RotFuchs 191 – Dezember 2013

Warum sich die PCdoB an Brasiliens Koalitionsregierung beteiligt

Am Kabinettstisch und in den Fabriken

RotFuchs-Redaktion

Wie ist Dilma Rousseffs Politik zu bewerten? Welche Rolle spielt die Kommunistische Partei Brasiliens (PCdoB) – neben der es im größten und volkreichsten Land Lateinamerikas auch die sich zum Marxismus-Leninismus bekennende PCB gibt – in dem von der PT geführten Koalitionskabinett, dem sie bereits seit zehn Jahren angehört?

José Reinaldo Carvalho, Sekretär für Öffentlichkeitsarbeit der PCdoB, gab unlängst der Brüsseler Wochenzeitung „Solidaire“ ein aufschlußreiches Interview, in dem er zu diesen und anderen Fragen Stellung bezog.

Bei den Parlamentswahlen des Jahres 2010 habe seine Partei knapp drei Prozent der Stimmen und 15 der 513 Mandate im brasilianischen Zentralparlament erringen können. Derzeit werde das Land von einer breitgefächerten Koalitionsregierung unter Führung der sozialdemokratisch orientierten Partei der Arbeit (PT) regiert, an deren Spitze die einstige antifaschistische Guerillakämpferin gegen die Militärdiktatur und heutige Staatspräsidentin Dilma Rousseff steht. Sie sei die Nachfolgerin von Luis Inácio Lula da Silva – kurz Lula – und setze dessen beachtenswerte Arbeit fort.

Nach den Wahlen des Jahres 2002 lud die PT andere politische Kräfte Brasiliens zur Teilnahme an einer Linkskoalition ein. José Reinaldo zog deren Bilanz: Es sei eine Tatsache, daß sich in den Jahren der PT-Regierungen in Brasilien sehr viel verändert habe. Dem sei die Diktatur einer von der CIA ans Ruder gebrachten Militärkamarilla, eine kurze Periode des Aufatmens und die lange Ära des Neoliberalismus vorausgegangen, der Brasilien an den ökonomischen und sozialen Abgrund geführt habe. Die PT-Regierung stehe weder für revolutionäre Umgestaltungen noch für einen spektakulären Bruch mit dem kapitalistischen System, habe aber beachtliche Veränderungen in dessen Rahmen bewirken können, betonte Reinaldo. Zuvor habe der Internationale Währungsfonds (IWF) in der Wirtschaft des Landes nach Gutdünken geschaltet und gewaltet. In der Hauptstadt Brasília sei durch ihn sogar eine Ständige Vertretung eingerichtet worden, um bei anstehenden Entscheidungen gleich an Ort und Stelle mitmischen zu können.

Die PT-Regierung habe damit Schluß gemacht und die Strippenzieher des IWF nach Hause geschickt, was einer souveränen ökonomischen Entwicklung Brasiliens im Rahmen neuer regionaler Bündnisse mehrerer lateinamerikanischer Staaten zugute gekommen sei, betonte Reinaldo. Sein Land habe eine Schlüsselrolle bei der Durchkreuzung des von Washington unterbreiteten ALCA-Projekts gespielt, das eine kontinentale Freihandelszone mit beherrschender Position der USA anvisiert hatte und auf die Spaltung Lateinamerikas gerichtet war.

José Reinaldo unterstrich auch den Anteil Brasiliens beim Zustandekommen von Unasur und Celac – zweier die Länder des Subkontinents einander näherbringender Zusammenschlüsse.

Ohne Zweifel verfüge Brasiliens Finanzoligarchie nach wie vor über enorm viel Macht. Das nationale und internationale Kapital sei in ökonomischer Hinsicht weiterhin dominant.

Nach BRICS – der aus Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika bestehenden Gruppe von fünf zu wirtschaftlichen Großmächten aufgestiegenen Staaten – gefragt, verwies José Reinaldo auf dessen unabhängigen Kurs. Zuvor habe sich Brasilien in seiner Außenpolitik strikt an den USA und Westeuropa orientiert, während heute die nationalen und kontinentalen Anliegen, aber auch jene Asiens und Afrikas Vorrang besäßen.

Reinaldo machte gegenüber „Solidaire“ konkrete Angaben zur sozialen Situation der Brasilianer. Der Kampf der Lula-Dilma-Regierungen gegen extremste Armut habe in einem kapitalistischen Land mit weiterbestehenden krassen Unterschieden im Lebensniveau der Angehörigen verschiedener Klassen und Schichten dazu geführt, daß zahlenmäßig sehr relevante Bevölkerungsteile aus dieser fatalen Lebenssituation herausgeholt worden seien. Erfolge habe Brasília auch in Bereichen der Bildung und des Gesundheitswesens zu erzielen vermocht.

Trotz solcher Fortschritte herrsche im Land noch immer ein hohes Maß durch kapitalistische Ausbeutung bedingter Armut, wobei man nur an die als Favelas bezeichneten großstädtischen Slums denken müsse.

Auf die Frage nach Charakter und Inhalt der Mitarbeit von Kommunisten an den PT-Regierungen Lulas und Dilmas betonte José Reinaldo, daß es sich in beiden Fällen um sehr breit gelagerte Koalitionen handle. Ihnen drücke vor allem die nationale Bourgeoisie den Stempel auf. Am Ruder sei ein Mitte-Links-Kabinett. „Wir hegen absolut keine Illusionen darüber, daß die derzeitige Regierung etwa einer sozialistischen Tendenz folgen könnte, welche zu radikalen Wandlungen führen würde. Für uns sind drei Dinge unverzichtbar. Erstens muß die staatliche Exekutive demokratisch handeln und eine echte Mitwirkung des Volkes gestatten. Zweitens soll ihre Politik sozialen Kriterien folgen, und drittens gilt es, die nationale Souveränität gegenüber den USA und der EU konsequent zu verteidigen.“ Maximum des derzeit Erreichbaren sei eine Politik des demokratischen Drucks, der das Land nicht destabilisiere, die Regierung aber dazu veranlasse, ihrerseits nicht vor der politischen Rechten und der Großbourgeoisie zurückzuweichen, stellte José Reinaldo zusammenfassend fest.

Neben ihrer politischen Arbeit im Kabinett verfolge die PCdoB aufmerksam den Kampf der Volksmassen in dessen verschiedenartigen Ausdrucksformen. In der Gesellschaft weiterbestehende Ungerechtigkeiten brächten fast jeden Tag neue Aktionen der Arbeiter, der Studenten, der Landlosen und der in Favelas Lebenden hervor. „Wir sind in der Regierung, bleiben aber zugleich in den Fabriken und an den Universitäten. Wir unterstützen alles, was den wachsenden Einfluß rechter Kräfte zurückdrängt.“