Kapital und Mehrwert

2.2
Konstantes und variables Kapital

Im kapitalistischen Produktionsprozeß üben die sachlichen Produktionsbedingungen, die Produktionsmittel, und die persönlichen Produktionsbedingungen, die Arbeitskräfte, unterschiedliche Funktionen aus.

Die Produktionsmittel, Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel, werden durch den Arbeiter produktiv im Produktionsprozeß verbraucht. Durch seine zweckbestimmte konkrete Arbeit werden die Arbeitsgegenstände mit Hilfe der Arbeitsmittel zu neuen Gebrauchswerten verarbeitet. Die Gebrauchswerte der Arbeitsgegenstände gehen, in veränderter Form, in die neuen Erzeugnisse ein. Durch die konkrete Arbeit wird auch der bereits vorhandene, alte Wert der Arbeitsgegenstände und der Arbeitsmittel auf die neuen Arbeitsprodukte übertragen. Ihr Wert tritt als Bestandteil des Wertes der neu produzierten Waren auf. Die konkrete, nützliche Arbeit erzeugt demnach den Gebrauchswert und überträgt den Wert der verbrauchten Produktionsmittel auf das neue Produkt, während die abstrakte, wertbildende Arbeit den neuen Wert hinzufügt.

Der Kapitalist hat hierbei einen doppelten Vorteil: Der Arbeiter erhält ihm durch die konkrete Arbeit den Wert seiner Produktionsmittel, den Wert der verbrauchten Produktionsmittel, und produziert ihm zugleich den Wert und den Mehrwert. „Es ist also eine Naturgabe der sich betätigenden Arbeitskraft, der lebendigen Arbeit, Wert zu erhalten, indem sie Wert zusetzt, eine Naturgabe, die dem Arbeiter nichts kostet, aber dem Kapitalisten viel einbringt, die Erhaltung des vorhandnen Kapitalwerts.“30

Es hängt von der konkreten Arbeit des Arbeiters ab, in welchem Umfang eine Wertübertragung erfolgt. Werden zum Beispiel durch unsachgemäße Verarbeitung der Rohstoffe, etwa beim Zuschneiden von Eisenblechen, Leder oder Stoff, verhältnismäßig viel Abfälle verursacht, dann wird eine geringere Menge an Gebrauchswerten erzeugt, aber auf sie wird ein größerer Wert übertragen. Das bedeutet, daß ein solches Produkt zu teuer wird und möglicherweise nicht verkauft werden kann.

Bei der Wertübertragung und Neuwertbildung zeigt sich wie beim Doppelcharakter des kapitalistischen Produktionsprozesses als Arbeits- und Verwertungsprozeß mit aller Deutlichkeit, wie recht Karl Marx hatte, als er den Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit den Springpunkt für das Verständnis der politischen Ökonomie nannte.

Die Erhaltung beziehungsweise Übertragung des Wertes der Produktionsmittel auf die neuen Produkte erfolgt bei Arbeitsgegenständen und Arbeitsmitteln unterschiedlich. Da die Arbeitsgegenstände während eines Produktionsprozesses stofflich verbraucht werden, wird auch ihr Wert während eines Produktionsprozesses vollständig auf das neue Produkt übertragen. Dabei kann nicht mehr Wert übertragen werden, als der Wert der Arbeitsgegenstände beträgt.

Von den Arbeitsmitteln wird durch die konkrete Arbeit nur der Wert auf das neue Produkt übertragen. Sie fungieren aber in der Regel mehrere Jahre im Produktionsprozeß (zum Beispiel Maschinen 5 bis 10 Jahre, Werkhallen 30 bis 50 Jahre). Die Arbeitsmittel behalten in dieser ganzen Zeit ihre Naturalform. Die Übertragung ihres Wertes auf das neue Produkt erfolgt daher nicht auf einmal, während einer Produktionsperiode, sondern nur stückweise und anteilmäßig.

Wieviel Wert während einer Produktionsperiode, zum Beispiel während eines Jahres, übertragen wird, hängt von zwei Faktoren ab: erstens vom physischen Verschleiß der Arbeitsmittel, der durch deren Nutzung oder durch natürliche Einflüsse eintritt. Ist eine Maschine vom physischen Standpunkt aus in der Lage, zehn Jahre im Produktionsprozeß zu fungieren, dann überträgt sie jährlich ein Zehntel ihres Wertes auf das neue Produkt. Zweitens hängt die Wertübertragung vom moralischen Verschleiß der Arbeitsmittel ab. Er tritt entweder dadurch ein, daß durch Steigerung der Arbeitsproduktivität die Wertgröße und der Preis der gleichen Arbeitsmittel gesunken sind, oder dadurch, daß durch die Entwicklung des wissenschaftlich-technischen Fort-schritts neue, produktivere Arbeitsmittel hergestellt werden, die zu einer Senkung der Selbstkosten der damit produzierten Waren führen. Unter dem Einfluß des wissenschaftlich-technischen Fortschritts muß der Wert der Arbeitsmittel gegenwärtig innerhalb einer wesentlich kürzeren Zeitfrist übertragen werden, als dies durch den physischen Verschleiß bedingt wird. Während ihrer gesamten Lebensdauer übertragen auch die Arbeitsmittel nur so viel Wert auf das neue Produkt, wie in ihnen enthalten ist.

Der Wert der Produktionsmittel geht in den Wert der neuen Ware ein. Er wird in dem Produktionsprozeß, in dem die Produktionsmittel fungieren, nicht neu geschaffen. Der für Produktionsmittel verausgabte Wert oder Kapitalteil steckt in der neuen Ware und fließt zum Kapitalisten beim Verkauf in gleicher Höhe wieder zurück. Seine Größe bleibt konstant. Daher bezeichnet Marx diesen Kapitalteil als konstantes Kapital (c).

Die Arbeitskraft schafft durch ihre abstrakte Arbeit neuen Wert, sie produziert den Mehrwert als Teil des neuen Wertes. Der für den Lohn verausgabte Kapitalanteil fließt, um den Mehrwert bereichert, in Warenform zum Kapitalisten zurück. Der als Arbeitslohn vorgeschossene Kapitalteil verändert also seine Größe. Deshalb bezeichnet ihn Marx als variables Kapital (v).

Der Kapitalist schießt das Gesamtkapital, das konstante und variable Kapital, vor. Ist der Produktionsprozeß beendet, verfügt er über einen höheren Wert. Der Wert der produzierten Waren ist größer als der Wert des verbrauchten konstanten und variablen Kapitals. Hinzugekommen ist der Mehrwert, das Kapital hat sich verwertet, aus W ist W’ geworden. Die Wertstruktur der kapitalistisch produzierten Ware lautet c + v + m.

„Da aber der Zusatz von neuem Wert zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werte im Produkt zwei ganz verschiedne Resultate sind, die der Arbeiter in derselben Zeit hervorbringt, obgleich er nur einmal in derselben Zeit arbeitet, kann diese Doppelseitigkeit des Resultats offenbar nur aus der Doppelseitigkeit seiner Arbeit selbst erklärt werden.“31 Durch die Entdeckung des Doppelcharakters der warenproduzierenden Arbeit beziehungsweise der in der Ware verkörperten Arbeit konnte Marx die Einteilung des Gesamtkapitals in konstantes und variables Kapital vornehmen. Er wandte seine Erkenntnisse auf den kapitalistischen Produktionsprozeß (Arbeits- und Verwertungsprozeß), auf die Zusammensetzung des Kapitals (c und v) sowie auf die Unterscheidung der Arbeit des Arbeiters in werterhaltende, wertübertragende (konkrete Arbeit) und wertschaffende Arbeit (abstrakte Arbeit) an und deckte dadurch das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung auf. Marx bewies, daß nur die lebendige Arbeitskraft, die Arbeit des Lohnarbeiters, Quelle von Wert und Mehrwert ist. Ohne diese Gliederung in konstantes und variables Kapital sind das Wesen und die Methoden der kapitalistischen Ausbeutung nicht zu verstehen.