sich voll im Kapitalismus, wo sich das Geld in Kapital verwandelt und die Ware Arbeitskraft mit Geld gekauft wird. Das Geld verkörpert im Kapitalismus das letzte Herrschaftsverhältnis einer verschwindenden Minderheit über eine wachsende Mehrheit: Wenige Millionäre und Milliardäre herrschen über Millionen. Erst in einer von der Ausbeutung des Menschen befreiten Gesellschaftsordnung, im Sozialismus, verliert das Geld diesen Ausbeutungscharakter.