RotFuchs 228 – Januar 2017

Angela Merkel, eine loyale DDR-Bürgerin

Matthias Krauß

Wenn Angela Merkel in ihrem ersten Leben nicht DDR-Bürgerin gewesen wäre, dann würde sie im Sommer 2005 nicht Kanzlerkandidatin der Christlich-Demokratischen Union gewesen sein und würde 2016 nicht vor ihrer dritten Wiederwahl stehen. Nur ein solcher Hintergrund ermöglichte ihr diesen einmaligen – und am Ende erfolgreichen – Weg: Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs, stellvertretende Regierungssprecherin unter Lothar de Maizière, Quotenministerin unter Kohl und so weiter bis hin zur Rolle als Hoffnungsträgerin der liberalen Welt und wer weiß was noch. Im Heimatstaat ihrer Kindheit und Jugend – wo sonst? – konnte Angela Merkel jene Eigenschaften ausprägen und entwickeln, die ihr auf dem Weg ins bundesdeutsche Ganzoben nützlich waren.

Morgens rannte ja damals jeder irgendwo hin, aber Angela Merkel nicht irgendwo hin, sondern ins Zentralinstitut für physikalische Chemie in Berlin-Adlershof. Dort und auch auf dem Bildungsweg dorthin war ihr Leben so normal, gradlinig und würdig, wie man es sich heute für viele Jugendliche wünschen würde: eine Schulbildung, die den Namen verdient, Abitur, Studium, Promotion, Forschung. Angela Merkel konnte mit Fug und Recht als „nützliches Mitglied der sozialistischen Gesellschaft“ gelten, sie wurde mit Auszeichnungen und Zusatzstipendien bedacht, sie hat konstruktiv ihren Beitrag zum Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft geleistet und auch heute keinen Grund, das zu verleugnen. Von Widerstand gegen die DDR war sie ungefähr so weit entfernt wie Erich Honecker.

Bezeichnend ist dies: Schon bei oberflächlicher Betrachtung widerlegt der Werdegang Angela Merkels bis in die „Wende“-Zeit 1989 hinein eine Reihe von gängigen Klischees über die DDR. Dinge, die heute als Gemeingut gelten. Zum Beispiel, daß den Pfarrerskindern der Weg zum Abitur verschlossen war, daß Karriere nur machte, wer in der SED war, daß Vergünstigungen nur erhielt, wer mit dem MfS zusammenarbeitete und vieles mehr.

Gerade Angela Merkels Biographie beweist, daß alles viel komplizierter war. Tatsächlich kann sie als ein DDR-Förderkind gelten. Das Verhältnis zwischen ihr und dem DDR-Staat war von gegenseitigem Respekt geprägt. Und sie hat das in sie gesetzte Vertrauen nie enttäuscht. Die DDR jedenfalls wußte, was sie an ihr hatte.

Und dennoch ist es kein Wunder, daß es unter dieser ostdeutschen Kanzlerin eben niemals zu einer halbwegs sachlichen Auseinandersetzung mit der jüngeren Vergangenheit gekommen ist. Dazu wäre es nicht einmal gekommen, wenn Angela Merkel dies gewollt hätte. Sie ist zu eng umstellt von Menschen, die in dieser Frage keine Zwischentöne dulden. Demzufolge sind ihre negativen Gefühle gegenüber der DDR zweifellos echt, aber sie haben weniger etwas mit ihrer damaligen Erfahrungswelt als mit ihrem heutigen Dilemma zu tun.

Gekürzt aus „junge Welt“, 23. November 2016