Handelskapital und Handelsprofit
Leihkapital und Zins

2.6.2
Das fiktive Kapital

„Die Form des zinstragenden Kapitals bringt es mit sich“, schreibt Karl Marx, „daß jede bestimmte und regelmäßige Geldrevenue als Zins eines Kapitals erscheint, sie mag aus einem Kapital entspringen oder nicht. Erst wird das Geldeinkommen in Zins verwandelt, und mit dem Zins findet sich dann auch das Kapital, woraus es entspringt.“89 Das liegt darin begründet, daß im Kapitalismus Geld, aber auch Produktionsmittel oder Waren, sofern sie eine bestimmte Geldsumme verkörpern, potentiell Kapital sind, verwertet werden können. Angenommen der Zinsfuß beträgt 5 Prozent und es bezieht jemand ein jährliches Einkommen von 2500, so kann dieses Einkommen als Zins für ein Kapital von 50 000 angesehen werden, gleichgültig, ob es einem Kapital entspringt oder nicht. Die auf solche Weise erfolgende Verwandlung eines regelmäßigen Geldeinkommens in Kapital nennt man kapitalisieren, Kapitalisierung eines Ertrages, und das Kapital selbst ist fiktives Kapital. Es heißt fiktives Kapital, weil hier der Zusammenhang mit dem wirklichen Verwertungsprozeß des Kapitals, der nur in der Produktion erfolgen kann, verlorengegangen ist.

Das fiktive Kapital unterscheidet sich vom wirklichen Kapital. Wirkliches Kapital ist Geld-, Waren- und produktives Kapital. Das durch die Kapitalisierung von Erträgen entstandene Kapital verselbständigt sich, und es entstehen eigene Formen. Solche Formen des fiktiven Kapitals sind die Aktien, Obligationen, Staatsanleihepapiere, Kuxe90, Hypothekenpfandbriefe, die unter dem Begriff Wertpapiere zusammengefaßt wurden.

Nehmen wir die Staatsanleihepapiere, zum Beispiel Kriegsanleihen. Der kapitalistische Staat braucht Geld, um die Rüstungsmonopole für Waffenlieferungen zu bezahlen. Diese,Waffen werden auf dem Schlachtfeld vernichtet. Hinter den Kriegsanleihepapieren stehen dann keine realen Werte mehr, sondern nur Staatsschulden. Aber der Staat zahlt aus den Steuereinnahmen die Zinsen. Die Rückzahlung der Anleihe erfolgt erst nach langer Zeit. Braucht der Besitzer der Staatsanleihepapiere Geld, dann kann er die Papiere verkaufen. Angenommen er hat 1000 Dollar gezeichnet, und die Papiere wurden mit 5 Prozent verzinst, dann erhält er als Ertrag 50 Dollar jährlich ausgezahlt. Wenn nun der herrschende Zinsfuß auch die Höhe von 5 Prozent hat, dann erhält er vom Käufer der Papiere 1000 Dollar. Würde dagegen der Zinsfuß 2,5 Prozent betragen und die Staatsanleihe nach wie vor 50 Dollar einbringen, dann müßte ihm der Käufer 2000 Dollar bezahlen; denn 50 Dollar wären 2,5 Prozent Zinsen von einem Kapital von 2000 Dollar.

Wir haben hier erstens die Tatsache, daß eine Schuld, also ein Minus, sich in Kapital verwandelt, in fiktives Kapital, denn es existieren nur die Zinsen in Höhe von 20 Dollar. Durch die Kapitalisierung dieser 20 Dollar zu 5 Prozent entsteht ein Kapital von 1000 Dollar. Aber dieses Kapital existiert nur in der Vorstellung, nicht in Wirklichkeit. Zweitens erhält dieses fiktive Kapital die Form eines Wertpapiers, in diesem Falle eines Staatsanleihepapiers, eines Titels, der zum Bezug der Zinsen berechtigt. Dieser Titel fungiert nun selbst wieder als Kapital und kann verliehen oder verkauft werden. Der Käufer des Titels legt 1000 Dollar an, um die jährlichen Zinsen zu erhalten. Er kauft das fiktive Kapital als zinsbringende Geldanlage. Drittens hängt der Kaufpreis des fiktiven Kapitals, der Wertpapiere, von den jährlichen Zinsen und vom herrschenden Zinsfuß für Spar- oder Bankeinlagen ab. Verändert sich dieser Zinsfuß, verändert sich auch der Preis oder der Kurs des fiktiven Kapitals, der Wertpapiere. Sinkt er zum Beispiel von 5 Prozent auf 2,5 Prozent, dann steigt der Preis oder Kurs der Staatsanleihe, die jährlich 50 Dollar einbringt, auf 2000 Dollar, weil nunmehr 2000 Dollar notwendig wären, um 50 Dollar Zinsen zu erhalten. Steigt der Zinsfuß auf 10 Prozent und würden die Staatsanleihepapiere weiter 50 Dollar abwerfen, dann fiele der Preis oder Kurs der Anleihe auf 500 Dollar, weil 50 Dollar 10 Prozent von 500 Dollar sind.

Dasselbe ist auch bei den Aktien der Fall, obwohl es dort den Anschein hat, als ob im Unterschied zu den Staatspapieren keine Schuld, sondern reelles in den Betrieben angelegtes Kapital vorhanden wäre. „Auch da, wo der Schuldschein – das Wertpapier – nicht wie bei den Staatsschulden rein illusorisches Kapital vorstellt, ist der Kapitalwert dieses Papiers rein illusorisch. Man hat vorhin gesehn, wie das Kreditwesen assoziiertes (gesellschaftliches) Kapital erzeugt. Die Papiere gelten als Eigentumstitel, die dies Kapital vorstellen. Die Aktien von Eisenbahn-, Bergwerks-, Schiffahrts- etc. Gesellschaften stellen wirkliches Kapital vor, nämlich das in diesen Unternehmungen angelegte und fungierende Kapital … Aber dies Kapital existiert nicht doppelt, einmal als Kapitalwert der Eigentumstitel, der Aktien, und das andre Mal als das in jenen Unternehmungen wirklich angelegte oder anzulegende Kapital. Es existiert nur in jener letzteren Form, und die Aktie ist nichts als ein Eigentumstitel, pro rata, auf den durch jenes zu realisierenden Mehrwert.“91

Die Aktien sind also wie die Staatspapiere „illusorisches Kapital“, fiktives Kapital, aber sie setzen, wie wir sahen, Kapital in Bewegung. Sie werden verkauft und gekauft. Das fiktive Kapital existiert neben oder über dem wirklichen Kapital in einer eigenen Sphäre und hat seinen eigenen Markt, den Wertpapiermarkt oder Effektenmarkt, die Börse. „Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel, nicht nur der Staatseffekten, sondern auch der Aktien, bestätigt den Schein, als bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital oder dem Anspruch, worauf sie möglicherweise Titel sind. Sie werden nämlich zu Waren, deren Preis eine eigentümliche Bewegung und Festsetzung hat. Ihr Marktwert erhält eine von ihrem Nominalwert verschiedne Bestimmung, ohne daß sich der Wert (wenn auch die Verwertung) des wirklichen Kapitals änderte.“92

Der Nominalwert der Aktien ist die auf dem Papier aufgedruckte Geldsumme, zum Beispiel 1000 Dollar oder 100 Dollar. Der Preis der Aktien oder ihr Kurs wird letztlich, wie wir schon bei den Staatspapieren bemerkten, durch das Verhältnis von Zins und Zinsfuß bestimmt. Aktien sind keine festverzinsbaren Wertpapiere, das heißt, der jährliche Zinssatz bleibt nicht wie bei den Staatspapieren gleich. Der Zinssatz der Aktien, Dividende genannt, ändert sich in der Regel in Abhängigkeit von der Höhe des Profits, den das Unternehmen jährlich abwirft. Bei hohem Profit steigen die Dividenden, bei niedrigem Profit sinken sie, und bei Verlusten fallen sie ganz weg.

Der Preis oder Kurs der Aktien wird durch die Kapitalisierung der Dividende bestimmt. Die Formel dieser Kapitalisierung lautet:

Dividende × 100 = Preis oder Kurs der Aktie
Zinsfuß

Eine Dividende von 100 Dollar auf 1000 Dollar Nominalwert erbringt bei einem Zinsfuß von 5 Prozent einen Preis oder Kurs der Aktien von 2000 Dollar. Bei
50 Dollar Dividende und einem Zinsfuß von 10 Prozent beträgt er 500 Dollar.

Nun richtet sich der „Wert“ des fiktiven Kapitals, der Aktien als Ware, außer nach der Kapitalisierungsformel auch nach Angebot und Nachfrage. Hierbei spielen die Erwartungen auf die Dividende eine Rolle. Aussichten auf eine hohe Dividende treiben die Aktienkurse hoch, Erscheinungen von Produktions- und Absatzstockungen, Verlusten und Krisen führen zu Kursstürzen. Auch die politische Entwicklung hat positive und negative Auswirkungen auf die Aktienkurse.

Hier ist das Feld der Spekulation. Spekulanten kaufen und verkaufen die Aktien nicht als Anlagepapiere, um die Dividenden zu gewinnen. Sie rechnen auf die durch Kursschwankungen der Aktien beim Kauf und Verkauf entstehenden Differenzgewinne. Mit diesem Ziel schließen die Spekulanten zum Beispiel Kaufverträge für bestimmte Aktien zu einem bestimmten Preis und Termin ab in der Erwartung, daß die Aktienkurse steigen. Zum festgesetzten Termin muß ihnen der Vertragspartner die Aktien zum abgemachten Preis liefern. Wenn der Kurs gestiegen ist, machen sie einen Differenzgewinn, und der Verkäufer hat einen Verlust. Wenn der Kurs unter dem festgemachten Preis bleibt, ist der Käufer der Verlierer. Dieses Geschäft heißt a la Hausse spekulieren. Werden Verkaufsverträge zu bestimmten Preisen und Terminen mit der Berechnung abgeschlossen, daß die Kurse unter den festgesetzten Preis fallen, dann machen die Spekulanten ebenfalls einen Differenzgewinn. Das heißt a la Baisse spekulieren. Es gehört zur Praxis der Börsenspekulation, die Kursbewegung durch Gerüchte zu beeinflussen, um dadurch hohe Spekulationsgewinne zu erzielen. Die Börsenspekulation hat aber einen für die Entwicklung der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse bedeutsamen Hintergrund.

Erstens sind die Aktien wie die Wertpapiere überhaupt zwar fiktives Kapital, aber sie setzen Geldkapital zur Zirkulation dieser Wertpapiere in Bewegung. Das wachsende Kapitalminimum schränkt für kleine Geldkapitale die Möglichkeit der Anlage in der Produktion ein. Dadurch werden die Geldbesitzer auf die Kapitalanlage in Wertpapieren gelenkt und in bloße Kapitalverwerter verwandelt. Auf diese Weise entwickelt sich eine Schicht von „Kuponschneidern“ oder Rentiers.

Durch den Verkauf von „Kleinaktien“ wurden auch bestimmte Schichten der Arbeiterklasse zu Aktienbesitzern, ohne aber dadurch Rentiers zu werden. Bei Kursstürzen werden die Aktien faktisch entwertet. Die Aktienbesitzer erhalten keine Dividende, und der Preis ihrer Aktien sinkt. Wenn sie die Aktien verkaufen, dann verlieren sie auch einen Teil ihres angelegten Geldvermögens. Es erfolgt also eine Expropriation, eine Enteignung.

Die Aktienkurse haben nichts mit dem realen Kapital der Betriebe der Aktiengesellschaften zu tun, sondern nur mit den Erträgen. Sinken diese Erträge oder bleiben sie ganz aus, dann wird zwar das fiktive Kapital, werden die Aktien entwertet, aber nicht das reale Kapital. „Soweit die Entwertung oder Wertsteigerung dieser Papiere unabhängig ist von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals, das sie repräsentieren, ist der Reichtum einer Nation gerade so groß vor wie nach der Entwertung oder Wertsteigerung.“93 Aber auf dem Wege der Entwertung der Aktien kann eine Enteignung großer Teile der Aktienbesitzer erfolgen, wenn sie gezwungen sind, ihre Aktien zu verkaufen und diese von einem oder einer Gruppe von Großaktionären aufgekauft werden.

Zweitens schlägt der quantitative Besitz von Aktien bei einer bestimmten Größe in das Verfügungsrecht über das wirkliche Kapital der Aktiengesellschaften um. Großkapitalisten der Industrie, der Banken und des Handels erhalten durch den Aufkauf von Aktien bestimmter Unternehmen das Verfügungsrecht über deren Kapital. Es erfolgt eine Expropriation und Zentralisation von Kapitaleigentum, von wirklichem Kapital, die Übertragung des Eigentums an den Produktionsmitteln der einen Kapitalisten in die Hände der anderen.

„Das Gelingen und Mißlingen führen hier gleichzeitig zur Zentralisation der Kapitale und daher zur Expropriation auf der enormsten Stufenleiter. Die Expropriation erstreckt sich hier von den unmittelbaren Produzenten auf die kleineren und mittleren Kapitalisten selbst. Diese Expropriation ist der Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktionsweise; ihre Durchführung ist ihr Ziel, und zwar in letzter Instanz die Expropriation aller einzelnen von den Produktionsmitteln, die mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion aufhören, Mittel der Privatproduktion und Produkte der Privatproduktion zu sein, und die nur noch Produktionsmittel in der Hand der assoziierten Produzenten, daher ihr gesellschaftliches Eigentum, sein können, wie sie ihr gesellschaftliches Produkt sind. Diese Expropriation stellt sich aber innerhalb des kapitalistischen Systems selbst in gegensätzlicher Gestalt dar, als Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums durch wenige …“94 Mit dieser Entwicklung vollzieht sich eine bedeutsame Veränderung in der sozialen Struktur der Kapitalistenklasse.

In den Aktiengesellschaften ist die sich mit dem kapitalistischen Kreditwesen entwickelnde Trennung von Kapitaleigentum und Kapitalfunktion verkörpert. „In den Aktiengesellschaften ist die Funktion getrennt vom Kapitaleigentum, also auch die Arbeit gänzlich getrennt vom Eigentum an den Produktionsmitteln und an der Mehrarbeit.“95 Das ist in zweifacher Hinsicht zu sehen. Der Kapitalist scheidet nunmehr aus der Produktion aus. Als Aktionär hat er keinerlei produktive Funktion mehr inne. Er ist vollständig überflüssig und parasitär. Insofern „ist dies Resultat der höchsten Entwicklung der kapitalistischen Produktion ein notwendiger Durchgangspunkt zur Rückverwandlung des Kapitals in Eigentum der Produzenten, aber nicht mehr als das Privateigentum vereinzelter Produzenten, sondern als das Eigentum ihrer als assoziierter, als unmittelbares Gesellschaftseigentum“96.

Durch den Großbesitz der Aktien schlägt die Quantität in die Qualität um. Besitzt der Großaktionär die Mehrheit der Aktien einer Aktiengesellschaft, so erhält er die Verfügung über das Eigentum an den Produktionsmitteln der ganzen Aktiengesellschaft. Hier spitzt sich der Grundwiderspruch des Kapitalismus aufs äußerste zu. Mit einem Minimum von eigenem Kapital verfügt der Großaktionär über das Gesamtkapital wie über sein eigenes Kapital.

Der Umschlag des Eigentums an fiktivem Kapital in Verfügung über reelles Kapital ist ein Prozeß der Einheit von Konzentration und Zentralisation des Kapitals, der auf der Grundlage der Expropriation, der Enteignung, zur Herausbildung einer gewaltigen Kapitalmacht und einer neuen diese Kapitalmacht beherrschenden Schicht von Kapitalisten führt. Verfügung über Gesellschaftskapital wird zur Privatmacht einzelner Kapitalisten. Auf diese Weise entsteht, wie Marx schreibt, „eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe und Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.“97 Karl Marx nimmt hier zwar nur auf die Großspekulanten Bezug, aber Friedrich Engels weist in einer Einfügung darauf hin, daß sich „neue Formen des Industriebetriebs entwickelt (haben), die die zweite und dritte Potenz der Aktiengesellschaft darstellen“98. Er spricht von Kartellen und Trusts, das heißt von Formen des Monopols. Hier handelte es sich nicht mehr wie bei dem Panamaskandal, auf den Friedrich Engels auch hinweist99, um Schwindel und Spekulation, sondern um die Herausbildung einer neuen Entwicklungsstufe des Kapitalismus, den monopolistischen Kapitalismus. Bei dieser Entwicklung mauserte sich die „neue Finanzaristokratie“ durch die Verschmelzung von Industrie- und Bankkapital zum Finanzkapital.

Die Sphäre des Finanzkapitals aber ist die Sphäre des fiktiven Kapitals. Das Finanzkapital betreibt die Aktienspekulation und das Gründergeschäft nicht nur, um den Spekulationsgewinn zu machen, sondern mit Hilfe des fiktiven Kapitals das wirkliche Kapital in seine Verfügung zu bringen und seine Monopolstellung auszubauen.

Der Großaktionär hat durch den Besitz einer Vielzahl von Aktien, eines Aktienpakets, das Verfügungsrecht über das Eigentum der Aktiengesellschaft. Es findet also faktisch eine Expropriation, eine Enteignung der übrigen Aktionäre und eine Zentralisation des Kapitals in den Händen des Großaktionärs statt. „Diese Expropriation stellt sich aber innerhalb des kapitalistischen Systems selbst in gegensätzlicher Gestalt dar, als Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums durch wenige; und der Kredit gibt diesen wenigen immer mehr den Charakter reiner Glücksritter. Da das Eigentum hier in der Form der Aktie existiert, wird seine Bewegung und Übertragung reines Resultat des Börsenspiels, wo die kleinen Fische von den Haifischen und die Schafe von den Börsenwölfen verschlungen werden.“100

Heute vollzieht sich diese Form der Zentralisation des Kapitals nicht mehr in erster Linie über die Börse und die Börsenspekulation, sondern über die Großbanken, die selbst mit dem Industriekapital verwachsen sind. Die Großbanken sind es auch, die in verschiedenen Formen Kapital für die großen Aktiengesellschaften, die sich zu Konzernen ausgewachsen haben, zur Ausdehnung ihrer Macht mobilisieren.

Wir erwähnten schon, daß die Aktiengesellschaften nicht nur größere Möglichkeiten für die Akkumulation von Kapital, sondern auch für die Aufnahme von Kredit bei den Banken haben.

Hinzu kommt, daß sie als Großunternehmen in sehr hohem Grad amortisieren und den Amortisationsfonds zur Akkumulation benutzen können. Heute gibt ihnen die sogenannte degressive Abschreibung außerdem noch die Möglichkeit, die Amortisation und damit die Akkumulation dadurch zu erweitern, daß sie auf ihre Waren einen größeren Wert übertragen, als es dem produktiven Verschleiß des fixen Kapitals entspricht. Diesen realisieren sie dann im Monopolpreis ihrer Waren und machen dadurch einen zusätzlichen Profit. Der erweiterte Amortisationsfonds und der Profit bilden die Grundlage der sogenannten Selbstfinanzierung der Investitionen. Gemeint ist damit, daß die großen monopolistischen Aktiengesellschaften überwiegend aus eigenen Mitteln akkumulieren und nur in geringerem Maße „Fremdkapital“, das heißt Kredite, aufnehmen.

Die ergiebigste Kapitalmobilisierung ist die Gründung der Aktiengesellschaften selbst und die Emission von Anleihen, Obligationen, Pfandbriefen, sogenannten börsengängigen Wertpapieren, das heißt durch Kapitalisierung der Erträge gebildetes fiktives Kapital, mit dem auf dem Wertpapiermarkt oder Effektenmarkt an der Börse und durch Banken unmittelbar gehandelt wird.

Unter einem Gründergeschäft versteht man die Gründung von Aktiengesellschaften zum Zwecke der Emission und des Verkaufs von Aktien. Das geschieht durch ein Gründerkonsortium, das in der Regel aus mehreren Banken besteht. Ein solches Gründergeschäft bringt den Gründergewinn, der eine enorme Höhe erreichen kann. Der Gründergewinn entsteht dadurch, daß bei der Emission, dem Erstverkauf der Aktien, der Kurs oder Preis der Aktien durch die Aussicht, daß die neue Aktiengesellschaft einen hohen Gewinn ausschütten, eine hohe Dividende zahlen will, so hoch getrieben wird, daß er bedeutend über dem Nennwert, das heißt der auf der Aktie aufgedruckten Geldsumme, steht. Da der Kurs der Aktien durch die Kapitalisierung der Dividende entsteht, kann, wenn wir unser Beispiel nehmen, eine 1000-Dollar-Aktie, die bei einem Zinsfuß von 5 Prozent eine Dividende von 10 Prozent abwirft, für 2000 Dollar verkauft werden. Wenn das Aktienkapital 1 Million Dollar beträgt, dann macht der Gründer beim Erstverkauf der Aktien 1 Million Dollar Gründergewinn.

Rudolf Hilferding hat als erster das Wesen dieses Gründergewinns aufgedeckt und erkannt, daß es sich um kapitalisierten Unternehmergewinn handelt. Der Profit eines Unternehmens zerfällt, wie wir bei der Untersuchung des Leihkapitals sahen, in Unternehmergewinn und Zins. Bei der Emission der Aktien wird nicht nur die erwartete Dividende kapitalisiert, sondern auch der gesamte Unternehmergewinn.

W. I. Lenin hat diese Entdeckung aufgegriffen und gezeigt, daß dieser Gründergewinn phantastisch erhöht werden kann, indem mehr Aktien emittiert werden, als für das Unternehmen notwendig sind, das Kapital dadurch „verwässert“ wird. Dieser Gründergewinn wird gemacht, wenn das Aktienkapital „aufgestockt“ und mit der Entwicklung des Unternehmens neue zusätzliche Aktien emittiert werden. Ebenso werden große Gründergewinne gemacht, wenn in Schwierigkeiten geratene Unternehmen „saniert“ und „reorganisiert“ werden.

Das Entscheidende aber ist, wie W. I. Lenin feststellt, daß mit Hilfe der Aktienemission und Aktienspekulationen die Gründer- und Spekulationsgewinne des Finanzkapitals eine ungeheure Konzentration und Zentralisation des Kapitals und die Bildung von Monopolen in Form von Konzernen und Trusts bewirkten. Das fiktive Kapital dient dazu, riesige ökonomische Machtbereiche zu bilden. Durch diese Anpassung der kapitalistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse an die rapid zunehmende Vergesellschaftung der Produktion werden dem Widerspruch zwischen der Vergesellschaftung des Kapitals und seiner privatkapitalistischen Grundlage weitere Bewegungsmöglichkeiten verschafft. Dieser Entwicklungsprozeß führt also mit gesetzmäßiger Notwendigkeit zum monopolistischen Kapitalismus.

Die Möglichkeiten der gewaltigen Akkumulation und Expansion der Aktiengesellschaften sind zugleich Quellen der Verschärfung der Widersprüche der kapitalistischen Wirtschaft. Sie spitzt den Konkurrenzkampf der Kapitalisten untereinander zu und führt zur Vernichtung und Enteignung der kleinen und mittleren Kapitalisten. Bürgerliche und sozialdemokratische Ökonomen schätzen die Ausbreitung der Aktiengesellschaften als eine „Demokratisierung des Kapitals“ ein. Sie gehen von dem äußeren Schein aus, daß tatsächlich angesichts des umfangreichen Aktienkapitals der großen Gesellschaften eine Menge von Aktien emittiert wird. Ergibt doch schon 1 Million € Aktienkapital bei 1000-€-Aktien 1000 Aktien und bei 100-€-Aktien 10 000 Aktien. Die Zahl der Aktionäre ist also sehr groß.

Die „Demokratie“ der Aktiengesellschaften besteht darin, daß in der Regel jede Aktie in der Hauptversammlung der Aktiengesellschaft eine Stimme hat. Formell haben also alle Aktionäre gleiche Rechte, aber entscheidend ist die Stimmenzahl, die der einzelne Aktionär durch seinen Aktienbesitz auf sich vereinigt. W. I. Lenin charakterisiert diesen Tatbestand so: „Die Professoren, die den Kapitalismus verteidigen, schwatzen angesichts der zunehmenden Zahl der Kleinaktionäre von einer Erhöhung der Zahl der Eigentümer. In Wirklichkeit aber wächst die Macht (und das Einkommen) der einflußreichsten Millionäre über das Kapital der ,Kleinen‘.“101

Die „Demokratisierung“ des Aktienkapitals erhält noch dadurch ihre besondere kapitalistische Note, daß die Mehrzahl der Aktionäre ihre Aktien bei einer Bank deponieren und ihr die Vertretung und das Stimmrecht übertragen. Auf diese Weise konzentrieren vor allem die Großbanken einen großen Teil der Aktien in ihren Händen und nehmen mit dem „Depotstimmrecht“ auf die Entscheidungen der Hauptversammlung und des Aufsichtsrats Einfluß, die wesentlich von ihren Interessen und nicht denjenigen der Kleinaktionäre bestimmt werden.

Der Verkauf der Kleinaktien an die Arbeiter verfolgt auch den Zweck, sie fester an das Unternehmen zu binden, zu größeren Arbeitsleistungen anzuspornen und sie zu beeinflussen, daß sie nicht an Streiks teilnehmen. Außerdem dient das von ihrem Arbeitslohn für den Kauf der Aktien aufgewandte Geld zur Akkumulation und damit zur Vergrößerung des Ausbeutungsfeldes.

Während den einen „Professoren“ der Hinweis auf die „Kleinaktionäre“ dazu dient, um von einer „Demokratisierung“ oder einer „Transformation“, einer Wandlung des Kapitalismus aus einer Ausbeutergesellschaft in eine Nichtausbeutergesellschaft zu schwatzen, heben die anderen zum selben Zweck die Manager hervor. Sie reden von einer „Revolution der Manager“ und behaupten, daß der Einfluß des Kapitaleigentums durch die Direktoren der Aktiengesellschaften verdrängt wurde, die selbst keine Kapitaleigentümer wären.

In Wirklichkeit wird erstens durch die Manager das Kapitaleigentum nicht aufgehoben, sondern sie werden von den Kapitaleigentümern zur Leitung der Betriebe der Aktiengesellschaft angestellt. Sie leiten also als bezahlte Angestellte die Kapitalfunktion, vor allem die Funktion der Überwachung des Verwertungsprozesses, wobei ihr Gehalt zum größten Teil aus Anteilen am Mehrwert besteht.

Zweitens gehören die Spitzenmanager, die Leiter der Konzerne, oft zu denen, die über das Kapital verfügen, das heißt zu den Großaktionären.