RotFuchs 210 – Juli 2015

Gegen permanente Verbeugungen
und Schielen nach Regierungsposten

Auch ich entschuldige mich ...

Kurt Koopmann

Bei manchen Politikern, die auf künftige Kabinettsposten spekulieren, gehört es bereits zum Ritual, sich bei jeder passenden und unpassenden Gelegnheit ohne Grund zu entschuldigen – besonders für die DDR.

Aber wofür und bei wem sollte man sich denn in dieser BRD entschuldigen? Etwa für die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR oder gar für die von der KPdSU vermittelten politischen Erfahrungen? Die PDL hat überhaupt keinen Anlaß, sich für irgend etwas zu entschuldigen, da es sie ja zu Zeiten der DDR noch gar nicht gegeben hat. Obwohl solche Rituale für von SED und DDR angeblich begangenes Unrecht unterdessen Mode sind, machen sie wirklich keinen Sinn. Könnten die Adressaten etwa die Konzernherren sein, deren Unternehmen in der seinerzeitigen Ostzone enteignet wurden, nachdem sie sich an zwei aufeinanderfolgenden Weltkriegen maßlos bereichert hatten?

Oder sollte ich mich bei den Großgrundbesitzern entschuldigen, deren Äcker ich als 13jähriger beim Kartoffelbuddeln kennenlernte und deren Gutsherrenmanieren ich „genießen“ durfte? Vielleicht könnten es aber auch die Besitzer der Mietskasernen in den Arbeitervierteln Berlins sein, die für verwanzte Buden ein Viertel des Lohnes abkassierten und nach 1945 berechtigterweise kaltgestellt wurden? Sollte ich etwa einen Kniefall tun, weil ich als junger Gewerkschaftsfunktionär beim Westberliner AEG-Konzern 1951 dafür gemaßregelt wurde, daß ich es für richtig hielt, meine Funktion als Interessenvertreter im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund – dem FDGB – ernst zu nehmen oder dafür, daß ich beim Sammeln von Unterschriften für den Stockholmer Appell gegen die Atombombe von der Stummpolizei verhaftet wurde?

Ich habe das und vieles mehr aus Überzeugung getan, denn als einer vom Jahrgang 1930 hatte ich den Zweiten Weltkrieg mit den angloamerikanischen Bombenangriffen und dem Endkampf zwischen der Roten Armee und den Faschisten in Berlin bewußt erlebt. Schon Jahre zuvor war ich als Junge ein Zeuge der Kristallnacht in den Straßen des Berliner Stadtteils Moabit. Mein Vater erzählte mir, 1933 seien Bücher verbrannt worden, und der Familie habe man gesagt, daß sie nicht mehr zu bestimmten Bekannten fahren dürfe. Ab 1942 beobachtete ich das Geschehen in den Zwangsarbeiterlagern am Bahnhof Beusselstraße, wo die dort Eingepferchten nach härtester Schufterei in Moabiter Betrieben mit schlürfenden Schritten in ihre Baracken zurückkehrten.

Froh war ich, als ich nach meiner Maßregelung dann im Demokratischen Sektor, wie der Osten Berlins zunächst offiziell bezeichnet wurde, eine Arbeit fand, eine Ausbildung erfuhr, ein Studium absolvieren und mein Leben selbst gestalten konnte. Die 40 Jahre DDR empfand ich als den besten Zeitabschnitt deutscher Geschichte.

Mit dem Bau der Berliner Mauer war für mich und viele meiner Mitmenschen der Ausverkauf beendet, fanden auch wir wieder Platz in einem Ostberliner Restaurant, wurde dem Mehrfachverdienst bei gleicher Tätigkeit derer, die im Westen arbeiteten und im Osten lebten, ein Riegel vorgeschoben: Die Hochkonjunktur der Wechselstuben mit ihrem manipulierten Kurs hatte ein Ende gefunden.

Ohne Zweifel gab es auch äußerst schmerzhafte Trennungen. Ich selbst war davon betroffen: Erst nach dem Passierscheinabkommen konnten meine Eltern mich und die Enkel besuchen.

In den 40 Jahren des Bestehens der DDR mußten wir keine Denkmalsplätze für gefallene Soldaten der Nationalen Volksarmee ausfindig machen, denn es gab sie nicht. Ein Arbeitsnachweis war nicht erforderlich, da niemand vermittelt werden mußte. Neue Wohnungen entstanden nach und nach und waren für jedermann bezahlbar. Reisen konnte ich zunächst in die UdSSR sowie in ost- und südosteuropäische Länder, aber mit der Zeit auch in ferner gelegene Staaten anderer Kontinente. Für ein Visum in die USA sollte allerdings die Frage beantwortet werden, ob man einer „kommunistischen Frontorganisation“ angehöre oder terroristische Ambitionen verfolge. Schon bei einer simplen Einreise in die BRD wurde bisweilen das Fahndungsbuch eifrig gewälzt.

Auch ich will mich gerne entschuldigen: dafür, vielleicht nicht genug getan zu haben, um den Sozialismus der DDR für die Menschen anziehender zu machen. Auch dafür, daß ich mich nicht hinreichend mit bürokratischen Fehlentscheidungen auseinandergesetzt und Mängel zu zögerlich bekämpft habe. Doch wir hatten nur 40 Jahre Zeit – recht wenig für die Errichtung und Vervollkommnung eines völlig neuen Gesellschaftssystems.

Nun ist die alte Ordnung wieder über uns gekommen, in der alles, aber auch wirklich alles zur Ware wird und einen Preis hat. Auch der Mensch, der nicht mehr nach seiner Leistung entlohnt wird. Eine Ordnung, in der die Kultur eine Hure ist und die Völker der Welt zunehmend in Angst und Schrecken leben müssen.

Übrigens: Der Flüchtlings„strom“ aus der DDR war – nachträglich betrachtet – doch wohl nur ein Rinnsal im Vergleich mit der gewaltigen Flüchtlingsflut von vielen Millionen Menschen, die imperialistischen Kriegen und kapitalistischer Ausbeutung zu entfliehen suchen. Wie viele von ihnen, die nicht in die „Festung Europa“ gelangen konnten, haben im Mittelmeer ein qualvolles Ende gefunden?