Reproduktion und Zirkulation
des gesellschaftlichen Gesamtkapitals

6.2
Die Vertiefung der Widersprüche
der kapitalistischen Reproduktion
durch die Rüstungsproduktion und
die Militarisierung der Wirtschaft

Eine umfangreiche Rüstungsproduktion und die Militarisierung der Volkswirtschaft sind charakteristische Kennzeichen der Reproduktion im Kapitalismus. Sie vertiefen die antagonistischen Widersprüche des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses.

Die Rüstungsproduktion, die im Imperialismus und staatsmonopolistischen Kapitalismus enorme Ausmaße angenommen hat, steht in direktem Widerspruch zu den Interessen der Arbeiterklasse und der sonstigen werktätigen Bevölkerung. Es handelt sich dabei nicht nur um die Vergeudung und Vernichtung gesellschaftlicher Mittel, sondern vor allem darum, daß Produktivkräfte in gefährliche Destruktivkräfte verwandelt werden und daß die physische Existenz des arbeitenden Menschen, der Hauptproduktivkraft, bedroht ist.

Die hohen Rüstungsausgaben finanzieren die imperialistischen Staaten über die Umverteilung von Nationaleinkommensteilen zugunsten des Großkapitals der Monopole – denn staatliche Rüstungsaufträge bilden einen sehr profitablen und relativ sicheren Markt – und zu Lasten der Arbeiterklasse, der Volksmassen, die über Einkommensbeschränkungen (vor allem durch Steuern und Preissteigerungen) die Hauptbürde zu tragen haben. Die Rüstungsproduktion, die durch die imperialistischen Staaten aufgekauft wird, geht in eine parasitäre gesellschaftliche Konsumtion ein, die der Sicherung und Ausweitung des herrschenden kapitalistischen Systems dient.

Die Rüstungsproduktion und die Militarisierung der Wirtschaft verstärken die Widersprüchlichkeit, die Anarchie und Disproportionalität des kapitalistischen Reproduktionsprozesses. Die Realisierungsbedingungen des gesellschaftlichen Gesamtprodukts verändern sich bei entwickelter Rüstungsproduktion in folgender Richtung:

Erstens erfordert die erweiterte kapitalistische Reproduktion unter den Bedingungen einer entwickelten Rüstungswirtschaft die Einhaltung komplizierter Proportionen in den einzelnen Teilen des Sozialprodukts.117

Zweitens sind im Rahmen der erweiterten Reproduktion verschiedene Kombinationen von Tempo und Richtung der Veränderung der militärischen und zivilen Produktion möglich.

Drittens konkurrieren das Ausmaß der Rüstungsproduktion und das Tempo ihrer Erweiterung mit denen der friedlichen Konsumtion und Akkumulation und werden auf deren Kosten beziehungsweise durch Verringerung ihrer Möglichkeiten realisiert.

Die Hauptauswirkung der Rüstung auf die kapitalistische Reproduktion besteht darin, daß die Entwicklung der Produktivkräfte und des gesamten Reproduktionsprozesses gehemmt und verzerrt wird. Die stoffliche und wertmäßige Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts verändert sich. Besonders in Zeiten der Aggressionsvorbereitung und in Kriegsjahren dient ein sinkender Anteil von Produktionsmitteln und Konsumtionsmitteln der normalen zivilen Reproduktion, während ein wachsender Teil für militärische Absichten verwendet wird.

Die Rüstungswirtschaft und -produktion beeinflussen erheblich den wissenschaftlich-technischen Fortschritt, indem umfangreiche und wachsende Potenzen, zum Beispiel qualifizierte Arbeiter, Techniker und Wissenschaftler, der zivilen Wirtschaft verloren­gehen. Zwar können bestimmte Ergebnisse der zu militärischen Zwecken ausgeführten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten allgemein in der Wirtschaft angewendet werden und stimulieren dadurch das Wirtschaftswachstum. Aber das bezieht sich vor allem auf Grundlagenerkenntnisse und allgemeine Anwendungsverfahren, die, gesellschaftlich gesehen, mit geringem Aufwand erzielt werden könnten. Militärische Forschungsergebnisse zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen bilden eine Bedrohung der Menschheit.

Da die Finanzierung der Rüstung die Masseneinkommen vermindert und die Ausplünderung besonders der Arbeiterklasse erhöht, wird der Widerspruch zwischen Produktion und Markt, zwischen der schneller wachsenden Produktion und der zurückbleibenden Nachfrage verschärft. Durch die mit der Rüstung verbundenen inflationistischen Preissteigerungen sinken die Reallöhne, und die zahlungsfähige Nachfrage der gesamten werktätigen Bevölkerung geht zurück. Die Anfälligkeit und Labilität der kapitalistischen Reproduktion erhöht sich.

Ferner wird durch die Verpulverung von gesellschaftlichen Mitteln für die Rüstung die Wirtschaftsstruktur der kapitalistischen Länder einseitig entwickelt; bestimmte Infrabereiche, wie zum Beispiel das Schul- und Bildungswesen, die vor allem der gesellschaftlichen Konsumtion der Masse der Bevölkerung dienen, werden teilweise katastrophal vernachlässigt.

In der bürgerlichen Ökonomie wird seit langem die Frage diskutiert, welche Beziehungen zwischen Wirtschaftswachstum und Rüstung bestehen. Ist die Rüstung ein Wachstumsfaktor? Stimuliert sie die wissenschaftlich-technische Entwicklung und damit auch das Wachstum? Dabei zeigen sich sehr unterschiedliche Einschätzungen. Einige bürgerliche Ökonomen erklären, Rüstung sei notwendig zur Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung, beeinflusse Wissenschaft und Technik positiv und trage insgesamt zur Stabilisierung der Wirtschaft bei. Andere bürgerliche Wissenschaftler, auch Soziologen und Politologen, sehen in der Rüstung eine Gefährdung der Menschheit und eine Vergeudung von Produktivkräften.

Die Rüstung wirkt in sehr differenzierter Weise auf die Wirtschaft der imperialistischen Länder ein. Sie fungiert einerseits in gewissem Umfang als Wachstumsfaktor, verursacht aber andererseits Krisen, Disproportionen und eine gewaltige Verschwendung von Produktivkräften. Besonders nach dem zweiten Weltkrieg beeinflußte in vielen industriell entwickelten kapitalistischen Ländern, so in den USA, in Frankreich und in Großbritannien, die periodische Erneuerung der Kriegstechnik und die Entwicklung neuer Waffensysteme den Reproduktionsprozeß sehr nachhaltig und führte zu einer Militarisierung der Wirtschaft. In Japan und in der BRD dagegen kam es auch durch das Fehlen oder das geringe Ausmaß der Rüstungsproduktion in den ersten fünfzehn Jahren nach dem zweiten Weltkrieg zu einer relativ raschen Entwicklung bestimmter Wirtschaftszweige.

Wie unterschiedlich Aggressionen und Kriege den gesamtwirtschaftlichen Reproduktionsprozeß und damit das ökonomische Wachstum beeinflussen, zeigen die Auswirkungen des Korea- und Vietnamkrieges auf die Wirtschaft der USA. Der Koreakrieg bewirkte eine Ausdehnung des staatlich garantierten Absatzmarktes und stimulierte in gewissem Umfang die ökonomische Entwicklung. Der Krieg des US-Imperialismus gegen das vietnamesische Volk trug durch die außerordentlich hohen Rüstungsausgaben wesentlich zur Schwächung des Dollars, zur Verschärfung der imperialistischen Währungskrise und zur beschleunigten inflationären Entwicklung in den kapitalistischen Ländern bei. Er verschärfte außerdem die Disproportionen innerhalb der US-Wirtschaft und löste tiefe gesellschaftliche Konflikte aus.