Kapital und Mehrwert

1.1
Die allgemeine Formel des Kapitals
und ihre Widersprüche

Geld als letztes Produkt der Warenzirkulation „ist die erste Erscheinungsform des Kapitals. … Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d. h. den Markt, Warenmarkt, Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das sich durch bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll“4, schreibt Marx. Jedes Kapital tritt zunächst als Geld auf, mit dem die sachlichen und die persönlichen Produktionsbedingungen (Produktionsmittel und Arbeitskräfte) gekauft und bezahlt werden. Geld an sich ist noch nicht Kapital, es verwandelt sich erst in Kapital. Wenn einfache Warenproduzenten Waren austauschen, fungiert das Geld nicht als Kapital, als Geldkapital, sondern zum Beispiel als Zirkulationsmittel oder als Zahlungsmittel.

In den Untersuchungen über die Verwandlung von Geld in Kapital stellt Marx zunächst die Zirkulationsformeln der einfachen und der kapitalistischen Warenwirtschaft gegenüber. „Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunächst nur durch ihre verschiedne Zirkulationsform.“5

Für die, einfache Warenproduktion, in der die Eigentümer an den Produktionsmitteln und die unmittelbaren Produzenten identisch sind, gilt die Formel

W - G - W.6

Eine Ware wird verkauft, um eine andere kaufen zu können. Ausgangspunkt und Endpunkt der Bewegung ist jeweils eine Ware. Das Geld vermittelt diese Warenzirkulation. Das Ziel des Prozesses besteht darin, durch die Produktion und den Verkauf eines Gebrauchswertes einen anderen Gebrauchswert zu erhalten, also Bedürfnisse zu befriedigen.

Bei kapitalistischer Warenwirtschaft lautet die Zirkulationsformel zunächst

G - W - G.

Hier ist das Geld Ausgangspunkt und Schlußpunkt der Bewegung, die Ware vermittelt nur den Prozeß. Das Ziel, das Motiv des Handelns ist das Geld, nicht die Ware, nicht der Gebrauchswert beziehungsweise die Bedürfnisbefriedigung.

Ein Austausch von Geld gegen Geld in gleicher Menge ist jedoch sinnlos. Der Sinn dieses Vorganges kann nur sein, der Zirkulation mehr Geld zu entziehen, als anfangs vorgeschossen wurde. Die vollständige Zirkulationsformel ist daher

G - W - G’,

wobei G‘ eine vergrößerte Geldmenge bedeutet. Am Ende dieser Bewegung hat sich die vorgeschossene Geld- beziehungsweise Wertmenge um einen Zuwachs vergrößert - den Mehrwert. Der ursprünglich vorgeschossene Wert erhält sich nicht nur, sondern er verändert seine Größe, er verwertet sich. Diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital. Kapital ist sich verwertender Wert.

Die Formel G - W - G’ ist „die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint“7. Sie ist deshalb die allgemeine Formel des Kapitals, weil sich die Kapitalbewegung in allen Wirtschaftsbereichen des Kapitalismus in dieser Form vollzieht.

Bei der Formel W - G - W ist die Bewegung abgeschlossen, wenn der erworbene Gebrauchswert in die Konsumtion des einfachen Warenproduzenten eingegangen ist. Bei der Formel G - W - G’ dagegen gibt es kein natürliches Ende des Prozesses. Hier handelt es sich nicht um einen abgeschlossenen Kreislauf, jeder Endpunkt ist der Ausgangspunkt einer neuen Bewegung. Das Geld, der Wert drängen endlos und maßlos immer von neuem zur Verwertung. Dieser Verwertungstrieb ist die mächtigste Triebkraft des Kapitals.

Kauf und Verkauf als G - W - G’ werden von kapitalistischen Warenproduzenten vollzogen. Wichtig sind jedoch nicht die unterschiedlichen persönlichen Eigenschaften, sondern entscheidend ist einzig und allein, daß sie bei ihrem Handeln und Streben dem objektiven Gesetz der Kapitalverwertung unterworfen sind. Die objektiven Gesetze des Kapitalismus bestimmen ihr subjektives Handeln als Kapitalisten. Sie fungieren als personifiziertes Kapital.

Die bürgerlichen Ideologen verbreiten in der Arbeiterklasse ein Leitbild vom kapitalistischen Unternehmer, nach dem er sich durch Fleiß, Tüchtigkeit und soziale Gerechtigkeit auszeichne. Sie unterschlagen dabei, daß die soziale Existenz der Kapitalisten von dem mörderischen Konkurrenzkampf gegen-einander bestimmt wird, der sie objektiv zur höchstmöglichen Verwertung ihres Kapitals, zur höchstmöglichen Ausbeutung und Ausplünderung „ihrer“ Arbeiter zwingt. Diesem Verwertungs- und Bereicherungsstreben der kapitalistischen Unternehmer werden nur durch den Kampf der Arbeiterklasse und der anderen Werktätigen Schranken gesetzt.

Die allgemeine Bewegungsformel des Kapitals G - W - G’ wirft die Frage auf, wie die Verwertung eines gegebenen Wertes vor sich geht, woher der Kapitalzuwachs kommt. Bürgerliche Ökonomen vertraten und vertreten auch heute noch die Auffassung, daß der Wertzuwachs, der Mehrwert, aus der Zirkulation stammen würde. Wie Marx nachweist, ist das falsch, denn sowohl bei Äquivalentenaustausch, wenn sich Angebot und Nachfrage und damit Preis und Wertgröße der verkauften Waren decken, als auch bei Nichtäquivalentenaustausch, wenn sich die Kapitalisten gegenseitig übervorteilen, kann keine allgemeine Wertvergrößerung erfolgen.

Wenn zum Beispiel alle Kapitalisten ihre Waren über dem Wert verkaufen würden, so würde jeder Kapitalist als Käufer verlieren, was er als Verkäufer gewinnen würde. Das Kapital hätte sich dadurch nicht verwertet. Auch wenn einzelne Kapitalisten die Möglichkeit haben, über dem Wert zu verkaufen oder unter dem Wert zu kaufen (und das tritt in der kapitalistischen Praxis immer wieder auf), dann verändert das ebenfalls nicht den Gesamtwert in den Händen der Kapitalisten. Es findet lediglich eine Umverteilung des bereits vorhandenen Wertes innerhalb der Kapitalistenklasse statt. Die Gesamtheit der Kapitalisten kann sich nicht durch Umverteilung des vorhandenen Wertes bereichern.

Aus der Zirkulation, aus dem Kauf und Verkauf der Waren kann auch bei noch so großer Differenz zwischen Preis und Wert im einzelnen kein allgemeiner Wertzuwachs erfolgen.

Die These, daß der allgemeine Wertzuwachs, die Kapitalverwertung, nicht in der Zirkulationssphäre vor sich gehen kann, bedeutet keine Verkennung der wichtigen Rolle, die die Zirkulation spielt. In der Zirkulationssphäre kaufen die Kapitalisten die Produktionsmittel und Arbeitskräfte, treten miteinander in Beziehungen und verkaufen die produzierten Waren. Die Zirkulation ist eine notwendige Bedingung für die Kapitalverwertung. „Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen.“8 Das sind die Widersprüche der allgemeinen Kapitalformel. Marx weist ausdrücklich auf die methodologische Seite des Problems hin, wenn er schreibt, daß die Entwicklung der Ware sowie der Warenproduktion und der Warenzirkulation die ihnen innewohnenden Widersprüche nicht aufhebt, aber die Form schafft, worin sie sich bewegen können. „Dies ist überhaupt die Methode“, fährt Marx fort, „wodurch sich wirkliche Widersprüche lösen.“9 Der Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft bildet daher die Form, worin die Widersprüche der allgemeinen Kapitalformel sich bewegen können, worin sie ihre ständige Lösung und erneute Konstituierung erfahren müssen und tatsächlich erfahren. Vom Standpunkt der Zirkulation aus besteht die Bewegungsform G - W - G’ aus zwei Teilprozessen, aus dem Kauf und dem Verkauf, aus

G - W und W‘ - G‘.

Die Ware tritt jetzt zweimal auf, und zwar als W und W’. Zwischen W und W’ muß etwas Entscheidendes geschehen. Zwischen dem Kauf und dem Verkauf muß der Wertzuwachs liegen. Der industrielle Kapitalist10 kauft jedoch nicht Waren, um diese wieder zu verkaufen. Er kauft bestimmte Waren, um zu produzieren, und in dieser Produktion muß der allgemeine Wertzuwachs erfolgen. Um das Problem der allgemeinen Wertvergrößerung zu lösen, muß daher die Produktionssphäre untersucht werden. Die Zirkulation (der Kauf, die Verwandlung von G in W) leitet die Kapitalverwertung, die sich in der Produktion vollzieht, nur ein.

Während in der Zirkulationssphäre zwischen Kapitalisten und Lohnarbeitern formale Gleichheit herrscht - beide stehen sich als Wareneigentümer gegenüber und tauschen Äquivalente aus -, zeigt sich in der Produktionssphäre die tatsächliche Ungleichheit zwischen Kapitalisten und Arbeitern, das antagonistische Klassenverhältnis.

Die Kapitalverwertung, der Wertzuwachs, erfolgt beimVerbrauch, das heißt bei der Nutzung der vom Kapitalisten gekauften Waren. Das ist aber nur möglich, wenn sich unter ihnen eine solche Ware befindet, die bei ihrer Nutzung Wert schafft. Diese Ware ist die menschliche Arbeitskraft.